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Was haben Sie angerichtet, Herr Vogel?!

 

Das Urteil zur VG-Wort-Ausschüttung wird Verlage zerstören. Ein offener Brief an den Mann, der das Verfahren auslöste und so tut, als stünde er aufseiten der Autoren

VG-Wort: Was haben Sie angerichtet, Herr Vogel?!
© Julia Klug

Lieber Martin Vogel,

seit Tagen frage ich mich, ob Sie eigentlich wissen, was Sie da angerichtet haben. Und ich frage mich, ob Sie sich tatsächlich darüber freuen können, Recht zugesprochen bekommen, aber eine Schneise der Verwüstung in der deutschen Verlagslandschaft hinterlassen zu haben.

Ich habe Sie eben gegoogelt und mir versucht vorzustellen, was genau Sie umgetrieben hat, in den Prozess mit der VG Wort zu gehen. Vermutlich ging es Ihnen ums Prinzip. Ich weiß, Sie sind Autor im wissenschaftlichen Bereich, angeblich haben Sie auch für meine Rechte gekämpft, auch ich bin Autorin, aber ich fühle mich von Ihnen nicht sehr gut vertreten.

Das mag daran liegen, dass Autorenschaft ein weites Feld ist.

Sie, so habe ich es verstanden, werden als Autor eines wissenschaftlichen Werkes von der VG Wort mit Ihrem Verlag in einem 50/50-Verteilungsschlüssel vergütet. Mein Verteilungsschlüssel liegt bei 70/30, da ich belletristische Literatur schreibe.

2014 habe ich im Carl Hanser Verlag ein Buch veröffentlicht, das sich gut verkauft hat. Auszüge davon wurden in Tageszeitungen veröffentlicht, Ausschnitte im Fernsehen gesendet, das Buch war medial gut vertreten und es liegt in Bibliotheken aus. Viele Lehrer kopierten gleich das ganze Werk, um in ihrem Unterricht damit zu arbeiten, wie sie mir berichteten.

Bisher habe ich knapp 1.700 Euro von der VG Wort erhalten, mein Verlag also etwa 730 Euro (das weiß ich nicht genau, das habe ich nur errechnet). Soll ich Ihnen etwas sagen: Das finde ich vollkommen in Ordnung. Selbst wenn wir halbe-halbe gemacht hätten, fände ich das immer noch in Ordnung. Und ich kann Ihnen auch sagen, warum.

Obwohl ich Autorin bin, sehe ich den Verlag nicht als Gegner auf der anderen Seite, der sich an meinen Inhalten bereichert. Ich sehe den Verlag als Möglichmacher und Partner. Als einen Partner, der so mutig war, ein Debüt, einen Erzählungsband von einer unbekannten Autorin, in seinem literarischen Programm zu veröffentlichen.

Viele Aufgaben, die mein Verlag erfüllt, kann und will ich nicht alleine übernehmen. Ich brauche dafür ein Gegenüber. Angefangen bei der ersten Arbeit am Manuskript, dem In-Form-Bringen des Inhalts, bis zur äußeren Form, der Gestaltung und dem Druck des Buches. Dann denke ich weiter an den Vertrieb, an die tapferen Vertreter, die von Buchhandlung zu Buchhandlung tingeln und Inhalte anpreisen, dazu hätte ich gar nicht die Zeit. Dann die Lagerung der gedruckten Bücher, der Großhandel, das Verschicken, weiter die ganze Pressearbeit, das Koordinieren der Anfragen zu Lesungen, ach ja, und es wären ja noch die Nebenrechte und zu vergebenden Lizenzen ins In- und Ausland zu betreuen. Das alles sind Aufgaben, die ich nicht übernehmen kann und möchte. Ich möchte mir nämlich einfach nur Inhalte ausdenken und die dann aufschreiben. Ich bin Autorin. Und nicht Vertriebsmitarbeiterin, Lektorin, Herstellerin, Vertreterin, Verwalterin, Einkäuferin, Pressefrau, Öffentlichkeitsarbeitsfrau, Lizenzverkäuferin …

Dass diese Aufgaben von anderen Leuten, von Spezialisten, übernommen werden, finde ich gut. Und dass diese Spezialisten einen Anteil daran haben, wie erfolgreich ein Buch ist, ob es in Bibliotheken ausliegt, ob in Tageszeitungen Ausschnitte abgedruckt werden, ob es seine Leser findet, das ist für mich selbstverständlich. Deswegen bin ich auch einverstanden mit meiner prozentualen Beteiligung von 10 Prozent am Verkaufspreis des Buches. Buchhändler bekommen zwischen 30 und 40 Prozent, manche sogar mehr. Aber sie alle sorgen auf ihre Weise dafür, dass das Buch verkauft und der Inhalt verbreitet wird. Es entstehen auch bei ihnen Lager-, Versand-, Personal- und Werbekosten, das alles verstehe ich, und es ist für mich in Ordnung. Das habe ich ja genau so in meinem Vertrag mit dem Verlag freiwillig unterschrieben.

Aus allen diesen Gründen bin ich auch einverstanden, dass ein Teil der VG-Wort-Tantiemen an meinen Verlag fällt. Das ist für mich ein partnerschaftliches Teilen und selbstverständlich.

Es mag sein, dass es im wissenschaftlichen Buchbereich um die Idee der Partnerschaftlichkeit nicht ganz so rosig bestellt ist, wo ja oftmals der Druck des einzelnen Werkes vollständig durch die Autoren finanziert werden muss. Dass da ein Gefühl von Ungerechtigkeit aufkommt, kann ich nachvollziehen. Das liegt vielleicht dann aber nicht an der VG-Wort-Verteilung, sondern an einem Strukturproblem bei Veröffentlichungen innerhalb des Wissenschaftsbetriebes?

Ich weiß nicht, was genau Sie dazu bewogen hat, Ihren Klageweg zu gehen. Ich möchte Ihnen aber noch sagen, was Ihre erfolgreiche Klage meiner Meinung nach für kulturelle Folgen für uns alle, für Sie wie für mich, haben wird.

Bisher wurde die deutsche Buchlandschaft weltweit als besonders und erhaltenswert wahrgenommen, weil sie eine Diversität beherbergt und mit ihrer großen Vielfalt relativ stabil blieb.

Viele kleinere Verlage sind Bestandteil dieser Kulturlandschaft. Verlage, die mit Herzblut und nicht allein mit dem Ziel der Profitmaximierung arbeiten. Gerade solche Verlage trauen sich oft, literarische Debüts zu veröffentlichen. Die Autorin Nino Haratischwili hat beispielsweise ihre ersten Bücher im Verbrecher Verlag veröffentlicht – einem Verlag, der wegen des Urteils nun einen sehr großen Betrag als Anteil an den VG-Wort-Tantiemen zurückzahlen muss. Der Verleger Jörg Sundermeier selbst hat bereits erklärt, dass sich die Einbußen solcher Beträge auf sein Programm auswirken werden. Es werden weniger Bücher gedruckt werden, von denen man im Vorfeld nicht erwarten kann, dass sie sich rentieren.

Heute ist Nino Haratischwili eine preisgekrönte, erfolgreiche Autorin und inzwischen im Programm eines etwas größeren Verlages. Der Ursprung ihres Erfolgs liegt unter anderem aber auch im Mut ihres ersten Verlegers.

Für die größeren Verlage wiederum, die nun nach dem Urteil insgesamt höhere Summen zurückzahlen müssen, bedeutet das, dass ihr Programm in Zukunft noch mehr auf Verkaufbarkeit, einfache Konsumierbarkeit, Rentabilität hin ausgerichtet sein wird.

Nino Haratischwilis letztes Buch ist ein richtiger Klopper, ein 1.400 Seiten dicker Klopper, dessen Inhalt ein ganzes Jahrhundert in Georgien umspannt. Es ist fantastisch. Aber hätte es eine Chance gehabt, aus dem Manuskriptestapel herausgezogen und veröffentlicht zu werden, wenn der Verlag unter noch höherem Druck gestanden wäre, Verkaufserfolge zu erzielen?

Ich weiß gar nicht, ob ich selbst überhaupt eine Chance gehabt hätte, veröffentlicht zu werden, weil: Erzählungen, wie ich sie als Debüt veröffentlichte, so sagt man, verkaufen sich in Deutschland nämlich nicht. Dass es aber doch funktionierte, dass meine Inhalte eine größere Leserschaft erreichen konnten – das verdanke ich dem Mut meines Verlages. Solchen Mut kann nur haben, wer dafür den Spielraum besitzt. Und den haben Sie, lieber Martin Vogel, mit Ihrem Prozess und dem daraus resultierenden Urteil nun noch weiter schrumpfen lassen. Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir sogar überhaupt nicht. Die angebliche Kluft zwischen Verlagen und Autor*innen, die Sie mit Ihrer Klage weiter befeuert haben, ist für mich nur ein Abstand, der sich mit einem Händeschütteln überwinden lässt.

Karen Köhler

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