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Mädchenmetzger zerstückeln Leben

 

Eine Frau rupft sich haarlos, rupft sich blutig. Wie findet man Worte für das, was Beschneidung Mädchen antut? Es gibt nur eines: Verbrechen. Das Fax der Woche

Ich fuhr zu der Irren, man nannte sie die Irre, sie hatte Gott geschaut, sie blies die Backen auf, wann immer sich Wind regte. Sie hatte ihren eigenen Schlafplatz, eine Mönchszelle, Krug und Schüssel auf dem Tisch, zerrissene, verdreckte Röcke und Blusen in einem Haufen an der Längswand. Ins Kammerlicht stellte sie sich selten.

In den Tagen, da ich im separaten Haus auf dem Anstaltsgelände wohnte, hörte ich die Irren mit Spielzeug klappern. Sie schwärmten aus, zu dritt, zu siebt, und sie liefen über kahle Felder, sie scharrten mit bunten Klötzen Mulden auf, legten sich hinein, machten sich klein. Sie spielten Mausmenschen ohne Besteck und Zuversicht. Sie spielten: Heilerde essen, im Mund behalten, Steine ausspucken, im Versteck kauernd. Ich sah die Irre abseits stehen, man nannte sie Irre, weil sie sagte: Ich schlafe zerstückelt ein.

Sie riss sich Kleinigkeiten ab, Wimpern, Haare von den Augenbrauen, Schorfstücke von nicht verheilten Wunden. Ich dachte: Es ist die Zeit, da wir die Geschwärzten, die Entrückten, die Wilden und die Sumpfigen … Ich dachte den Satz nicht zu Ende, weil sie aufschrie, beim Anblick eines Krähen verbellenden Hundes. Eine Araberin, neu im Land. Ihre Schwester lehrte als Dozentin an der Universität, sie hatte die zu unpassenden Zeiten aufheulende Frau zur Behandlung hergeholt. Was stimmte nicht mit ihr? Ein Alptraum: Man hatte ihr Gesicht zerschnitten. Jede Nacht sagte sie: Ich schlafe zerstückelt ein. Dunkles Haar, Narben an den Armen, ein einziges Ohrläppchen.

Beschneidung: Mädchenmetzger zerstückeln Leben
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu

Was geschah mit dem anderen? Die Dozentin sagte: Ihr Geheimnis, mein Geheimnis, ich werde es nicht verraten. Sie lud mich ein, ihre Schwester zu beobachten und ihren Irrsinn in deutsche Worte zu übersetzen. Hier ist ein deutsches Wort: Verbrechen. Verhundete Männer taten ihr das an. Es braucht keines Dolmetschers für die schmutzige Fremdsprache der Kerle. Ich dämpfte meine Stimme, ich dämpfte meine Wut, denn die Verstümmelte ging um die Irren in den Mulden, sie spielte die böse Pflegerin, sie tat so, als peitschte sie auf die gesenkten Köpfe.

Sie lebte zerstückelt, mit der großen Narbe an ihrer Scham, sie war minderjährig, als der Beschneider mit einem Messer über sie kam. Jetzt trieb sie die Geisteskranken an, man lässt den Irren ihre Spiele. Später, in der Nacht, rauchte ich vor der Tür und lauschte: keine Schmerzensschreie, keine Traumlaute. Die Irren starben im Schlaf und auferstanden in der Frühe. Ihr Leid war der Tod aller Poesie: kein Trost. Sie rupfte sich haarlos, sie rupfte sich blutig. Träumte sie sich in die Zeit vor dem Verbrechen? Narbige Araberin im lebenslangen Kummer. Ihre Eltern waren bestimmt stolz auf das Schnittmal der Tradition. Sie hatten den Mädchenmetzger bestellt und ihn für seine Dienste bezahlt. Hier ist ein deutsches Wort: Verbrecher.

Was sagte die Dozentin? Sie traf sich mit mir draußen im Dunkeln, außerhalb der Kompetenzbereiche, unterm sternenlosen Himmel. Sie sagte: Vater und Mutter? Ich schicke ihnen Geld, dass sie nicht verhungern. Ihre Liebe wärmt, ich wehre mich vergeblich dagegen … Die Zerschnittene, neu im Land, kommt gut aus mit den Gestörten, mit den Verstörten. Am nächsten Morgen sehe ich sie die vom Mantel abstehenden Fäden einzeln um den Finger wickeln und mit einem Ruck abreißen. Ein Gespräch ist unmöglich, sie spricht in Tierlauten, oder in verschliffenen Kinderworten. Ende der Poesie, sie wurde geopfert. Ende der Poesie, was will man das Böse entwirren, sie ist hier und atmet deutsche Luft.

Dort, wo sie war, gab es Sand und Lehmhütten und sausende Steine, von denen man nicht wusste, wer sie warf. Es hieß: Die Jungen üben für die Steinigung an den Irren und an den Hunden. Fremdes Leid vor meiner Haustür. Wäre ich doch nur blind dafür. Hier sind deutsche Worte: Gott gibt Glück. Sie hockt in der Mulde und spielt: Lämmchen ohne die verlogene Tugend.

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