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Kerl mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft

 

Die Studentin redet von benutzten Mädchenschlüpfern und will 50 Euro. Für unseren Kolumnisten kommt es dicke: Er wird für einen Freier gehalten. Das Fax der Woche

Die junge Frau spricht mich im Park der schwarzen Schwäne an. Sie sieht dem Model mit den dicken Augenbrauen ähnlich. Ich reiche ihr eine Mentholzigarette, ich gebe ihr Feuer, ich starre wieder aufs Wasser. Sie muss nach dem ersten Zug husten. Platzregen, Kindergeschrei in der Ferne, Sirene des Notfallwagens, ich ziehe mich unter die dicken Äste der Eiche zurück.

Sie mustert mich. Was sieht sie? Einen unrasierten Mann in Schwarz, Schlammspritzer an Stiefelspitze und Hosenbein, vernarbte Wangen. Kerl mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft. Was sehe ich? Studentin im Flohmarktmantel, modische Turnschuhe, straffer Haarknoten auf dem Kopf, keine einzige lose Strähne. Ich wünsche ihr einen guten Tag. Sie bittet mich, zu bleiben und klopft auf den Platz neben ihr auf der Parkbank.

Freier mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft - Freitext
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu

Suizidale Situation. Wovon soll ich sie abhalten? Liebt sie die schöne Literatur und will sie mich für meine schamlosen Bücher rügen? Erinnere ich sie an ihren Vater, der vor Jahren verstarb? Ist sie jünger als vermutet, ist sie ausgerissen, will sie Menschenwärme und wagt sich an Narbenfressen heran?

Sie sagt: Ich habe keinen Freund, der mir Ärger machen könnte… Was meint sie? Ich sage: Was meinen Sie? Sie wirft die halb aufgerauchte Zigarette weg und bittet um eine neue, ich lege Schachtel und Feuerzeug zwischen uns auf die Bank.

Sie erzählt: In Japan bezahlen Männer viel Geld für getragene Mädchenschlüpfer, wie finden Sie das?… Schlecht, sage ich, Japaner schwätzen von der ruhmreichen Zeit der Ahnen, und dann machen sie so etwas. Das ist krank…

Sie lächelt, sie glaubt mir nicht. Hält sie mich für ein Schwein, das beim Anblick von schwarzen Schwänen romantisch grunzt? Sie erzählt: Es ist nichts dabei. Diese Mädchen in Japan, sie kaufen die billigsten Slips, tragen sie von morgens bis abends, tüten sie ein, verschicken sie nach dem Empfang des Geldes. Die Männer sind glücklich. Die Mädchen machen sich keine großen Gedanken. Kein Zwang, nur eine Transaktion…

Komisches Fremdwort. Sex mit der Post, Stoff zum Schnüffeln. Mädchenschlüpfer am Gesicht von mehlwurmweißen Japanern. Die Studentin lächelt nicht, bin ich ihre Testperson? Was studiert sie? Hoffentlich nicht Literaturwissenschaft oder Kunstgeschichte. Ich bin 21, sagt sie. Die Äste tropfen aus, am anderen Teichufer steht ein Mann im Regenmantel und schaut zu uns herüber. Was sieht er? Vater und Tochter? Onkel und Nichte? Suizidale Situation.

Früh am Tag habe ich das Blatt mit den Notizen vom Vorabend zerrissen. Schmutzige brockige Flecken von Badfliesen gebürstet. Habe beim Feudeln nachgedacht über die Unmöglichkeit, nach den Bildern der Poesie zu leben. Dann, Stunden später, die Begegnung mit dieser Frau, die mich ausgespäht hat – weshalb?

Brauchen Sie Hilfe?, sage ich. Ich bin kein Pfleger und kein Polizist, kein Japaner und kein Friseur, das sind meine Gedanken, ich behalte sie für mich. Der alte Männermantel steht ihr gut, sie ist hübsch, sie friert. Ihr Freund sitzt wohl im Seminarraum und schreibt eifrig mit, was der Herr Dozent an Lehrsätzen von sich gibt. Sie wird ihm diese Nacht von dem Mann erzählen, den sie am Teichrand traf, ein Hunne, ein Hugenotte, ein Schwanenfütterer, sie wird ihm erklären, dass der Hunnentotte keine Tüte mit Brocken alten Brots trug, doch das will nichts bedeuten, Männer um die Fünfzig ohne Begleitung, was treiben sie und was streifen sie herum, was treiben sie in einem Park, den die Städter für ein Stück Natur halten.

Diese Nacht wird die Studentin dem Studenten im Eifer eines Insektenforschers von mir berichten… Sie schaut mich an und sagt: 50 Euro, Reden und Hand, nicht hier, dort hinter den vielen Bäumen, Reden und Hand, da hast du später auch was davon, du bezahlst also nur so wenig für einmal in echt, und viermal in deinem Kopf, nicht anfassen, nicht küssen, schnell, komm… Ich laufe weg wie ein verängstigtes Kind. Sie hält mich für einen Freier. Mir glühen die Wangen.

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