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Triumph des Turbokonsums

 

Was soll man mit teuren Schweizer Uhren, die eine Atombombe überstehen? Auf dem türkischen Markt lernt man: Das wahre Glück liegt im billigen Imitat. Das Fax der Woche

Jetset-Basar im Stadtteil Rami. Zeltsiedlung, die Zelte bestehen aus Planen und Segeltüchern, die sich über den Ständen spannen. Die Patrizierhäuser im alten Byzanz wären bei dieser Hitze zerschmolzen. Das Volk kauft Imitate. Marktschreier klettern die Metallpfosten hoch, preisen laut Frauenunterwäsche in ziemlichen Worten. Keine einzige unbegleitete junge Frau. Die Händler möchten nicht erleben, dass die Mütter zornig werden. Sie sind Denkmäler der Sittsamkeit.

Es geht das Gerücht, dass erst vor wenigen Tagen eine Mutter Stand und Händler zerlegte: Der junge Mann hatte im Überschwang einer frommen Schwester ein halbtransparentes Nachthemd zugeworfen. Die Mutter schimpfte ihn ein Harnhaupt und einen Madenbeutel, sie hätte ihn fast mit ihrem Sonnenschirm aufgespießt.

Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu

Was gibt es nicht alles zu kaufen. Tunikas mit Armbund und aufgesteppten Rosengirlanden. Plisseeröcke. Miederhosen, Schlankformschlüpfer, Viertelarmunterhemden. Ausfahrjäckchen mit angenähten Pompoms am Ausschnitt, Strampelanzüge und Spielhöschen. Ein Imitatuhrenhändler verstellt mir den Weg, er erzählt: Triumph des Turbokonsums! Jede Uhr kostet zehn Piaster, nicht Euro, alles türkisch hier. Mit der Siegermarke am Handgelenk bist du für ein Jahr unschlagbar. Alle Welt staunt. Deine Freunde staunen. Die Frau, die du in zehn Jahren kennenlernen wirst, fängt an zu staunen.

Dann bleibt die Uhr stehen, meinetwegen an einem Freitagnachmittag im November. Du wirfst sie weg. Du könntest das Uhrwerk wechseln lassen. Weshalb? Du kommst zu mir, ich verlängere dein Leben als Markenstar. Trotz langlebiger Batterie geht jede Uhr kaputt. Die Schweizer werben mit Uhren, die jede Atombombe überleben. Was hast du davon, Bruder? Du bist verdampft zum Schatten an der Wand, und aber die Uhr bleibt heil. Der Schweizer steht im Wettstreit mit Gott, er wird verlieren. Ich blende mit Blendwerk, mit Ticktack im Plastikgehäuse, mit Glück in Dosen. Ich mach‘ jeden und jede zum Markensieger, ich bin der Volksbeglücker, ich bin der Machmud unter Planen. Ich beglücke den Witwer mit Unbezwingbarkeit. Die jungen sexbesessenen Hyänen mit laut tickenden Metallkapseln. Das kleine Mädchen trägt die Uhr, die im Original so viel kostet wie hundert reinrassige Hirtenhunde. Wen beglück‘ ich nicht? Die Gottesleugner, die mordenden Piraten, und die Händler, die Witwen und Witwer bescheißen …

Fromme Schwestern im lichtschluckenden Schwarz bleiben stehen, sie glucksen und klatschen: Der Meister des Fakes ist ohne Falsch. Am Börsen-und Taschenstand treffe ich auf einen Mann, der aussieht wie ein kürbiskernknackender Kannibalenkönig. Er sagt: Freund, du siehst schlimm aus, wer hat dich derart zugerichtet, war es ein nicht kastrierter Hund, der dich aus der Mülltonne ansprang, waren es Krähen, die dein Haar für das Fell eines zerrupften Marders hielten, nein, lass mich raten, du leidest, achtunddreißig Grad im Schatten, ist das schlimm, vielleicht kaufst du ein Damenkörbchen und stülpst es dir über deine suppende Rübe? …

Der König des Zeltbasars erklärt, was die italienischen Modeschöpfer bewegt: Sie stecken Männer in Jünglingskleider, in Hosen in Goldlamé, in taillierte Hemden in XL, und die Kerle mit den wippenden Wänsten frohlocken, weil sie mit der Mode gehen. Er will mir eine Krokoleder-Handtasche verkaufen, ich lehne dankend ab, er wendet sich echten Kunden zu.

Im hintersten Winkel liegen wie schlaffe Büffelhäute Morgenröcke für mollige Damen aus, der Händler schaut in einen aufgeklappten Handspiegel, taucht den Kamm ins volle Wasserglas und kämmt sich in langsamen Strichen. Er fragt: Hast du eine gefräßige Tante, die du mit dem Morgenrock erfreuen könntest? Nein? Eine Cousine? Auch nicht. Dann geh mit Gott. Er klagt über die dünnen Tanten in dieser Stadt, die ihm das Geschäft verderben. Seine dünne Frau sieht ihn finster an. Zur Strafe muss er sie mit der gefalteten Zeitung anfächeln. Ich wische mir den Schweiß vom Gesicht, hole tief Luft und trete hinaus. Vierzig Grad im Schatten, alles schmilzt.

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