Trotz Hymne, High Fives und einer Schüssel Nüsschen: Gegen die Türkei ist den deutschen Basketballern nichts gelungen. Nichts. Überhaupt gar nichts.
Die Gewinner leuchten. Ein knappes Dutzend Fans hat Tickets in die Hand gedrückt bekommen: Deutschland – Türkei, Logenplatz, Chips und Bier und Promibesuch. Nowitzki-Trikots und T-Shirts von Niels Giffey. Großes Hallo. Kommentator Frank Buschmann schreibt Autogramme und macht seine Witze, später öffnet sich die Tür und Nationalverteidiger Mats Hummels steht im Rahmen. Auch Hummels leuchtet, eine Art Aura umgibt ihn, ein Schimmer aus Vorfreude und großen Erwartungen. „Weltmeister!“ skandieren zwei Gewinner. Zuvor hat er in Glasgow noch mit der deutschen Nationalmannschaft gegen Schottland gespielt, jetzt hat er einen Tag frei und will Dirk Nowitzki und die Mannschaft sehen.
Die Laune ist bestens. Eine Gewinnerin hat eigens eine Torte gebacken, einen riesigen rot-weißen Air-Jordan-Sneaker aus Schokolade und Marzipan. Das erste Modell von 1985! Allen ist zum Feiern zumute, alle sind sich einig: Jetzt geht es los! Wir haben das zwei Tage alte Serbienspiel noch vor Augen, die knappe und unglückliche Niederlage, die hervorragende Leistung. „Serbien“, sagt einer der Gewinner, „war der Wendepunkt. Jetzt sind wir auf Niveau angekommen.“ Die Türken müssen wir schlagen, sagen alle, wir schlagen die Türken.
Hymne, High Fives, Schüssel Nüsschen.
Und dann ist das Spiel von der ersten Sekunde an ein kaum zu begreifendes Durcheinander, eine große Unentschiedenheit, ein reinstes Chaos. Die deutschen Aufbauspieler lassen sich von den beiden Guards der Türken die Ohren langziehen. 3:0. 6:0. Sie werden von Sinan Güler und Ali Muhammed vorgeführt, der eigentlich Bobby Dixon heißt, oder „Uptown Mamba“, aber der sich jetzt einen türkischen Namen aussuchen konnte. Jetzt heißt er, wie er heißt, weil er Muhammad Ali mag. Ins Dekolleté hat er sich ein Bentley-Logo tätowiert. Seine Mannschaftskameraden nennen ihn Bobby, und Bobby und Sinan werfen, wenn ihre Gegenspieler unter den Blöcken durchgehen. 9:0. We got blitzed. Auszeit, aber auch das ändert nichts. Die Türken treffen weiter alles, die Deutschen treffen weiter nichts.
Alles! Nichts! Innerhalb von zehn desaströsen Minuten ist alles anders. Nichts ist so geworden wie erwartet. 4:16. Am Ende des ersten Viertels liegen die Türken 11:31 vorne, mit einer unfassbaren Wurfquote von 83 Prozent aus dem Feld. Sie haben nur zwei Mal nicht getroffen, sie haben immer eine Antwort auf alles Deutsche gewusst. In der Mitte hat der Riese Semih Erden gestanden und Ersan Ilyasova ist immer noch gut genug gewesen. Bundestrainer Fleming hat versucht, die Welle zu stoppen, er hat Schröder auf die Bank gesetzt, hat hier variiert, dort jenes versucht. Aber nichts hat geholfen. Nichts. Wieder wird mir vorgeführt, wie nutzlos Gefühle, Erwartungen und Prognosen sind. Es ist ein Rätsel, wer wir sind, und wie die Dinge sich entwickeln, lässt sich nicht vorhersagen. Die Gewinner trinken Bier, Hummels schüttelt den Kopf.
Die Stimmung in der Halle ist so grotesk wie das Spiel selbst. Alles wird in zehn Minuten zur Metapher der Katastrophe. Alles ist Kopfschütteln, Rätselraten, Irrsinn. Eine Anti-Schuppen-Shampoo-Firma verlost allen Ernstes ein gebrauchtes Handtuch von der Spielerbank, „mit dem Schweiß von Dennis Schröder oder Dirk Nowitzki“. Das klingt wie ausgedacht, passiert aber wirklich. „Gebrauchte Tage zu verschenken“, sagt einer der Gewinner. Eine Schuhfirma lässt zwei Kinder in riesigen Tretern über das Parkett stolpern und taumeln. „Wie unsere“, sagt einer der Gewinner. „Alles ein paar Nummern zu groß.“
Ab jetzt spielt die Mannschaft bergauf. Mats Hummels hat beim Länderspiel in Glasgow noch ein Eigentor geschossen, aber die Fußballer haben trotzdem gewonnen. Jetzt sitzt er hier mit seiner leicht getrübten guten Laune und sieht sich an, wie die Basketballer mit Rückschlägen umgehen: nicht gut. Die Halle versucht, laut zu werden, Hummels brüllt wie wir anderen auch, aber so richtig will uns das Brüllen nicht mehr gelingen. Nichts gelingt heute.
Das zweite Viertel eröffnen die Deutschen mit sechs Punkten in Serie. Eine Art Optimismus fliegt durch die Halle. „Punkt für Punkt, Baby“, schreit einer der Gewinner, „Punkt für Punkt!“ Aber der Ballon Hoffnung platzt, näher kommen wir nicht. Die Mannschaft läuft auf ihren vorbestimmten Laufwegen Pfade ins Parkett, die Türken kennen jeden einzelnen. Wir verstecken unsere Waffen, wir verschleudern unsere Talente. Nowitzki setzt Block um Block, aber bekommt den Ball immer erst viel zu spät im Angriff, oft als eine Art Notlösung. Ein Lead-Gitarrist, der in der Rhythmus-Sektion Akkorde schrubben muss. Keine Sets für offene Distanzwürfe, keine Spot-up-Jumper. Dennis Schröder, der vielleicht schnellste Spieler des Turniers, hält den Ball und verschleppt das Tempo, und wenn die Wand aus türkischen Verteidigern dann steht, rennt er dagegen oder drumherum. Alle anderen zögern. Der Wurf als Notlösung. Weil man beim Basketball halt irgendwann werfen muss.
Anfang des vierten Viertels wird Nowitzki ausgewechselt und setzt sich kopfschüttelnd auf die Bank. Man reicht ihm sein Handtuch und seine Getränke. Die Fotografen drehen ihre Objektive weg vom Spiel und hin zu ihm. Erst als die Türken ihren Vorsprung nur noch verwalten und das Spiel langsamer und langsamer wird, kann Schröder durch die Reihen rasen und punkten. Eng wird es nicht mehr. 75:80 sieht knapp aus, war aber überdeutlich.
Nach dem Spiel wird die die mitgebrachte Turnschuhtorte angeschnitten, aber niemandem ist zum Feiern zumute. Ob er noch runter in die Kabine wolle, wird Hummels gefragt, aber er schüttelt den Kopf. „Muss nicht sein“, sagt er und isst ein Stück vom Vorderfuß. Er hat Respekt vor solchen Dingen. Er weiß, wie sich Niederlagen anfühlen.