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Lasst locker, Mädels!

 

Bereut man, Kinder bekommen zu haben? Das ist unserer Autorin neu. Ist sie altmodisch? Oder leiden all die Germany’s Next Top-Muttis einfach an ihrem Perfektionismus?

© dpa ()
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Dass man bereuen kann, Kinder bekommen zu haben, auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Dabei habe ich schon so ziemlich alles bereut, und damit meine ich nicht die unzähligen falschen Schuhkäufe. Die Osterferien in Ampflwang? Der One-Night-Stand in Brighton? Sprechen wir nicht drüber.

Das große Latinum habe ich verbucht unter „Dinge. die zwar irgendwie sinnvoll sind, aber zeitraubend“ – Prophylaxe gehört auch dazu. In grosso modo Kinder auch. Gottergeben habe ich mich meinem Schicksal gefügt. Schließlich hatte ich sie bekommen. Nun musste ich sie auch durchkriegen.

Aber Schicksal, das war früher. Heute gibt es die Wahl. Heute gilt Selbstbestimmung, Planung und knallharte Organisation. Wer seine Eizellen nicht rechtzeitig einfriert, ist ein Idiot – pardon: eine Idiotin.

Ich bin so was von démodée. Zumal ich auch Tiefkühlkost nicht sonderlich mag.

Ich bin wahrscheinlich einfach sentimental. Ich wollte schon immer Kinder haben, auch wenn ich mich heute Morgen nicht mehr genau erinnern kann, warum. Das erste kam gesund und munter zur Welt. Der Himmel auf Erden. Das zweite war schon ein bisschen wie Wiederholung, und mein gut getimtes Leben einer berufstätigen Mutter kam ins Trudeln. Auf der Probe im Theater schlief ich ein, und die Kinder kamen erst gegen 9.30 Uhr in die Schule, weil: nach der Vorstellung darf man ja wohl noch mal was trinken gehen… Und was spricht eigentlich gegen 9.30 Uhr?

Da ich aber ein Glückspilz bin, habe ich einen Mann, den ich als Mutter einspannen kann. Und so kam der eine durchs Abitur, der andere ins Gymnasium, und irgendwie schafften wir es auch, die Miete zu bezahlen.

Und jetzt lese ich, dass man das Kinderkriegen auch bereuen kann.

Das tut man natürlich nicht, so was zu denken, und überhaupt auch müßig, aber was für ein interessanter Gedanke: Was wäre gewesen, wenn ich die Kinder doch nicht bekommen hätte, die süßen Kleinen?

Ich wäre nicht nur die gepflegteste Mittfünfzigerin im Umkreis, denn das Bad stände mir ohne die lästige Konkurrenz pubertierender Jugendlicher jederzeit zur Verfügung. Ich hätte natürlich das nötige Geld für jegliche Pflege: Wellness, Spa, Fitness. Geld, das in den vergangenen Jahren in Musikschule, Nachhilfe und Sportverein gewandert ist.

Aber vor allem wäre ich – und das habe ich tief im Innern schon immer geahnt – Präsidentin. Mein Zeitmanagement würde mir jede erdenkliche Kandidatur, egal in welcher Sparte, erlauben. Denn weder Stillen noch kitafreie Brückentage noch Scharlach könnten mich aufhalten, Außenministerin, VW-Managerin, Nobelpreisträgerin zu werden.

Ich wäre ausgeschlafen, brillant und scharfsinnig und immer reisefreudig.

Unsere gute Frau von der Leyen zeigt, wie so etwas geht, Kinder (Kirche) und Karriere. Dabei schlank wie eine Ranke und charmant wie… wie…. – ja, da fällt mir dann doch nichts mehr ein. Mit ihr möchte ich dann doch nicht tauschen. Und nicht etwa, weil ich Sturmgewehre nicht mag, sondern weil sie nicht gerade wirkt, als würde ihr das Leben allzu große Freude bereiten.

Ich rekapituliere: Mit Kindern kommt man zu nichts, oder zumindest muss einer in der Familie zu Hause bleiben und die Stullen schmieren. Wenn das mal reicht. Ohne Kinder darf man nach Afghanistan – aber möchte ich dahin? – eine schwierige Alternative.

Zwölf Prozent der Männer bleiben zu Hause. Habe ich gelesen. Meiner ist darunter. Er liebt seine Söhne, könnte sich noch drei weitere vorstellen, und ein Leben ohne Kinder könnte er sich auch sehr gut vorstellen. Er ist eben sehr fantasievoll. Oder sehr flexibel. Dann würde er all das zu Ende komponieren, worin er unterbrochen wurde, um Lateinvokabeln abzufragen.

Sich verwirklichen ist nicht alles. Darin sind sich die Kirchenväter, die Rabbinerkonferenz und der Rat der Muslime einig. Na klar Jungs, ihr seid lustig. In der Zeit, wo ihr oder meine kinderlosen Konkurrentinnen Karriere gemacht haben, habe ich den Kinderwagen zur S-Bahn raufgetragen. Der Aufzug war leider wieder kaputt. Habe alle Jobs gemacht, die neben den Kindern möglich waren, denn die Jungs brauchten dummerweise Winterschuhe.

Dass Karriere und Kinder nur mit ordentlich Taschengeld und Zusatzpersonal zusammengehen, ist keine ganz neue Erkenntnis. Was aber eine neue Dimension eingenommen hat, ist der Perfektionismus. Die Mutterrolle mit summa cum laude zu erfüllen.

Woran ich mich nämlich am meisten abgearbeitet habe, war mein Perfektionismus. Ich war keine ideale Mutter, das weiß man. Das spricht sich auf dem Spielplatz ganz schnell rum, wer keine Ideal-Mutti ist. Ich war nicht perfekt. Und noch schlimmer: Ich war im Theater oder beim Drehen glücklicher als auf dem Spielplatz. Ich spielte alle anderen Rollen lieber als die Mutterrolle. Wie konnte das sein? Waren die Mutterhormone bei mir nicht geflossen? Ich war ein Zombie. Wäre ich katholisch, würde ich im Fegefeuer landen, die Kinder in Therapie….

Es dauerte einige Jahre, bis ich bemerkte, dass es nicht nur meinem Mann ähnlich ging, dass auch meine Freundinnen nicht Germany’s Next Top-Muttis waren. Unsere Ansprüche drohten uns zu ersticken.

Ich habe den Verdacht, dass die neuen Muttis, die „bereuenden Mamas“, an einer Überdosis Perfektionismus und Glücksansprüchen leiden. Weil man die Wahl treffen kann, könnte es auch die falsche sein: Luxussorge.

„Lasst locker, Mädels“, möchte ich schreien, „alles halb so gut ist immer noch Spitze!“ Ist es nicht herrlich, die Kinder die Schule schwänzen zu lassen, weil alle Erziehungsberechtigten verschlafen haben? Sie tragen die Kleider der Nachbarskinder auf. So what? Leider müssen die Kids eine Woche während der Schulzeit zur Oma oder zu den Nachbarn, weil beide Eltern arbeiten. Na und?

Aber Mädels, hört ihr mich überhaupt in euren viel zu großen Geländewagen, in euren hermetisch hochglanzrenovierten Dachgeschosswohnungen?

Ich habe nicht die ganze Welt bereist, habe keinen Außenministerposten und auch keine Rücklagen. Dumm gelaufen. Aber bereuen tue ich’s auch nicht, auf die Idee komme ich immer noch nicht. Alles wollen, Kinder und Beruf und Reisen und Vergnügen. Natürlich nicht alles schaffen. Ich selbst habe es so gewollt – nicht alles, aber vieles davon.

Wahrscheinlich würde ich’s im nächsten Leben wieder genauso machen. Ich lerne einfach nicht dazu.

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