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Überall deutsche Moralprahler

 

Allein in der Kapselwelt: Wer angesichts der Flüchtlinge um Deutschland fürchtet, ist zum Geisteszwerg geschrumpft. Das Fax der Woche

Ich las die Schriften der Gelehrten, die das Volk verachten, das eigene Volk und die flutenden fremden Scharen, sie schimpfen sie Gewimmel und Gesindel, und als würde der Pöbel Giftsporen streuen, fliehen sie, die Experten, die Gelehrten, die Geistesriesen, in die Komfortzone, in die Kummerkammer, aufs Land. Sie schreiben: Deutschsein ist unmöglich heute. Sie wollen nicht zerfallen im Anblick des eingebildeten Zerfalls. Sie sind umgestoßen worden, die harten Winde haben sie erfasst, und also klammern sie sich an die Bücher der nationalen Erhellung. Das sind Gewichte, die sie am Boden halten. Das sind schwere Ziegel, die sie schichten und stapeln zur hohen Schutzwand, auf dass des Pöbels Lärm und Laute daran abprallen.

Die Gegenwart geht Volkes Verächter nichts an – das ist ihre Behauptung. Und doch würden sie, die Schreiber in der Abgeschiedenheit, zerbröckeln, wenn es zu einer wundersamen Klugwerdung des Packs käme. Ich las die Bücher der Schreiber, die Hegel und Jünger zu Heroen der Offenbarung erklären. Ich sah die Schreiber, sie sahen mich, sie versicherten mir ihre Verachtung, ich war doch nur hineingekommen, hineingestürzt in ihre Welt, die nicht aus Buchstaben und Worten, und aber aus Idee und tiefem Sinn bestand. Ich schrieb auf Deutsch, das ließen sie gelten. Ich sagte: Deutschsein heute ist möglich, ich bin deutsch. Sie lachten auf, als hätte ein Mustermohr vorgesungen. Sie übergingen diese Peinlichkeit. Sie legten mir nahe, von Spinnereien abzusehen und mich nicht länger meiner Herkunft zu schämen. Es gebot die Höflichkeit, dass ich sie nicht niederbellte, ich wandte mich ab.

Feridun-1910Diese deutschseinwollenden deutschen Schreiber lobten das Alleinsein in der Kapselwelt: Das Leben war und ist Seuche. Sie unterstrichen Lehrsätze in ihren heiligen Büchern und nannten sie Weisheiten. Ich rang um das richtige Wort, das sie kennzeichnete, und endlich fand ich dies Wort: Moralprahler. Ich bin ihrer überdrüssig, ich lese nicht mehr die Bücher der Männer, die sich auf Bücher aufgepumpter Männer vergangener Zeiten beziehen. Sie wandeln im Totenreich. Worin besteht ihr Glück? Was kommt zur rechten Zeit? Die Flüchtlingsflut. Sie übersetzen sie als fremde Figuren, als ein Phänomen der Zersetzung, als das Ende der Behaglichkeit. Nun endlich können sie sich als Volkspädagogen versuchen, sie schreiben: Dem schäbigen Volk, das die Meuten aller Welt hereinholt, gehör ich nicht länger an. Das Deutsche wird uns ausgetrieben, viele Kulturen sind der Tod der einen Kultur. Ich bin ein fremder Mann mit einem fremden Namen, ich sage: Deutschsein ist möglich, ich bin auf eine schöne Art deutsch geworden.

Ihr Schreiber, die ihr begeistert seid von den Schreibern der nationalen Erhellung, ihr wollt nicht dieselbe Luft atmen, die ich und meinesgleichen lieben, die deutsche Luft. Ihr wollt unter einem anderen deutschen Himmel leben. Was habt ihr nur? Ihr stottert Traumaphrasen daher, welche große Erschütterung lässt euch stottern? Wer Volkes Nähe meidet, wer Volkes Maul zunähen will, wird in seiner Kapselwelt nicht selig werden. Er wird zu Volkes und der Völker Betrachter. In den Büchern der glühenden Mannskerle stieß ich und stoße ich auf die Frau, die als große Fremdheit erfahrbar sei. Sie ist die Leerstelle, die Lücke, die Abwesenheit. Sie ist die Verstümmlerin der Herrlichkeit. Die Experten, die Gelehrten, die Geistesriesen, sie nennen die Frauen das Weibsvolk, den Weltungeist, die Verderbten. Es sind jene, die sich verpaaren mit Kerlen fremder Ordnung.

Vor Jahren saß ich am Tisch eines Schreibers, er hatte gelesen, ich hatte gelesen, und doch wurde ich von ihm nur geduldet. Es machte mir nichts aus, ich war nicht Mitglied eines Kegelvereins. Der Mann sprach wie ein enthemmter Bürokrat, er sprach vom Schaffen und von der Abschaffung seiner Kultur zugunsten fremder Volkskulte. Ich verstand: Er konnte nicht bekennen, ohne das Missliebige zu markieren. Die Misshelligkeit war für ihn das Wesen jeder nichtdeutschen Kultur. Schnell schrumpft man zum Geisteszwerg.