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Frauen sterben, bevor sie sterben

 

Männer, diese aufgepumpten Wichte, pfuschen das Leben irgendwie so hin. Frauen beugen sich der männergemachten Welt – und altern und verzweifeln daran. Das Fax der Woche

Tischgesellschaft, sieben Frauen um die Vierzig. Was stimmt nicht? Sie sind lustig, sie werden lustiger: die Cocktails. Sie rühren mit dem Strohhalm im hohen Glas, strudelnder Eisbruch. Sie schauen und staunen nicht. Sie sind verlegen. Ehering am Finger. Sie reden nicht über ihre Männer. Entlastung. Pause. Schöner Frauenabend. Was stimmt nicht? Sie werden die Rechnung begleichen und zurückkehren.

Kellner sagt: Frauen sind ein Segen. Aber sie bestellen nur ein Getränk … Angst vor dem Rausch. Sie würden sich beschwipst eingestehen: Ich wollte es so. So ist es nicht richtig. Ich bin nicht für Beständigkeit gemacht. Ich will schön bleiben. Die Tage, sie sind Gift. Ich schwinde. Mein Mann wird dick wie ein Onkel. Ich liebe ihn, ich liebe ihn nicht, ich liebe ihn … Ich sitze am Nebentisch und denke: Frauen und Dichter, sie dürfen nicht sterben.

Frauen sterben, bevor sie sterben - Freitext
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu

Wir Kerle: aufgepumpte Wichte, Lebenshasser. Wir hassen das Dauerhafte. Der Familienvater – eine bürgerliche Erfindung. Das dürfen wir nicht sagen. Was alles wir nicht sagen dürfen. Mann, Frau, verdammter Benimm. Lügen einander an. Ziemlichkeit, das ist die Pest. Oft träumt eine Frau von nichts, sie schläft durch. Dann träumt sie vom Gegenstück des Mannes im Ehebett. Wenn sie aufwacht, fängt sie an, zu lügen: Sicherheit, Herd und Heim im befohlenen, im vorzeigbaren Design. Alles klein geraspelt. Pastell und Panik. Der Kerl träumt von einem Weib, das ihn überfällt und auffrisst. Träumt von einer Antitabuhexe, vom Terrorsex. Wacht auf und verwandelt sich in das, was er ist und bleiben wird: ein chloroformierter Lügner. Fährt zum Bahnhof, hört auf dem Bahnsteig die Durchsage: Warnung vor organisierten Bettlergruppen und Trickdieben. Passt auf wie ein Fuchs, dass ihn die Hühner nicht zerpicken. Eine große tote Qualle treibt durch seinen Geist. Er denkt an die Hexe im Traum, an seine Ergebenheit, an ihre Schreie. Pornogefühle, Pornojucken in den Lenden.

Zurück zu den sieben Frauen: Schön sind sie, lustig sind sie, der Kellner lacht mit, scheiß was auf den Abendumsatz. Die erste verlässt den Tisch, zahlt am Tresen, eilt über den Platz im Schatten des Rathauses, schaut im Vorbeigehen auf die Statue: halbnackter Mann, Schwert in der Hand, Muskeln wie bei einem Olympier, blanke Brunst, grünspanzerfressen.

Der nächste Tag wird wild, da wollen wir nicht tändeln, da wollen wir uns schnell abschminken. Mann ist erregt, hat das Hemd aufgeknöpft. Wird nix, mein Lieber, du schnaufst mir zu laut, ich bin müde.

Die zweite Frau verabschiedet sich, dann löst sich die Tischgesellschaft auf. Die Unverbindlichen. Die Unverdorbenen. Sieben Frauen um die Vierzig. Was stimmt nicht? Parfümduft verweht, Saal verlassen, Lichter gehen aus. Das war keine Vorstellung, sie waren echt, ihr Lachen war echt, sie müssen nicht in die Welt hineinragen wie Männer. Sie hassen die Routine, und aber halten sich an die Abläufe, an Pläne, Übereinkünfte.

Sie altern wegen des verdrießenden Alltags. Sie wollen haben: keine Unsicherheit und Abenteuer, Kosmetik und Echtheit; Limonenfrische im Bad und Poesie; Kind und keinen Kegelbruder als Ehemann, Altbauwohnung und Straßenmusikerromantik.

Das geht nicht gut aus, das geht nicht. Frauen, die sich im Spiegel betrachten. Frauen, die Frauen in Modemagazinen betrachten. Frauen, die lügen lernen, weil sie Architektinnen ihrer faden Welt sind. Weil sie sich in der männergemachten Welt biegen und beugen. Weil sie sterben, bevor sie sterben.

Die Männer sagen: Ein Kinderspiel, das krieg‘ ich hin. Die Männer pfuschen, sie brechen, sie kitten und leimen die Teile. Kein Kunststück. Frauen billigen Kerlen mildernde Umstände zu …

Bekomme Kopfschmerzen vom Grübeln. Nachtspaziergang. Mann, verwahrlost, Krätze am Kopf, führt Selbstgespräche: Alle wollten mich heiraten, die Gudrun, die Petra, die Hilde, sogar im Rollstuhl kam die an und wollt‘ mich heiraten … Er spricht Dialekt, ich verstehe Bruchstücke, er bittet mich um fünfzig Cent oder lieber einen Euro. Er wirft die Münze in den Telefonschlitz, spricht in den Hörer: Die Gudrun, die Hilde …

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