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Wien feiert und vergisst

 

Conchita Wurst als Klimt-Figur? Der morgige Life Ball folgt starren Stilregeln. Wie Österreich die individuelle und nationale Selbstinszenierung feiert, ist schon verwunderlich.

Wien feiert und vergisst mit Conchita Wurst
© Life Ball/Ellen von Unwerth

Jedes Jahr, bevor der Life Ball in Wien ausgerichtet wird, kursiert in den Medien das Fotokompendium der sogenannten Style Bible: Sie soll eine „Orientierungshilfe und Inspiration für die Auswahl der Kostüme“ sein, wie der Organisator Gery Keszler schreibt, nachzulesen und durchzublättern auf stylebible.org.

Die Style Bible zelebriert in diesem Jahr 2015 den formal-ästhetischen Rückgriff auf das Fin de Siècle und das angehende 20. Jahrhundert und bedient sich dazu der Schlagworte vom Ver sacrum, dem heiligen Frühling, der titelgebend war für die Zeitschrift der Wiener Secessionisten, und vom Sacre du Printemps, dem Frühlingsopfer oder der Weihe des Frühlings aus Strawinskis gleichnamiger Ballettmusik. Secession: eine Gruppe – ab 1897 rund um Gustav Klimt, Koloman Moser, Josef Hoffmann und weitere – stilisiert sich als Abspaltung vom Mainstream des herrschenden Kunstbegriffs. Der heilige Frühling der Antike: Eine Gruppe junger Männer wird ausgestoßen, um einen neuen Stamm zu gründen. Smells like Lebensreform und Avantgarde.

Und, zumindest was die re-inszenierten und von Inge Prader fotografierten Bilder Klimts anbelangt, kann man sagen: Diese Avantgarde, die mittlerweile mehr als ein Jahrhundert auf dem Buckel trägt, ist noch immer inspirierend für die zeitgenössische Modefotografie, und man könnte auch sagen: Erst eine derart patinierte künstlerische Avantgarde wird dem heutigen Mainstream zugemutet, längst eingemeindet ins Angebot der Souvenirshops auf der Kärntner Straße in Wien.

Wie gut, dass es auch für ein Kostümfest wie den Life Ball eine Stil-Bibel gibt, einen Dresscode, den einzuhalten es sich empfiehlt. Falls man sich als Schaulustige alljährlich wieder vor dem Eingang des Burgtheaters gegenüber vom Rathaus positionieren will, lässt sich das herrlich beobachten: Es ist ein ritualisiertes Aus-der-Reihe-Tanzen, das, wie jeder Maskenball, einem doch engen Regelkonzept zu folgen scheint. Der Dresscode gibt vor – die heimischen Nähmaschinen und die Stoffbahnen bei Textil-Müller in Kritzendorf geben nach. Plus Glitzer, plus Schminke, plus Plateausohle.

Das Tableau vivant, das also bereits vor dem großen Ereignis für die Produktion der Style Bible vor der Linse der Fotografin aufgestellt worden ist, ist übrigens prominent besetzt: Neben Models – endlich wieder Bodypainting! – posieren hier Markenbotschafter des Life Balls wie Dagmar Koller, Witwe von Wiens ehemaligem Bürgermeister Helmut Zilk und sympathisch-madamige Fag Hag, in der Nachstellung von Klimts Tod und Leben. Oder Matthias Euler-Rolle, ehemaliger Ö3-Radiomoderator und mittlerweile Pressesprecher von Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann, als Egon Schiele. Und falls dieser engagierte Pressesprecher sich vorher gefragt haben sollte, who the fuck is Schiele?, dann wird man ihm gesagt haben: Das ist doch der, der mit den Händen immer so verkrampft herumsteht (vgl. Style Bible, S. 17).

Neben der Bibel gibt es auch alljährlich das Plakat zum Ball. Diesmal ist dort keine Frau mit Penis abgebildet wie im letzten Jahr, fotografiert von David LaChapelle, sondern Conchita Wurst, dargestellt als Adele Bloch-Bauer, vulgo: die Goldene Adele, fotografiert von Ellen von Unwerth. Die Dame mit Bart als ein „Gesamtkunstwerk (…), wo die Frau sich nahtlos in ihre Umgebung einfügt, ihr Stoffmuster mit der Tapete korrespondiert“, wie es die Modetheoretikerin Barbara Vinken einmal in anderem Zusammenhang beschreibt, nämlich die modischen „Zwänge unemanzipierter Weiblichkeit“ betreffend.

Emanzipiert sind wir hier allerdings sehr, so lautet der Header dieser Plakate doch von „HEIMAT GROSSER TÖCHTERSÖHNE“ – in Anspielung auf die österreichische Bundeshymnentext-Debatte der vergangenen Jahre – über „AKZEPTANZ IST EINE TOCHTER DER FREIHEIT“ bis hin zu „FREIHEIT WÄCHST WO REGELN BRECHEN“. Doch emanzipiert vom Golde sind wir nicht, denn es gibt exakt dasselbe Sujet auch als Werbeplakat von Münze Österreich, einer der ehrenwerten Hauptsponsoren des Life Balls, mit dem Slogan: „Jeder Beitrag ist Gold wert!“. So austauschbar werden damit die Parolen, so nah ist damit die goldene Münze den Postulaten von Akzeptanz und Freiheit. Das ist nicht unehrenwert, denn es geht doch um Charity, nein: Es ist symbolisch, im Wechselspiel von Bild und Text, bloß ungeschickt.

Und es funkelt das Kleid der goldenen Conchita,“in rund 1.250 Arbeitsstunden aufwendig händisch mit 13.000 Swarovski-Kristallen verziert“, wie es im Pressetext heißt. – Was hat es denn eigentlich mit jenem Klimt’schen Originalgemälde der Adele Bloch-Bauer auf sich? Ist es doch, gleichsam als Ikone für die österreichische kulturelle Identität medial reklamiert, 2006 an Ronald Lauder verkauft worden und mittlerweile permanent in der Neuen Galerie New York ausgestellt: „Unsere Adele!“

Der Weg dieses Bildes von Österreich nach New York ist gepflastert von Hindernissen und Verzögerungen, und damit einer, der für Österreichs Umgang mit der Restitution von enteignetem Besitz kennzeichnend ist – bis schließlich zum Beschluss des Bundesgesetzes über die Rückgabe von Kunstgegenständen im Jahr 1998. Bekannt geworden ist der Fall Bloch-Bauer durch die Recherche von Hubertus Czernin, Verleger und Journalist, deren Ergebnisse, aufwendig in wie vielen Arbeitsstunden notiert?, auch in seinen Büchern aus dem Jahr 1999 nachzulesen sind.

Diese äußerst lesenswerten Dokumentationen zeichnen das Leben der Adele Bloch-Bauer nach, geben einen Überblick über ihr Leben und Wirken im Kontext der Zeit und erläutern schließlich die komplexe Geschichte und Provenienz des Bildes Adele Bloch-Bauer I.

Die Goldene Adele als Folie zu legen über das neue Image österreichischer Selbstbeschreibung, nämlich Conchita Wurst, und sie anlassbedingt mit den beiden Großevents Life Ball und, mit Conchita als Bindeglied, Eurovision Songcontest zu verlinken, schreibt die Geschichte dieses Bildes und seiner Verwendung fort. Es fällt auf, dass auf die Anfänge und Zwischenstationen dieser Geschichte in der Berichterstattung rund um die Bilderproduktionsmaschine des Life Balls nicht oder kaum verwiesen wird.

Lebensreform, Wiener Werkstätte, Jahrhundertwende, Kostümball, Sponsoring: bildsprachlich wird alles auf eine Ebene gebracht, kein Unterschied gemacht zwischen einem Körper, dem Stoffmuster eines Kleides und der Tapete im Hintergrund – und damit wird das politische Anliegen des Life Balls zum Ornament. Das ist alles nicht neu, das ist bloß: seltsam geschichtsvergessen.

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