Gibt es etwas Schöneres als Urlaub hoch zu Rad? Wenn der Duft der Felder in der Nase kitzelt? Wenn Erinnerungen wach werden an vergangenes Glück? Eindeutig: ja.
Deutschland fährt Rad. Die Dicken, die Kleinen, die Ausgemergelten, die Alten, die Frauen, alle sind sie mit dem Rad unterwegs. Und ich meine nicht auf dem Rad mal eben zum Markt, sondern: Fernradwege, Routen quer durch ganze Bundesländer. Strecke ist gefragt, die ganze Welt per Drahtesel. Und bald vielleicht noch weiter: Auf dem Mars ist ja nun Wasser gefunden worden.
Nein, ich finde das gut. Radfahren ist gesund, umweltfreundlich und herrlich leise. Na gut, bei der Radkleidung könnte der ein oder andere eine liebevolle Beratung gebrauchen. Diese engen, windschlüpfrigen Höschen, dieser ergodynamische Helm, auch die Farben – nicht jeder ist ein Pantani im gelben Shirt des Leaders… aber ich will nicht kleinlich sein.
Die Sache mit dem Urlaub ist ohnehin kompliziert geworden. Beliebte Reiseziele, Sharm al-Scheich oder Sousse wurden Ziel brutaler Attentate, blasse, erschöpfte Touristen mussten ihr Leben lassen, nur weil sie in ihrem Jahresurlaub ihren Rücken brutzeln wollten. Die Bilder waren schockierend, nein, da will man nicht hin. Mir war nicht klar, dass Badeurlaub per se für die Islamisten schon Gotteslästerung ist, man lernt nie aus.
Andere Paradiese sind von Tsunamis, Erdrutschen und Regenkatastrophen bedroht oder schon dem Erdboden gleich gemacht. Und bei Ländern wie Griechenland oder Portugal weiß man nicht, ob es besser ist hinzufahren und mit Euros zu helfen oder es sein zu lassen und den angeschlagenen Hund seinem Schicksal zu überlassen… „Der Deutsche!“, hört man es flüstern… „früher gern einmarschiert, jetzt mit dem Rettungsschirm bei der Hand….“
Alles schrecklich, alles kompliziert, aber wenn der Urlaub naht, müssen die freien Tage begangen werden, sonst sind die futsch, wie der nicht begangene Mord an der Schwiegermutter. Na gut, der Vergleich hinkt.
Wo soll man hin, was kann man tun?, fragt sich Ottonormalverbraucher – und ich will ehrlich sein: ich mich auch.
Meine lesbische Freundin Inga hat sich für Berlin-Dresden-Prag entschieden, immer an der Elbe lang. Die Direktorin der Grundschule radelt durchs Baltikum. Und Bea fährt mit ihrer Kindergartenfreundin auf dem Mönchsweg, weil diese gerade von ihrem Ehemann verlassen wurde.
Elbe, Baltikum, Mönchsweg. Das klingt vielversprechend, das will ich auch.
Mein Mann ist sofort außer sich vor Freude. Er liebt es, Fahrrad zu fahren, am liebsten auf Tempo und sehr lang oder wenigstens sehr steil. Aber er würde auf all das, den Schweiß und die Athletik verzichten, wenn er mir endlich die Vorteile und Schönheit einer Radtour nahebringen könnte.
Meine zarten Überlegungen werden sofort in Fahrradtaschen (wasserdicht), Radkarten (ebenfalls wasserdicht) umgesetzt, für wasserdichte Kleidung reicht meine Hingabe nicht. Mein altes Rad ist schwer und schwergängig, muss ich halt ein bisschen fester treten, lächelt mein Gatte von seinem edelsten Ross herunter.
Schon war ich unterwegs, im vergangenen Sommer, Ostsee-Radweg. Notfalls schwimmen, sag ich mir…
Man muss, soll es nicht von Berlin aus losgehen, mit der Deutschen Bahn zum Startpunkt kommen. Das klappt in der Regel gut, nur hat sich die Bahn dem rasanten Fahrradaufkommen nicht gestellt. Pro IC gibt es an die 10 Fahrradplätze, alle anderen nehmen die Regionalbahn, und das sind dann die restlichen 1.000 Radfahrer. Mit ihren wasserdichten Taschen, wasserdichten Radkarten und wasserdichten Kindern. Hunde sind dabei, immer häufiger auch Anhänger.
Niemand ist an die Côte d’Azur gefahren, alle reisen durch die BRD und alle mit dem Rad.
Der deutsche Ostseeradweg ist sehr schön, man wird belohnt für die strapaziöse Anreise (wenn man acht Monate vorab bucht, kann man IC fahren), Felder und Sonnenblumen und dazwischen das glitzernde Meer.
Ich bin eine moderate Radfahrerin, maule nicht herum, wenn es bergauf geht, werde nicht ekstatisch bei Talfahrten. Schaffe bis 90 km am Tag, lieber 60, und noch lieber habe ich viele Pausen zwischendurch, um zu essen. Dieser Punkt der Tagesordnung scheint jedoch gestrichen: Der Norden hat seine Gasthöfe abgewickelt, Ost wie West, gastronomische Einöden.
Natürlich haben wir nicht vorgebucht, Fahrradfahren heißt Freiheit, carpe diem. Die Suche nach einer Unterkunft abends gestaltet sich abenteuerlich, voll oder überteuert, das hat man nun von seiner Risikofreude! Aber das ist nichts dagegen, tagsüber ein Café zu finden. Ich verstehe das nicht.
Hübsche kleine Dörfer, putzige Backsteinhäuser, die Gärten pico bello gepflegt, die Hecken geometrisch geschnitten, der Rasen hat Wimbledonniveau, und nirgends ein Mensch, nie. Weder im Garten noch im Vorgarten. Wo sind die alle? Im Baumarkt? Bei Möbel Hübner?
Auch keine Gasthöfe, keiner hat Hunger. Keine Wirtschaft, keiner hat Durst. Was man findet, sind ranzige Kioske, fettige Imbisse, die meist zu Campingplätzen gehören. Abgestandener Kaffee kostet dort ein Vermögen, Preise wie an der Piazza San Marco in Venedig. Für jeden gefahrenen Kilometer werden noch 10 Cent oben draufgeschlagen.
Die Jugendherberge will für ein Mehrbettzimmer 60 Euro, Etagenbetten wie im Internat, Duschen auf dem Flur. Ich will nach Hause.
Außerdem habe ich immer Gegenwind. Das ist so am Meer, sagt mein Mann.
Ständig überholen mich übergewichtige Muttis, mein Ehrgeiz ist gereizt, ich stemme mich in die Pedalen. Als mir klar wird, dass sie einen winzigen Elektromotor haben, bin ich außer mir vor Wut.
Vermutlich hat Papi der Mutti zu Weihnachten ein Elektrofahrrad gekauft, er war es leid, nach jedem Hügel auf sie zu warten. Ganze Schwärme untrainierter Urlauber rasen an mir vorbei, ich höre sie sagen: „Herrlich! Und abends ist man gar nicht müde!“ Was ist das denn für eine Mogelpackung? Abends nicht müde, obwohl man ganz Meckpomm umrundet hat? Ihr Feiglinge, Loser, bleibt doch zu Hause und pupst in euer Sofa!
Für die Herbstferien hat mein Mann eine andere Lösung gefunden: Wir fahren in den Süden, sagt er, da gibt es Gasthöfe und keinen Wind.
Ich bin skeptisch, denn statt Wind könnte es zu Regen und Sturm kommen, schließlich ist Herbst, aber ich will kein Spielverderberin sein … Wieder RE 3245, wieder Lokalbahnen.
Nach sechseinhalb Stunden hat man sein Ziel erreicht.
Der Süden ist sehr schön. Felder und Sonnenblumen und der Herbstwald in seiner ganzen Pracht. Ein Farbenspiel ohnegleichen und kein Gegenwind. Nicht einmal Regen. Dafür Gastwirtschaften ohne Ende. Da gibt es den fränkischen Bierweg und den bayrischen Bierweg. Man kann den Main entlang fahren, allerdings an der B26 entlang. Der Main ist ein Verkehrsweg, breit und ein bisschen langweilig, aber es gibt den Main-Weinweg und dann nach Kilometer 156 kann man links in das Taubertal abbiegen, an dem kleinen Fluss entlang fahren. Die Tauber und der Tauber-Weinweg sind wirklich sehr schön.
Weinfeste allerorten, der Süden ist in Feierlaune, alle sind auf der Straße, und zu den Bier- und Weinspezialitäten kann man wahlweise blaue Zipfel probieren oder Hirsch in einer fast schwarzen Soße. Ich wusste gar nicht, was für eine Vielfalt an kleinen und winzigen Brauereien und Winzereien die Republik hat. Ich dachte bisher immer, die Apotheke sei des Deutschen liebstes Kind.
Die Wege sind gesäumt von Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäumen, das Obst schmeckt wie früher, Deutschland ein Paradies, nur leider, leider sind in diesem Paradies Betten Mangelware. Entweder sind sie schon belegt von den eifrigen Frühbuchern, die auch im Herbst kein Pardon kennen, oder es gibt sie einfach nicht. Kein Platz für die echten Romantiker, die eigentlichen Pfadfinder wie uns.
Von den anderen Radtouren höre ich, wie schön Deutschland sei, eine Landschaft, die Gefühle und Erinnerungen an vergangenes Glück weckt, an Kindheit, an Ritter und Feen, voller Felder und Sonnenblumen und herrlicher Brauereien.
Im sorbischen Teil der Republik hat man zwar Schilder entlang des Radweges aufgehängt: „Bikers welcome“. Man freut sich also über Radfahrer. Aber die Pensionen oder Gasthäuser haben dann vorsichtshalber geschlossen. Es könnte ja ein Besucher kommen…
Die verlassene Ehefrau und meine Freundin haben im Kloster geschlafen, die sind religiöserseits verpflichtet, Unterkunft zu bieten. Von der Grundschuldirektorin fehlt jede Spur, wahrscheinlich hat sie ein Hotel im Baltikum eröffnet.
_________________
Sie möchten keinen Freitext verpassen? Aufgrund der großen Nachfrage gibt es jetzt einen Newsletter. Hier können Sie ihn abonnieren.