Weil die Menschen einsam sind, erschaffen sie sich Prominente. Und wenn sie genug von ihnen haben, entsorgen sie ihre Geschöpfe wieder im Dschungel oder anderswo.
Adele, komm mal her! Mach Sitz! Und hör gut zu. Heute erkläre ich dir die Prominenz.
Menschen, liebe Adele, sind eigentlich Rudeltiere, genau wie ihr Hunde. Heutzutage sagen sie zwar dauernd, sie möchten unbedingt ihre Ruhe haben und ihre sogenannte Privatsphäre, aber das sind meistens halbe Lügen, wenn nicht gar ganze. Tatsächlich wollen sie nicht allein sein, sie wollen vielmehr, dass man sie beachtet und sich um sie kümmert. Und am liebsten würden sie natürlich geliebt.
Leider sind die Menschen dabei so anspruchsvoll geworden, dass es ihnen keiner mehr recht machen kann. Kaum kümmert sich jemand um sie oder liebt sie gar, da leiden sie schon unter „Zugroßernähe“ oder anderen Gemütskrankheiten. Kein Mensch kann heute noch, bildlich gesprochen, einen Abend lang auf dem Sofa liegen und sich den Bauch kraulen lassen, ohne dabei um seine Integrität als selbstständiges Individuum zu fürchten. Du, liebe Adele, kannst das sogar vollkommen unbildlich!
Statt aber das Am-Bauch-gekrault-Werden wieder ertragen zu lernen, ziehen die Menschen in Scharen in die großen Städte, wo keiner keinen kennt, nicht einmal seinen Nachbarn, und niemand sich um wen anderen kümmert. Zunehmend leben sie dort absichtlich und freiwillig ganz alleine für sich. Abends nach der Arbeit sitzen sie als sogenannte Singles alleine auf ihren Sofas in kleinen Hütten, die sie Apartments nennen. Kein Wunder, dass sie dabei immer unglücklicher werden.
Nun erinnere dich bitte an meine erste Lektion. Da habe ich dir erklärt, dass früher alle Menschen an ein Herrchen im Himmel glaubten. Wenn sie einsam waren, was auch damals vorkam, konnten sie sich immerhin sagen, dass das Herrchen im Himmel sie beobachtete und sich irgendwie sogar um sie kümmerte. Sie sprachen dann auch mit ihm. Das nannte man Beten und es soll geholfen haben.
Doch heute ist der Himmel für die meisten Menschen leer. Da gibt es niemanden, über dessen Wesen und Treiben sie sich Gedanken machen könnten. Und was noch schlimmer ist: Da gibt es auch niemanden, der sie beobachtet und sich, wer weiß, sogar ein bisschen um sie sorgt.
Um dem nun Abhilfe zu schaffen, haben die Menschen die Prominenz erfunden. Keine Bange, Adele, die Sache ist leicht erklärt. Prominent zu sein, das heißt, man hat irgendwas gemacht, von dem viele andere Leute erfahren haben. Das können ganz verschiedene Sachen sein. Prominent ist man zum Beispiel, wenn man Bundeskanzler ist und das Land regiert oder in einem Film mitspielt, den Millionen Menschen angucken, oder ein Buch schreibt, das einen großen Preis bekommt.
Doch das sind heute schon die altmodischen Prominenten, also Leute, die noch schwer dafür schuften müssen. Von denen gab es allerdings viel weniger, als man brauchte, und deshalb wurden die neuen Prominenten erfunden. Die müssten praktisch nichts mehr dafür tun. Es reicht, wenn sie das Millionenerbe ihres Papas für schicke Kleider ausgeben und sich in der Öffentlichkeit schlecht benehmen oder wenn sie aus Spaß in Kakerlaken baden oder bei Karaoke-Wettbewerben teilnehmen. Hauptsache, sie machen irgendwas, das nicht alle machen. Denn dann werden sie dabei gefilmt, kommen ins Internet, und schon sind sie prominent.
Jetzt fragst du natürlich, was man von dieser Prominenz denn hat? So kannst auch nur du fragen, Adele. Denk doch mal nach! Wer muss denn auf unseren Spaziergängen an jeder Ecke schnüffeln um rauszukriegen, wer hier eben vorbeigekommen ist? Das bist doch du. Und wenn du dann an diesen Ecken, nun ja, was machst, dann doch nur, damit die anderen Hunde jetzt wissen: Aha, Adele war da.
Genau so funktioniert die Prominenz. Die Leute machen was, damit die anderen wissen, dass es sie gibt. Und davon bekommen sie ein wunderbares Gefühl. Es ist fast so wie Geliebt-Werden, nur ohne die lästigen Begleiterscheinungen wie zum Beispiel Debatten über die Farbe des Teppichs im Wohnzimmer oder das nächste Urlaubsziel. Prominent zu sein heißt sich nicht mehr so allein im kalten Weltall zu fühlen, sondern ge- und erkannt zu werden. Zwar nicht von einem Herrchen im Himmel, dafür von sogenannten Fans auf der Straße. Denen geben die Prominenten dann ein Autogramm. Das ist in etwa so, Adele, als würdest du nur für einen ganz bestimmten Hund an der Ecke Pipi machen, damit er einen Beweis hat, dass es dich gibt und du vielleicht sogar an ihn denkst.
Das Allertollste an der neuen Prominenz aber ist, dass damit auch den vielen Millionen Menschen geholfen wird, die nicht prominent, sondern bloß einsam und unglücklich sind. Zunächst natürlich dadurch, dass sie sich sagen können: Mensch, prominent zu sein, das ist doch ganz einfach! Das werd’ ich auch. Ich fahr’ einfach mal mit verbundenen Augen und gefesselten Händen auf dem Skateboard volle Lotte in Gegenrichtung über die Autobahn und lasse das filmen, schon kriege ich eine Million Klicks auf YouTube, bin dann prominent und nicht mehr so einsam im kalten Weltall. Was dann auch sofort funktioniert, jedenfalls teilweise.
Und wer sich das nicht traut und wem überhaupt nichts einfällt, was Bescheuertes er machen könnte, um selbst prominent zu werden, der kann sich immerhin in seiner Freizeit hobbymäßig für die Prominenten interessieren. Er kann über sie in den Magazinen lesen, aber das ist schon altmodisch. Viel moderner ist es, über Prominente was ins Internet zu schreiben. Das nennt man Bloggen, und wenn man genau hinschaut, ist es ganz ähnlich wie Beten, nur viel einfacher.
Und jetzt, Adele, musst du zum Abschluss dieser Lektion noch etwas Wichtiges lernen. Achtung, aufgepasst: Prominente sind Modeartikel! Darüber weißt du ja schon Bescheid. Was Mode ist, wird nach einer bestimmten Zeit weggeworfen oder kommt in den Keller. Genau so die Prominenten. Wenn sie abbewundert und durchgebloggt sind und sogar schon im Dschungelcamp waren, erweisen sie sich plötzlich als vollkommen uninteressant, wenn nicht gar als peinlich und lächerlich. Sie heißen dann auch nicht mehr Prominente, sondern Promis. Das soll wie ein Kosewort klingen, ist aber ein Schimpfwort. Kein Mensch würde seinen Hund so nennen. Die Promis müssen dann irgendwann ihre Prominenz wieder abgeben, bekommen nach zehn Jahren als Trostpreis noch einen „Was macht eigentlich XY?“ Artikel und dürfen dann auf den Tod warten.
Meistens tun sie das übrigens allein.
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