Hunde schnüffeln sich gegenseitig am Hintern rum. Menschen gucken auf ihre Smartphones. Im Grunde dasselbe. Unser Autor erklärt seinem Labrador, was Kommunikation ist.
Adele, komm mal her! Mach Sitz! Und hör gut zu, ich muss dir was erklären. Heute: die Kommunikation.
Weißt du, Adele, manchmal haben die Menschen allen Grund, auf euch Hunde neidisch zu sein. Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, was man wissen will, was man wissen kann und in welchem Verhältnis das erwünschte und das tatsächliche Wissen zueinander stehen.
Guck nicht so belämmert, Adele, ich gebe dir gleich ein Beispiel. Ich weiß ja, dass du für Abstraktionen nichts übrig hast. Wenn also ihr beiden unterwegs seid, du und Monty, dein, nun ja, biologischer Papa, und ihr trefft einen anderen Hund, dann klärt sich meistens innerhalb von ein paar Sekunden, was ihr voneinander denkt. Wenn ich richtig informiert bin, besitzt ihr Hunde zu diesem Zweck ein Kommunikationssystem, das über Gesten und Blicke, vor allem aber über den Geruch funktioniert und ganz offenbar von hoher Aussagekraft und Zuverlässigkeit ist.
Jedenfalls steht schon sehr bald fest, ob ihr einander gleichgültig seid, ob ihr miteinander spielen, euch gegenseitig totbeißen oder eine spontane Sexualpartnerschaft eingehen wollt. Und bei jeder erneuten Begegnung ist die einmal getroffene Entscheidung sofort wieder präsent. Weder habe ich jemals erlebt, dass ihr euch mit einem befreundeten Hund zerstritten, noch dass ihr euch mit einem verfeindeten Hund wieder versöhnt hättet. Nur die Verhaltensweisen in Sachen Sexualität unterliegen einem gewissen Zyklus, der aber leicht auszurechnen ist.
Ich muss allerdings gestehen, dass euer Verfahren des Austauschs persönlicher Informationen auf uns Menschen ein wenig, nun ja, indezent wirken kann. Anders gesagt: Wir Hundebegleiter haben manchmal gewisse Probleme damit, euch dabei zuzusehen, wie ihr euch gegenseitig die Nasen in die Hinterteile stupst, also dorthin, woher der Infoduft kommt. Ich kenne sogar Hundebegleiter, die eine solche Kommunikation unterbinden, etwa durch Leinenreißen oder Pfuirufen in großer Lautstärke.
Ich finde das, beiläufig gesagt, falsch. Man stelle sich vor, ihr Hunde würdet uns Menschen, wenn wir etwa einem Artgenossen des anderen Geschlechts im Stadtpark begegnen, ein schwarzes Tuch über den Kopf werfen oder uns einen Tennisball ins Maul stopfen, damit ihr unsere Blicke und Gesten und vor allem unsere Konversation nicht aushalten müsstet. Wo kämen wir da hin!
Schweife ich jetzt ab? Nein, gar nicht. Denn die bisweilen höchst gezwungene Konversation zwischen männlichen und weiblichen Hundebegleitern im Stadtpark ist ja schon ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten von uns Menschen, zu erfahren, was wir von anderen wissen wollen. Wäre man zynisch, könnte man sagen, eigentlich sind wir Menschen unseren Artgenossen gegenüber blind und taub. Was wir wahrnehmen, sind bloß Oberflächen, auch akustische, die allenfalls verschwommene Signale aussenden und in aller Regel täuschen.
Bleiben wir gleich beim Thema Mann und Frau. Mit Mühe reden wir uns ein, wir wüssten, wen wir „attraktiv“ oder „sympathisch“ finden. Aber schon darüber gehen die Meinungen dramatisch auseinander. Selbst im einzelnen Individuum. Vollends auf dem Schlauch aber stehen wir, wenn wir mal schnell erfahren wollen, ob unser Gegenüber zuverlässig, ehrlich oder intelligent ist, um nur wahllos drei von dreihundert oder dreitausend wichtigen Eigenschaften zu nennen. Tatsächlich verbringen die meisten Menschen ein halbes Leben mit einem Partner, nur um schließlich herauszubekommen, dass er ganz jemand anderes als gedacht und außerdem der vollkommen Falsche ist.
Allerdings, liebe Adele, sind wir Menschen jetzt dabei, ein wenig zu euch Hunden aufzuholen, jedenfalls was den zwischenmenschlichen Informationsaustausch angeht. Du hast vielleicht schon davon gehört: die Sache heißt „soziale Netzwerke“ und hat, wie könnte es anders sein, mit dem Internet zu tun. In diese sozialen Netzwerke pumpen seit einiger Zeit praktisch alle Menschen tonnenweise Informationen über sich selbst. Und zwar Informationen jeglicher Art: vom forciert erotischen Aktbild über engagierte Reiseberichte aus Thailand bis hin zu Fachvorträgen aus dem Berufsleben, Hassmails an Dienstleistungsunternehmen, larmoyanten Krankheitsschilderungen in Selbsthilfeforen und plagiatverdächtigen Naturgedichten.
Wer jetzt also im Stadtpark einen „attraktiven“ Vertreter des anderen Geschlechts trifft, der muss bei der Konversation eigentlich nur noch dessen Namen ermitteln und kann dann hinter der nächsten Hecke seine Nase in das Hinterteil des oder der Betreffenden stupsen, natürlich nicht buchstäblich, sondern im digitalen Sinne des Wortes. Und schon weiß er alles.
Tatsächlich ist das digitale Po-Stupsen, auch Googeln genannt, drauf und dran, eine so selbstverständliche Handlung zu werden wie das analoge Po-Stupsen bei euch Hunden. Unlängst hielt ich irgendwo einen Vortrag über ein schöngeistiges Thema, da bemerkte ich, wie ein Großteil des Publikums mir nicht zuhörte, sondern mich googelte, was nicht höflich, aber vermutlich irgendwie informativer und vor allem cooler war, als mir einfach zu lauschen und sich selbst ein Bild zu machen.
Du siehst, liebe Adele, Homo sapiens holt auf. Große Unternehmen versprechen uns sogar schon eine Gesichtserkennungssoftware, sodass ich die attraktive Besitzerin des Königspudels gar nicht mehr nach ihrem Namen fragen, sondern nur schnell mal fotografieren müsste, damit ich in ihr lesen könnte, so wie man es früher nur in den Büchern tat.
Dumm nur, dass Monty und du den Pudel zum Kotzen findet.
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