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Wenn der Makler mit der Luxuswortanlage klingelt

 

Die Investorenprosa unserer Tage kann man lächerlich finden. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten ähnelt das prätentiöse Palaver dem aufgeplusterten Jargon der Nazis.

Neulich auf Usedom: An der historischen Seepromenade klafft zwischen den Gründerzeitvillen eine Lücke, als hätte man der Reihe historischer Gebäude einen Zahn ausgeschlagen. Davor informiert eine Schautafel über das Gebilde, das demnächst aus der Baugrube wachsen soll. Eine „neue Definition von Wohnfreude“ wird hier angeblich formuliert. Die „Magie der glanzvollen Kaiserbäder“ werde sich in dem „Wohnprojekt“ widerspiegeln. Und dann, ich zitiere wörtlich, aber aus Gründen der Menschlichkeit nicht in voller Länge: „Das stilvolle Exterieur des Objektes greift die prunkvolle Bäderarchitektur auf, ohne an Mondänität und Novität zu verlieren. 20 Luxusapartments auf vier Etagen zeigen, wie Exklusivität und Purismus sich zu einer einzigartigen Sinfonie vereinigen.“ Natürlich zeichnet für das Bauvorhaben nicht ein schnödes Immobilienbüro verantwortlich, sondern ein „contor“ − in retrofuturistischer Kleinschreibung, aber allen Ernstes mit c, so als handelte es sich um einen Kaufmannsbetrieb aus der Kaiserzeit.

Die Behauptung, dass die fischdumme Investorenarchitektur, die hier entsteht, stilistisch an die historische Bäderarchitektur anschließe, ist, das sieht man sofort, schlichtweg gelogen: Anhand der neben der Maklerprosa prangenden Bilder kann selbst der architekturhistorische Laie erkennen, dass es sich bei dem beworbenen „Objekt“ um ein x-beliebiges Apartmentgebäude im Hochpreissegment handelt, das genauso gut am Starnberger See oder in Bad Lippspringe stehen könnte. Mit den umliegenden Gebäuden hat es so viel gemein wie eine Hundehütte mit einem Hallenbad: ein Dach, Wände, Fenster. Aber darum geht es hier nicht, die Sünden wider die Baukultur mögen Kompetentere anprangern.

Was mich beschäftigt, ist die Sprache. Zuerst amüsierte sie mich. Dann ärgerte sie mich. Dann traf es mich wie ein Möwenschiss: Es handelte sich um einen schweren Fall von LTI − oder lingua tertii imperii, wie der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer in seinem gleichnamigen, erstmals 1947 erschienenen Buch die Sprache des dritten Reiches nannte.

Eines der hervorstechendsten Merkmale der LTI, so Klemperer, war die „Vorliebe zum tönenden Fremdwort“, zum affektierten sprachlichen Register. Die politischen Reden und Presseerzeugnisse des Naziregimes bedienten sich ihm zufolge andauernd und ohne Not „der geschwollensten Sprache des Tiefsinns, des pretiösen und geheimnisvollen Stils, der exklusiven Wichtigtuerei“ (die von Klemperer gewählte lateinische Bezeichnung LTI war eine bewusste Parodie dieses Stils). Und wer nach einem sprachlichen Register greift, das den eigenen geistigen Horizont übersteigt, der greift natürlich auch gerne mal voll daneben. „Mit Fremdwörtern prunkt jeder Autodidakt, und irgendwie pflegen sie sich an ihm zu rächen.“

Diese Beschreibung passt nun zu der aufgeplusterten Investorenprosa vom Ostseestrand wie der Anus auf den Eimer. Exterieur, Objekt, Mondänität, Novität, Exklusivität, Purismus: Auch hier werden gestelzte lateinischstämmige Lehnwörter aneinandergereiht, bis jede allfällige Bedeutung unter der Last des Gelabers zusammenbricht. Das wäre noch zu verschmerzen, wenn es sich hier um einen Einzelfall handelte − aber leider findet sich diese Art von Plustersprache genauso in Hamburg, München, Berlin. Unweit meiner Wohnung in Prenzlauer Berg entwirft ein Bauherr − pardon: er nennt sich „Initiator“ − derzeit angeblich „kreative Eurovisionen“, was immer das auch sein mag. Und eine neu entstehende Luxuswohnanlage in Grunewald verspricht ein „Höchstmaß an Individualisierung und Exklusivität des Interieurs“, was dann doch einen hübschen Widerspruch in sich darstellt (der Initiator würde sagen: eine Contradictio in adiecto), schließlich sind alle Objekte innerhalb der Anlage gleich individualisiert.

Offenbar geht es nicht darum, mit dieser Sprache − nennen wir sie nach einem beliebten englischsprachigen Ausdruck des Erstaunens WTF − Bedeutungen zu vermitteln, eine Beziehung zur außersprachlichen Wirklichkeit herzustellen, irgendetwas im herkömmlichen Sinn des Wortes zu ’sagen‘. Worum, zum Teufel, geht es aber dann? What the fuck, liebe Contoristen?

Klemperer identifiziert zwei Motive, die hinter der übermäßigen Verwendung großsprecherischer Fremdwörter stecken können. Erstens: Es geht schlichtweg um das Tönen, das Übertönen, das Wortgeklingel. „Das Fremdwort imponiert, es imponiert umso mehr, je weniger es verstanden wird; in seinem Nichtbegriffenwerden beirrt und betäubt es, übertönt es eben das Denken.“ Wie früher die lateinische Liturgie dient es vor allem dazu, das Publikum durch Sprachmacht zu beeindrucken, es in seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu halten. Kein aufgeklärter Mensch sollte sich so etwas bieten lassen.

Zweitens: Der vollmundige „Tiefenstil“ soll vor allem von Menschen aus bildungsbenachteiligten Schichten nicht verstanden werden − „er wird (…) den nach Absonderung strebenden Gebildeten ums Maul geschmiert“. Anders und ausnahmsweise mit einem Fremdwort gesagt: Es geht um soziale Distinktion. Das protzige Hochsicherheitsobjekt, in das die Gebildeten − oder zumindest Begüterten − dereinst einziehen sollen, wird bereits auf dem Feld der Semantik errichtet. Die WTF überträgt das Prinzip der Gated Community, der geschlossenen Wohnanlage, auf die Sprache. Diese ist im wahrsten Sinne des Wortes exklusiv: Sie schließt aus. Dabei ist sie so hässlich, dass kein denkender Mensch darin wohnen kann. Auch für die protzigen Luxuswortanlagen der Makler sollte daher das alte Büchner-Wort gelten: Friede den Hütten! Krieg dem Palaver!

P.S. Wenige Kilometer westlich der Baugrube, vor der Küste von Usedom, soll einstmals die sagenhafte Stadt Vineta gelegen haben. Doch durch ihren Reichtum und den damit einhergehenden Hochmut zogen ihre Bewohner den Zorn der Meeresgötter auf sich. „Vineta, Vineta, du rieke Stadt, Vineta sall unnergahn“, soll eine Nixe ihnen noch prophezeit haben. Aber die Bewohner hörten nicht auf sie oder sie konnten sie nicht verstehen. Vielleicht sprachen sie schon damals nur WTF.

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