Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Gaunermongole lernt Flötentöne

 

Sie töten schlafende Männer und ringen Widder nieder. Unser Kolumnist hört von starken Frauen in fernen Ländern und ist beeindruckt. Das Fax der Woche

Safran heißt Safran, weil er mit dem Verkauf von Importsafran Millionär werden wollte. Der Händler seines Vertrauens, ein ostanatolischer Mongole, kassierte das Geld, schickte ihm gelbrot gefärbtes, verbrocktes Pulver in Hanfsäcken, und tauchte unter. Safran und sein Cousin zweiten Grades klapperten die Städte an der türkisch-arabischen Grenze ab. Sie wurden für Schleuser, Spione und ein Homo-Pärchen gehalten. Wilde verrotzte Dorfkinder bewarfen sie mit Steinen, dem Cousin riss die Augenbraue auf, Safran strauchelte und krachte mit der Stirn auf die Kühlerhaube.

Sie fuhren in andere Dörfer, sie waren Deutschländer und sprachen ein miserables Gossentürkisch, die Kurden und Araber im Grenzgebiet spuckten aus und starrten sie an. Eine Dorfhexe sagte: Der Gaunermongole? Er hat sich zu weit vorgebeugt und ist in den Brunnen gefallen. Er erscheint mir jeden dritten Mittwoch im Traum. Er hat in einen rostigen Teller Löcher gebohrt, er will ihm Flötentöne entlocken, und weil es ihm nicht gelingt, bittet er mich, ihm beizubringen, wie man Flöte spielt. Ich bringe ihm stattdessen bei, wie man auf den Kniescheiben trommelt …

Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu

Safran und Cousin hörten der Hexe gebannt zu. Es wurde ihnen aber unheimlich, als sie die toten Skorpione in der Tonschüssel vorzeigte. Sie gaben ihr Geld, sie verlangte Safrans Sonnenbrille mit den rosa gefärbten Gläsern, er weigerte sich. Da pfiff sie ihre Söhne und Enkelkinder herbei, sie mussten ohne Sonnenbrillen weiter ziehen. Sie schliefen nur ein einziges Mal im Auto, Safran wurde vom Zähnefletschen einer Hyäne wach und schrie sich vor Angst heiser. Sein Cousin Hasan stieg aus, fütterte den wilden Hund mit gerösteten Kichererbsen und Rosinen. Sie stritten darüber, ob ein Hyänenhund vom Wolf oder vom Dachs abstammte.

In den Folgenächten übernachteten sie in Burgruinen, verfallenen Scheunen und Herbergen. Der Herbergsvater wusste nichts von Mongolen, er kannte sie nur aus Filmen. Er sprach von den Blüten der Niedertracht – was meinte er damit? Er sprach von Innenweltsstürmen – was sollte das bedeuten? Rätsel über Rätsel, der Mann erklärte nichts, füllte ihre Teller mit Kesseleintopf. Ein Knochensplitter stach Safran beim heftigen Kauen in die Zunge. Für zwei Tage konnte er nur noch lispelnd sprechen. Er wollte aufgeben, Hasan brachte ihn mit vaterländischen Parolen auf Kurs.

Staubige Straßen, leerer Himmel, Schüsse in der Ferne, Deutschland war weit weg. Sie machten einen Abstecher in das Heimatdorf ihrer Sippe. Der Cousin küsste gerührt die Erde, bekam einen Arschtritt, zerschrammte sich das Gesicht an den spitzen Kieselsteinen. Der Kurde, ein Hüne von Mann, zeigte auf Safrans Stirnbeule – er hielt sie für blutsaufende Banditen, er wollte sie mit bloßen Händen erwürgen. Nach drei Maulschellen und einem klärenden Gespräch lud er die Heimkehrer zum Festessen ein. In der Lehmhütte des Kurden roch es nach Esel und Kamel, nach Waffenöl und geröstetem Hammelfleisch. Safran würgte. Hasan würgte. Nach zwei Maulschellen bekamen sie großen Hunger und löffelten die Teller leer.

Sie gingen am trockenen Bachbett spazieren, und da aber erblickte Hasan die Tochter des Kurden. Eigentlich sah er nur ein Mädchen, das einen Widder an den Hörnern packte und ihn niederrang. Safran sah nur eine junge Frau, die mit einer Ziege sprach. Noch am selben Tag bat Hasan den Hünen um die Hand seiner Tochter. Er wurde abgewiesen und hockte bis zum Morgengrauen vor der Hausschwelle.

Die Ziegenhirtin sprach ihn an: Wenn du mich einsperrst, töte ich dich im Schlaf. Wenn nicht, rede ich mit meinem Vater … Hasan blieb im Dorf, Safran reiste allein weiter, er fragte nicht mehr nach dem Gaunermongolen, er überwand seine Angst vor Hyänenhunden und schlief nur noch im Auto.

Auf der Rückfahrt geschah nichts Ungewöhnliches, er kam heil in Kiel an, fand eine reguläre Parkbucht vor der Haustür, stieg aus, sah mich an der Ampel stehen und sagte: Ich erzähle dir eine Geschichte.

_________________

Sie möchten keinen Freitext verpassen? Aufgrund der großen Nachfrage gibt es jetzt einen Newsletter. Hier können Sie ihn abonnieren.