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Einmal den perfekten Moment, bitte

 

Sommerferien sind die vorprogrammierte Überforderung. Und Luxussorgen der Extraklasse. Dieses Jahr müssen es trotzdem die schönsten aller Zeiten werden.

© Robin Utrecht/AFP/Getty Images
© Robin Utrecht/AFP/Getty Images

Das grüne Leuchten ist ein Film von Éric Rohmer – ich habe ihn ungefähr 16-mal gesehen. Es gab Zeiten, da gab ich sogar Essen, um meinen Freunden – nach der Pasta – den Film zeigen zu können. Aber die meisten mochten ihn nicht. Trotz der vorzüglichen Nudelgerichte nur Unverständnis für meine Begeisterung.

Das grüne Leuchten erzählt die Geschichte einer jungen Frau in Paris, die einen Tag vor den großen Sommerferien von ihrem Freund sitzen gelassen wird – oder war es ihre Freundin? – und nicht mehr weiß, wie sie den Sommer verbringen soll.

Alle verlassen Paris, also fährt auch sie zu Freunden aufs Land, geht alleine wandern, mit einer drallen Blondine ans Meer. Aber nirgends kommt sie wirklich an. Bis am Ende…, aber man verrät ja keine Filmenden.Die großen Ferien! Was für ein sagenhaftes Thema. Für ein Internatskind wie mich sind die großen Ferien das Größte überhaupt. Da muss alles passieren, was im Laufe des Jahres nicht passiert ist. Also Freiheit, Liebe, Abenteuer. Das klappt eher selten, weil es am Gardasee regnet oder die Eltern sich streiten, aber wenn es klappt… Der Kuss von dem jungen Kellner auf Elba, die Seeigel in den Fußsohlen, die Disco am Strand.

„Heute sagt man nicht mehr Disco!“, klären mich meine Kinder auf, was aber nichts daran ändert: In wenigen Tagen beginnen die großen Ferien und ich bin nervös!

Wie sollen diese Ferien 2015 sein? Das Meer? Die Berge? Zur Sommerfrische aufs Land? Tauchen für den Abenteurer in mir? Städtereisen für die Bildung?

Und die Kinder? Wie viele Freunde muss man mitnehmen, damit man sich in den sechseinhalb Wochen, die einen erwarten, nicht gegenseitig erschlägt? Brauchen sie Ruhe nach den Mühen der Schule oder eher Sport, Spiel, Spannung? Aber eigentlich – habe ich gelesen – ist Langeweile das Wichtigste für Kinder.

Kosten darf es auch nicht viel – denn die Steuer kassiert ausgerechnet immer kurz vor der Sommerfrische. Und ganz eigentlich sind sechs Wochen als Freiberufler sowieso undenkbar. Ich muss zwischendurch arbeiten, sonst gibt’s nie wieder Ferien bis zum Jüngsten Tag. Die Kinder müssen ins Ferienlager!

Delphine, so heißt die junge Frau aus Das grüne Leuchten, bleibt einsam zwischen den ausgelassenen Touristen, spröde und verschlossen kann sie sich nicht anpassen. Im Bikini fühlt sie sich nackt, in den Bergen ist ihr kalt und bei den Freunden mag sie das Essen nicht. Sie versteift sich darauf, den Salat nicht essen zu können, der Salat sei „ihr Freund“ ­– dann reist sie auch dort ab. Die Freunde wirken erleichtert.

Arme Delphine!

Nun gut: Sie ist kapriziös, aber im Grunde sind die großen Ferien eine Zumutung! Eine programmierte Überforderung. Es ist völlig unmöglich, sie nicht in den Sand zu setzen, zumindest ein wenig.

Natürlich sind es Luxussorgen der Extraklasse. Der Flüchtling, der gerade mal so Lampedusa erreicht, macht sich wenig Gedanken darüber, ob die Stadtverwaltung genug Papierkörbe am Strand aufgestellt hat. Also Schluss jetzt mit dem Überangebot für prätentiöse Eltern und Kinder! Wir gehen allesamt zur Ernte nach Baden-Württemberg und helfen den armen Bauern gegen Entgelt, sprich: Wir zahlen ihnen, damit wir sinnvoll an der frischen Luft sein dürfen. Mein Freund Marco wohnt in Ventimiglia, für ihn ist die Ferienplanung dieses Jahr ganz einfach, er arbeitet im Flüchtlingsauffanglager, jeder Freiwillige wird gebraucht.

„Habt ihr die Erscheinung gesehen beim letzten Sonnenstrahl, wenn der Himmel ohne Nebel und vollkommen klar ist? Vielleicht nicht? Nun das nächste Mal, wenn sich wieder Gelegenheit dazu bietet (sie ist sehr selten!), achtet darauf. Kein roter Strahl, sondern ein grüner, den ihr sehen werdet. Gibt es ein Grün im Paradies, so kann es kein anderes sein. Das wahre Grün der Hoffnung.“

Das schreibt Jules Verne in seinem Roman Das grüne Leuchten (oder auch: Der grüne Strahl), auf den sich Rohmer mit seinem Film bezieht. Dieses zarte hoffnungsvolle Grün, bevor es Abend wird, sucht Delphine. Dann würde alles gut… Und seien wir ehrlich: Wer sucht ihn nicht auch, diesen perfekten Moment, und nicht nur in den großen Ferien? Zufall, Natur, der Gang der Dinge, Glück. Die Wahrheit ist: Es ist nicht zu beeinflussen, schert sich einen Dreck um unsere Ferienplanung, Glück ist nicht buchbar, auch wenn TUI so tut, als ob.

Nun stehe ich allabendlich auf meinen Berliner Balkon und schaue der Sonne, so sie da ist, beim Untergehen zu. Warte auf das grüne Leuchten. Wer weiß, vielleicht sehe ich es ja, Ferien hin oder her.

Der Film Das grüne Leuchten ist übrigens von 1986 und gewann eben in diesem Jahr den Goldenen Löwen in Venedig. Die Frage nach den großen Sommerferien und dem Glück muss schon damals etliche beschäftigt haben.

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