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Die Rentner schäumen

 

Motzen, pöbeln, schnarchen und schreien. Auf Busreisen nach Istanbul wie auch im sonstigen Leben zeigt sich schnell: Der Mensch ist nicht gut.

Der Nachtexpress nach Istanbul fährt auf dem Frankfurter Bahnhofsplatz vor. Die lauernden Türken werden munter. Mann mit geschwärztem Leistenbart schiebt mich zur Seite, die Tochter folgt im Galopp. Freie Platzwahl. Der Fahrer weist mir hinten einen Sitz zu. Der Gang ist mit Koffern vollgestellt, kein Durchkommen, ich schiebe mich nach vorne. Der Fahrer zeigt auf meine Aussiedlertasche und sagt: Was scheppert da? Sind es kleine Kupferkessel? Sind es Sparschweine? Ich sage: Es scheppern die Süßstoffspender für meine Mutter, ich habe gleich eine ganze Batterie gekauft.

Der Fahrer zwickt mich in die Backe, lobt laut meine Sohnesliebe. Ich darf neben einem echten Festlandtürken sitzen. Geschäftsmann, leicht entflammbar. Er studiert die Gesichter der Fahrgäste: Wer sieht harmlos aus, und wird aber im Schlaf brutal schnarchen? Der Mann in der Reihe vor uns erklärt: Regenwürmer haben fünf Herzen. Perlen schmelzen in Essig. Billardkugeln bestehen aus Presspappe. In der Zeit, in der man vier Zeilen liest, werden weltweit siebenhundert Millionen Ameisen geboren. Geschäftsmann läuft rot an, der Bus fährt los.

feridun_istanbul1Halt in Karlsruhe. Rentner wartet mit fünf Gepäckstücken am Wegesrand. Lynchstimmung im Bus. Fahrer zwei und drei verhandeln, man einigt sich auf zwei Koffer zur Mitnahme. Die Koffer werden in der Klokabine untergebracht. Durchsage mit Rückkopplungen: Toilettenbenutzung für restliche Fahrt untersagt. Mann im Vordersitz erklärt: Nur die weiblichen Mücken stechen. Nilpferde trinken täglich fünfzig Liter Wasser. Geschäftsmann will ihn erdrosseln, ich spiele den Friedensrichter. In Ulm endet die Reise, nein, falsch, wir steigen auf einen Business-Class-Bus um. Fahrer eins schreit ins Mikrofon: Freut euch über den höheren Standard!

Halt in München. Acht Fahrgäste. Konfusion. Wohin mit den Koffern? Wohin mit der recht empfindsamen Dame, die in den Armen ihrer Tochter erschlafft? Fahrer zwei schüttet ihr eine halbe Flasche Kölnisch Wasser ins Gesicht. Dame kommt gurgelnd zu sich, stolpert nach hinten, Explosion, Dame wird wieder bewusstlos. Der Reifen des Busses in der Nebenbucht ist geplatzt. Durchsage: Brüder und Schwestern, weg von den Fenstern, die Neugier bringt euch alle um! Alle Fahrer steigen aus – helfen sie beim Reifenwechsel?

Keine Durchsage, kein Licht, anschwellende Handyklingeltöne, Geschäftsmann wird stinkig. Sein Verdacht: Unser Reifen ist geplatzt, große Manipulation, große Verarschung. Fahrer drei erstattet Bericht, ich verstehe nichts. Brach die Achse oder die Federung? Endlich los.

Lichtschneisen in der Dunkelheit, zwei üble Schnarcher werden mit leichten Ohrfeigen geweckt. In Slowenien, hinter der Grenze, zwanzig Minuten Pause. Sturm auf die Toiletten. Die Pförtnerin nimmt nur Wechselgeld an, die Damen wedeln mit den Scheinen, man einigt sich auf eine Pauschalgebühr. An der nächsten Grenze steigen wir aus, zeigen den slowenischen und dann den kroatischen Zöllnern den Pass vor, laufen zum kleinen Streifen Niemandsland. Und warten. Wilde Hunde kratzen sich das Fell. Aaskrähen fliegen über unseren Köpfen. Ein Student aus Frankreich hat kein Transitvisum. Einreise abgelehnt.

Zurück zur Tankstelle auf der slowenischen Seite. Der Student soll in Wien im kroatischen Konsulat einen Blitzantrag stellen. Es ist Sonntag. Wir fahren weiter, er bleibt zurück. Die Rentner in den hinteren Reihen schäumen: Dieser Mann, verdient er wirklich unser Mitleid? Sogar Verbrecher haben Passierscheine. Sollten wir nicht den dämlichen Studenten deshalb besser mit Missachtung strafen?

Fahrer per Durchsage: Maul halten oder aussteigen! Sofortige Stille. Im Morgengrauen knacken die Grazien hinter mir Kürbiskerne. Das Nackenhörnchen scheuert am Hals, ich sprühe mir Alpenwasser aus der Dose ins Gesicht. Geschäftsmann wird stinkig, weil ich ihm versehentlich Ohr und Schläfe besprüht habe. Dreißig Minuten Pause im serbischen Pirot. Wadenkrämpfe, dicke Knie, in Schuhen gequetschte wehe Zehen, harte Muskelknoten. Die Erbsensuppe schmeckt nach Krötenbrei, ich breche das harte Brot, weiche die Brocken in der Suppe ein, das Brot riecht nach Hundeatem.

Rein in den Bus, Abfahrt, Schreie, der Bus bremst hart: Es fehlen Fahrgäste. Die Nachzügler werden mit Buhrufen empfangen. Eine Stunde Ruhe, Fahrer zwei weckt die lauten Schnarcher mit Kniffen ins Ohrläppchen. Schrei in der Nacht. Große Unruhe. Vater beruhigt: Mein Sohn hat schlecht geträumt. Ratschläge der Mütter und Tanten: Wadenwickel, heiße Milch mit Honig.

An der türkischen Grenze wird eine Großmutter mit Enkelkind von Zöllnern abgeführt. Die Rentner schäumen: Totschlägerin, üble Krähe, Spionin im Dienste der Bolschewisten. Fahrer bellt am Mikrofon: Maul halten oder Ausstieg! Stille. Um zehn Uhr fünfundvierzig taumele ich am Istanbuler ZOB hinaus. Erster Tag in der Hauptstadt der Imperien. Es beginnt.

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