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Beten für die Selbstauslöschung des Kapitalistenschweins

 

Überall nur Randalefuzzis, antideutsche Vollidioten oder rotlackierte Karrieristen. Wo stecken die wahren Linken? Unser Kolumnist macht sich auf die Suche. Fax der Woche

In stockdunklen Irrgärten begab ich mich auf die Suche nach dem wahren Linken unserer Zeit. Ich hatte das Gerücht gehört, dass sich die Führer der invaliden Individuen in den Clubs und in den Museen versteckten. Dort fand ich nur Theorietraktate: komplizierte verschachtelte Sätze in Kleinbuchstaben. Wer so etwas liest, bekommt einen Schaden, dachte ich, griff zur Taschenlampe, suchte nach dem Seminarmarxisten und fand ihn im Efeuversteck.

Ich leuchte ihn an, er begann zu sprechen: Ich habe mit meinesgleichen das Volk befreit, für einige wenige glückliche Wochen. Nach einem Kneipenbesäufnis rieb ich mir den wehen Schädel, reib ich mir die Augen, und ich erkannte. Dass wir Schmerzfreiheit nicht garantieren konnten. Dass deshalb unsere sumpfigen Zechbrüder wieder durchs Werkstor strömten. Ich aber betete für die Selbstauslöschung des Kapitalistenschweins …

Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

Ich hörte Menschengebell und zog weiter, stieß auf die Kadergenossin, eine Berliner Partisanin, nach vielen Bettschlachten zur Betschwester gereift. Einst glühte sie für Mao, das Schlitzohr mit dem Mundgeruch, heut liebt sie Putins Ordnungsliebe. Kaum dass sie mich sah, begann sie zu bellen: Hoch die! Nieder mit! Machtmonopolisten haben sich verschworen! Deutsches Volk zerrinnt, unser Blut gerinnt! Wir sterben aus, die Horde gewinnt! Vereint mit den Russen, gegen die niedrige Geburtenrate! Kondomverbot des Vatikans ist sinnvoll! Mehr deutsche Kinder jetzt! Kastriert die Südländer! Hoch die Kader des Volkstums! … Ich wünschte ihr gute Heilung, lief ihr davon.

Der Gründer der linksplebejischen Splitterpartei hatte sich in den Schatten verzogen. Die Befreiten aller Länder liebten ihn noch heute, er war der Kammerdiener des Ministers a.D. gewesen, der Weltgeist verzieh solche Kinkerlitzchen. Im Schein meiner Taschenlampe strich er übers Anzugjackett, ich stellte dem Überläufer Fragen, und als ich sein Hohngrinsen nicht länger ertrug, wollte ich ihm die Fresse polieren, im Namen der Gulag-Toten, im Namen der polnischen Offiziere, die man in den Kopf geschossen und in den Graben getreten hatte. Im Namen der Opfer des Roten Terrors. Im Namen der Bauern, der Uhrmacher, der Latrinenputzer, der Mägde, der geschändeten Frauen, im Namen der Gebeine, die tief im Grund zu Sedimenten verbacken waren.

Ich polierte ihm die Fresse, er drückte das Taschentuch unter die Nase. Er hatte eine Erklärung vorbereitet und aufgeschrieben. Ich las: Theorieabteilung ist die Pest. Mit der blöden Schwärmerei der Freaks und Spontis habe ich nichts zu schaffen. Sie lehren die Verschmutzung der Lässigkeitsvollendung. Sie umstehen die Leiche Suhrkamp, sie fressen die Theorie, sie fressen Leichenfleisch. Es zählt allein die Tatsache, nicht die Tat der Radikalen. Ein Berliner Kiffer ist links und linkisch.

Im traurigen Verein der Versprengten war ich nie Mitglied. Ich hänge am Busen der Großen Mutter, sie zertritt die Zahmen und Bezähmten. Es lebe … das kommende Imperium … Ich wurde der Verschwörer wider die Verschwörung müde, ich lief lustlos im Irrgarten herum, leuchtete in die Hecken, und stieß auf den wahren Linken, der die Faust zum Gruße ballte. Er war ein freundlicher junger Mann, der tarnte sich als Geist im Nebel aus Kämpferparolen. Nach dem ersten harten Wortgefecht schickt er mich weg, ich schuldete ihm keinen Gehorsam, und also blieb ich.

Keiner von den Ausgeglühten, dachte ich, er kommt zurecht mit dem bisschen, das er hat. Kein rotlackierter grüner Karrierist. Kein Jesuitenschüler. Kein breiig mümmelnder Evangele. Kein antideutscher Vollidiot. Kein Randalefuzzi. Ein wahrer Linker. Er sprach: Ich habe nichts zu sagen. Ich helfe, wo ich kann. Jeder Staat lügt … Ich gab ihm die Taschenlampe, ich gab ihm alle Münzen in der Hosentasche, ich gab ihm meine Uhr. Dann machte ich mich auf den Rückweg, ich wusste, ich würde mich verirren.

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