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Defilee der halbnackten Terrassendamen

 

Der Kellner in Istanbul bittet, nicht immerzu an den Stringtangabikinis zu zupfen. Ist der entblößte Arsch der Russin das Fleisch des Fortschritts? Das Fax der Woche

Der Heimkehrer steckt in der Rattenfalle. Es wird nicht besser werden, es wird nicht. Goldtaler regnen vom Himmel. Vor knapp zwei Jahren zog Mustafa von Berlin nach Istanbul, er glaubte an den scharfen Schnitt, an den harten Wechsel. Die Deutschtürken in der Szenenkneipe hatten gejauchzt und gejubelt: Das ist herrlich, Mustafa, du wirst in unserer Heimat gedeihen! Er gedieh nicht, er schrumpfte, er fühlte sich ganz und gar nicht gesegnet. Die Hippen der Stadt pfiffen auf ihn, sie hatten das Meer, den Himmel, und große Dichter, die das Meer und den Himmel besangen. Mustafa, das Mustermännchen, langweilte sie.

Lärm, Lähmung und Legenden, das war für ihn der Orient, man musste gründlich aufräumen, alles Brackige und Bröckelnde verschwinden lassen. Die neuen Freunde sagten: Geh doch rüber, wenn’s dir bei uns nicht gefällt, geh‘ doch wieder zurück, und stutz‘ dort die Hecken. Seitdem hängt er sich an jeden Gast aus Deutschland. Jetzt starrt er auf die Bonsai-Mandarinenbäume in den weißen Übertöpfen. Auf einem Schild am Spieß ist zu lesen, dass der Verzehr der Früchte nicht empfohlen wird, sie sind mit Pestiziden besprüht. Schöne Aussicht auf den Bosporus.

Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu

Containerschiffe und Öltanker ziehen vorbei. Möwen im Gleitflug über den Dächern. Auf der benachbarten Terrasse spielen eine Flötistin und ein Gitarrist den Touristen zur besseren Verdauung melodische Stücke vor. Byzantinisches Licht, osmanische Melancholie. Halbnackte Russinnen auf den Sonnenliegen, es sind Nataschas auf Männerfang, Porno-Musen, die auf reiche Muselmanen setzen. Der Kellner bittet sie höflich darum, nicht allzu laut zu schnattern und nicht allzu oft an ihren Stringtangabikinis zu zupfen. Die deutschen, dänischen und spanischen Damen fühlen sich belästigt. Die Nataschas laufen rot an, schlingen transparente Strandtücher um die Hüften. Der Heimkehrer braust auf, er schimpft über die rückständigen Türken.

Ich sage: Ist der nackte Arsch einer Russin das Fleisch des Fortschritts? Jetzt hat er endlich den idealen Reaktionär gefunden, auf den er einhacken kann. Komisch sind die Männer, die das Recht der Frau auf teilweise oder vollständige Entblößung verteidigen. Wofür gibt es FKK-Strände? Ist die dänische Dame auf der Dachterrasse eine Evangelikale, nur weil sie auf Verhältnismäßigkeit besteht? Mustafa besteht auf der Einhaltung der Regeln – welcher Regeln? Es müsse überall erlaubt sein, sich auszuziehen, Nacktheit sei ein Menschenrecht, die Schwarzverhüllten auf den Straßen drehten ihm den Magen um, sie seien Augenpest und Seelencholera…

Ein halbgebildeter Berliner Strizzi macht den Volkserzieher. Er lächelt die Russinnen an, die ihn kurz mustern, und sich aber abwenden. Sie pfeifen auf einen halben Kerl ohne Rolex am Handgelenk. Mustafa sagt: Schau, wie wir mit Frauen umgehen. Was werden sie erzählen, wenn sie heimkehren? Ich sage: Geh doch rüber zu Putin, Junge… Abenddämmer, das Wasser kräuselt sich, in der Ferne ragen die Prinzeninseln wie kleine Buckel auf. Defilee der halbnackten Terrassendamen, ein leichter Wind ist aufgekommen, sie frösteln. Wie zufällig fällt ein Strandtuch auf den Boden.

Mustafa, der Fußsoldat der Aufklärung, springt auf, greift zum Tuch, gibt es der Russin mit den knallrot lackierten Finger-und Zehennägeln. Ist das der Beginn einer interkontinentalen Liebe? Wird sie dem galligen Buben einen sanften Kuss auf die Backe drücken? Wird er dann auf die Knie sinken, und das Lied mitpfeifen, das die Flötistin und der Gitarrist gerade spielen? Ich setze zu einem sachten Applaus an, aber die Russin reißt Mustafa das Tuch aus den Händen und stapft schnatternd davon. Der Heimkehrer ragt im Abenddämmer wie eine Fahnenstange ohne Fahne auf. Wer spricht ein tröstendes Wort? Nicht die Däninnen, nicht die deutschen Damen, nicht die Spanierinnen, nicht ich. Die Frauen spähen lächelnd in die Ferne, ich lausche den Männern, die das Gebet ausrufen.

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