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Die Freiheit kann nicht grenzenlos sein

 

Ein Algorithmus ist politisch indifferent, ein Unternehmen darf das nicht sein. Warum Facebook Verantwortung übernehmen und gegen rassistische Inhalte vorgehen muss.

Facebook hat mal wieder Mist gebaut und zwar so großen, dass es viele seiner Nutzer gegen sich aufgebracht hat. Und das zu Recht, hat sich das soziale Netzwerk in letzter Zeit immerhin als Plattform für rechtsextreme und rassistische Hetze hervorgetan und geradezu verschlafen, gegen Posts vorzugehen, die zur Gewalt gegen Ausländer aufrufen. Nun schreitet sogar Justizminister Heiko Maas ein und bittet die Konzernleitung an den runden Tisch.

So weit der Tatbestand, der Fall ist ernst, die Fragen, die dahinter liegen, aber noch weit größer. Und sie sind drängend. Denn es braucht eine Antwort oder vielleicht auch viele Antworten darauf, wie mit einem immens mächtigen Kommunikationsnetzwerk, genannt Internet, umzugehen ist, dessen Strukturen sich zunehmend als ausgesprochen extremistenfreundlich erweisen und zwar international, von Heidenau bis zum IS.

Früher, in der Pionierzeit des Internets, träumten einige Freibeuter von einem Netzwerk, das jenseits staatlicher Restriktionen, gesellschaftlicher Hierarchien und nationalstaatlicher Grenzen ein Paradies der Zivilgesellschaft bilden könnte, der Freiheit und Visionen, der Anarchie und Debatten, in der jeder auf Augenhöhe mit allen anderen wäre. Das Internet als Gegenwelt zu herkömmlichen Gesellschaftsformen, die doch am Ende alle, mal im großen, mal im kleinen Stil, daran scheiterten, gerechte Herrschaft zu installieren.

Ganz so hübsch ist es dann doch nicht aufgegangen und das liegt wohl vor allem an Zweierlei: Gegenwelten werden schließlich von den gleichen Menschen besiedelt wie die normale Welt auch, und Träume haben sich immer schon gut vermarkten lassen. So ist auch dieser schnell von Konzernen aufgekauft und mit Logos wie Facebook, Google, Yahoo überklebt worden. Deren Vorstände und Verfassungen sind nicht aus einem gesellschaftlichen Dialog hervorgegangen, sondern folgen schlicht Markt- und Imageinteressen. Sie herrschen mit ihrer eigenen Logik, setzen Regeln und beschränken die Freiheiten ihrer Nutzer eben dort, wo ihnen etwas gegen den Strich geht. Oder besser gesagt: Dort, wo sie mitbekommen, dass es ihnen gegen den Strich gehen sollte.

Mit pornografischen Bildern kommen sie schnell zurecht, eine Erektion sieht schließlich auf Englisch, Chinesisch und Deutsch einigermaßen ähnlich aus. Was allerdings in den Kommentaren verhandelt wird, das wird oft überlesen, und wie sollte es auch anders sein, lassen sie diese schließlich von preisgünstigen Arbeitskräften in Asien prüfen, die nun eben nicht alle Sprachen der Welt beherrschen. So können eigentlich nur Bilder als diskriminierend und extremistisch auffallen, alles andere ist eine Anordnung von schwarz auf weiß und vor allem eins: neutral.

Diese Neutralität gegenüber Inhalten ist hierzulande auch schon mal bejubelt worden, zu Beginn des arabischen Frühlings, als sich junge Leute über das damals geradezu subversiv erscheinende Facebook organisierten, um gegen restriktive Regierungen, Überwachung und staatliche Übermacht auf die Straße zu gehen. Dass diese Neutralität politisch indifferent ist, jagt uns jetzt Angst ein, dabei dürfte es uns eigentlich nicht Wunder nehmen, dass sich auf die gleiche Weise und zwar mitten in Deutschland eben auch Rechtsextreme organisieren.

Das Internet ist im wahrsten Sinne ein Traumland, denn wie im Schlaf können wir hier unsere Ängste, Aggressionen und Lüste ausleben, ohne, so scheint es zumindest, mit den gleichen Konsequenzen zahlen zu müssen wie in der Tagwelt. Nur wandern die Alpträume aus dem Digitalen ins Analoge hinüber und zeigen hier ihre ganz realen Folgen, ob von rechtsextremer Volksverhetzung oder Rekrutierungsvideos des IS angetrieben. Facebook spielt dabei die Rolle einer Einstiegsdroge. Ein Untergrund, wie ihn der NSU im Namen trug, wird sich darüber nicht organisieren lassen, das, was ihm potenziell vorausgeht, kommt aber schon sehr gut mit der gleichermaßen öffentlichkeitswirksamen wie schattigen Struktur von Facebook aus. Zudem könnte das Belohnungssystem des sozialen Netzwerks, das eine Sucht nach immer neuen Beachtungserfolgen nach sich zieht, eine Radikalisierung seiner Nutzer sogar noch beschleunigen. Denn nicht der Stärkste setzt sich hier im Kampf um Aufmerksamkeit durch und schon gar nicht der Klügste, sondern jener, der die schwelenden Ressentiments seiner Community am rigorosesten aufzugreifen weiß.

Ein Algorithmus mag politisch indifferent sein, ein Unternehmen aber besteht aus Menschen und Meinungen, und diese können nur glaubhaft bleiben, wenn sie auch Verantwortung übernehmen – nicht nur für das, was innerhalb der Konzernstrukturen stattfindet, sondern umso mehr auch für das, was mit den von ihnen geschaffenen Strukturen überhaupt erst ermöglicht wird. Wie auch immer die Unterredung zwischen Maas und Facebook verlaufen wird, es sollte etwas juristisch Konkretes dabei herauskommen und nicht bloß salbungsvolle Entschuldigungen mit Verweis auf indische Korrekturleser und US-amerikanisches Recht. Eine Inszenierung, bei der lediglich Facebook sein Image wieder aufpolieren darf, braucht es nicht. Man kann nur hoffen, dass das innerhalb des Konzerns eingesehen wird, denn der ist leider zu mächtig, um sich etwas diktieren zu lassen – auch wenn es dringend nötig ist.

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