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Gehirn im Standbymodus

 

Gewalt, Sex, Saufen, politisch reichlich fragwürdig. Wer ein bisschen Verstand hat, sollte „Game of Thrones“ nicht mögen. Unsere Autorin guckt es dennoch. Wegen der AfD.

© HBO
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Wenn Game of Thrones läuft, sind mein Freund, mein Mitbewohner und ich aufgeregt und feierlich und sehr still, ohne sonst Teil der freakigen großen Fantasycrowd zu sein. Wir lassen uns nur gerne unterhalten und trinken dazu Bier. Bei Game of Thrones wird nämlich auch viel getrunken, es wird außerdem viel gevögelt, manchmal werden Menschen geköpft, man schlägt ihnen das Gesicht ein, man vergewaltigt sie, man sieht Brüste, Psychopathen und sterbende Helden.

Das ist nicht plakativ runtergebrochen, das ist die Wahrheit. Und das sind normalerweise alles absolute Ausschlusskriterien für mich, wenn ich mich für Filme oder Serien entscheide. Ich halte das nur aus einem Grund aus und habe 45 Minuten lang den Spaß meines Lebens: Ich habe ein Konsumgehirn.

Ich bin ein Kind des Fernsehens, des Filmes, des Privatfernsehens. Kinderserien, Sitcoms. Seriendramas, ich kenne sie alle. Ich kenne alle Auf- und Abs zwischen Dawson, Joey und Pacey. Ich kann sämtliche Texte sämtlicher Disneyfilmlieder auswendig. Ich weiß, wer wann zu welcher Zeit welches Ensemble von GZSZ und Verbotene Liebe ausgemacht hat. Manchmal treffe ich deren (Ex-)Stars in einer Berliner Tram und erkenne sie nicht nur, sondern bin kurz davor, sie zu grüßen wie alte Freunde.

Irgendwann wurde ich groß. Und stellte fest, dass GZSZ die gleiche Sendezeit hat wie Kulturzeit. Kulturzeit hat gewonnen, damals. Und damit war mein Austritt aus der Fernsehwelt auch ein wenig besiegelt. Ich kann zwar heute auf WG-Partys ausufernd und wahnsinnig kompetent mitreden, wenn Menschen in ihren Erinnerungen an damalige Fernsehserien mäandern. Aber ich bin raus, wenn es um all das geht, was die letzten zehn Jahre hervorgebracht haben. Wenn jemand Breaking Bad sagt, suche ich mir neue Gesprächspartner*innen, ein neues Themengebiet meistens. Manchmal sagen sie auch Homeland, ziemlich oft sogar. Es ist ja nicht so, dass ich die beiden Serien blöd finde. Ich habe einfach nur keinen Plan, was sie sind und worum es geht und was das ist. Weil ich Berührungsängste mit mir unbekannten Serien entwickelt habe. Und das hängt wohl auch damit zusammen, dass ich irgendwann, als ich groß wurde, dummerweise auch kritisch wurde. Und kritisch schließt einen ganz schön schnell aus, aus vielen Dingen.

Wenn man kritisch ist, denkt man nicht nur: Hey Dawson, so wie du redet kein Mensch und auch kein 15-Jähriger, und außerdem bist du Pfeife in echt schon 27. Man denkt auch: Warum ist Dawson Leery die Hauptfigur einer Sendung, in der es ab Staffel zwei gar nicht mehr um ihn sondern längst schon um seine Antagonistin Joey Potter geht? Warum muss ein Mann im Vordergrund stehen, wenn es eigentlich um die Frau geht?

Wenn man kritisch ist, macht auch Friends keinen Spaß mehr (ich bleibe bei den alten Serien, ihr wisst ja jetzt, warum), weil die sympathischen tollen Charaktere es für notwendig halten, einander mit ihren vermeintlichen Abweichungen der heterosexuellen Norm aufzuziehen, wenn man einander kurz aufziehen will. Das ist auch pointentauglich und wie gewohnt witzig. Und verletzt all jene, für die diese Abweichung keine Abweichung sondern die Norm ist.

Zu jedem Disneyfilm findet man, wenn man kritisch ist, auch noch eine wissenschaftliche Abhandlung, die deren sexistischen, antisemitischen und rassistische Züge analysieren. Und das Schlimme ist: Man findet sie in den Filmen wieder und kommt auch zwei Minuten später (beim Mitsingen) nicht über dieses beklemmende Gefühl hinweg. Amerikanischen Serien merkt man plötzlich an, wie republikanisch ihr Background ist, wie patriotisch all jene Episoden sind, die mir damals unangenehm waren, ohne dass ich wusste, weshalb. Und wie weiß sie sind. Dass nicht-weiße Figuren Teil des Ensembles sind (in Dawson’s Creek und Friends sind sie noch nicht einmal das), aber eben immer nur Teil und nie das Zentrum. Da ist es hart, als kritischer Mensch überhaupt zur Fernbedienung oder zum Netflix-Account zu greifen, man hat da nämlich – trotz der natürlich manchmal vorhandenen Lichtblicke – ziemlich wenig Spaß.

Aber Kinder des Fernsehens, des Films, des Privatfernsehens haben sehr gerne Spaß. Auch sie kommen nach harten Tagen nach Hause und wollen mit ihrem Kopf nichts anderes tun als ihn mit den Problemen anderer Leute vollzustopfen, ohne dafür ein Buch öffnen oder echte Menschen treffen zu müssen. Aus diesem Grund habe ich mir ein Konsumgehirn angeschafft.

Ein Konsumgehirn ist eine super Sache. Man kann es an- und ausschalten. Tagsüber liest man wissenschaftliche Abhandlungen, unterhält sich mit kritischen Menschen, macht in der Tram (neben den Ex-Promi-Begegnungen) sexistische, rassistische, islamophobe Erfahrungen (wenn man ich ist, zumindest), ärgert sich über Thomas de Mazière – all das mit dem echten Gehirn. Und dann, wenn der Tag sich dem Ende neigt, wenn man Lust auf was Schönes, was Unterhaltsames, hat, etwas, das einen an die alten Zeiten erinnert, dann schaltet man sein Konsumgehirn ein. Das Konsumgehirn ist ein guter und ewiger Freund, denn es kennt gesellschaftliche Realitäten nicht. Es kennt allenfalls das altbewährte Medienwissenschaftswissen aus der Uni. Welche Erzählformen, welche Figurenkonstellationen, welche Traditionen werden hier abgehandelt? Auf welcher Seite stehe ich, in welchen Charakter verliebe ich mich? Dann kann man ganz unverblümt die herrische und überaus gemeine Cersei Lannister zur Lieblingsfigur ernennen, miteinander anstoßen, wenn ihr bescheuerter Sohn endlich umgebracht wird, kann zuschauen, wenn Köpfe rollen, und bei all dem das unbeschreiblich feierliche Gefühl haben, einer großartigen Story zu folgen.

Ich bin sehr froh, dass ich mein Konsumgehirn habe. Es beschert nicht nur feierliche Abende, sondern manchmal kann ich eben doch mitreden. Eben aber nur ein bisschen, denn wenn ich das Konsumgehirn dauerhaft betätige, ist es nicht mehr von meinem echten Gehirn zu unterscheiden. Darum nehme ich es nur in auserwählten Momenten in Anspruch. Für auserwählte Serien. Game of Thrones ist es wert, denn es ist voller genial gezeichneter Figuren. Mit (zumindest zu Beginn) intelligent strukturierten Handlungen und Zusammenhängen. Aber das hier ist kein Text über GoT sondern einer, der den Bogen spannen will zur AfD.

Ein Freund von mir hat sich die Serie angeguckt. Einer, mit dem ich viele Haltungen und Einstellungen teile. Mit dem ich noch nie diskutieren musste, ob etwas nun diskriminierend ist oder nicht. Einer, der mir diesbezüglich vertraut und dem ich vertraue. Und deswegen hat er sich Game of Thrones zum ersten Mal angeschaut – und zwar auch noch mit anderen Menschen, die ihm vertrauen – und kam in eine sehr peinliche Lage. Denn keiner von ihnen hatte ein Konsumgehirn, und alle waren sauer und entsetzt, dass ich Serien mit Porno- und Gewaltinhalt, mit fragwürdiger politischer Haltung und in erster Linie reproduzierenden Elementen weiterempfehle. Keiner von ihnen hatte ein Konsumgehirn, und alle waren auch noch kritisch.

Peinlich war das. Und mein Gehirn, mein Konsumgehirn und ich mussten eine Weile rätseln, ob es nicht ganz, ganz schlimm ist, was wir drei da manchmal veranstalten. Aber dann dachten wir uns, was wäre ein Alltag ohne Fernsehen? Das wäre nicht auszuhalten. Und dann dachten wir uns, was wäre ein Alltag, in dem man um all die Anfeindungen der Welt einen Bogen machen könnte? Mein Konsumgehirn hat sich ab dem Punkt aus der Diskussion verabschiedet. Es ging ganz selbstständig und routiniert in den Standbymodus. Mein Gehirn und ich aber haben uns in die Augen geschaut und eingesehen, dass wir eigentlich das Konsumgehirn ein wenig kleinreden, wenn wir es immer nur Konsumgehirn nennen. Es schaltet sich nämlich, ziemlich clever, auch ein, wenn man gar nicht am Konsumieren ist. Sondern auch manchmal im Alltag. Wenn man im Büro sitzt und Telefonate tätigt. Und Leute am anderen Ende, mit denen man eigentlich nur über Tagungshausmiete oder Bildungsangebote reden will, in exotisierende Momente abrutschen, weil sie meinen Namen zum ersten Mal hören. Es schaltet sich auch unbemerkt ein, wenn weibliche Menschen, die man vor vielen Jahren wirklich sehr lieb hatte, zum Kaffee kommen und sagen, dass sie nicht mehr arbeiten gehen, weil sie ihren Kindern ja eine gute Mutter sein wollen. Oder wenn man Freunde von Freunden kennenlernt und sich vorgenommen hat, sie zu mögen. Und dann sagen sie plötzlich, dass bald wieder EM sei und man guten Gewissens stolz auf Deutschland sein kann. Vielleicht stimmt es gar nicht, dass das Konsumgehirn „gesellschaftliche Realitäten“ nicht kennt, wie oben behauptet. Es kennt sie vielleicht viel besser als ich und bewahrt mich vor ihnen.

Das Konsumgehirn hat während all dieser Gedanken im Standbymodus sehr zufrieden vor sich hin gelächelt. Und es war friedlich dabei. Das ist vielleicht auch wichtig, denn es ist ja für den Frieden in mir mitverantwortlich. Sonst wäre diese Welt auch nicht auszuhalten. Diese Welt besteht nämlich aus weitaus größeren Problemen als aus pornografischen Sendungen oder aus alten Freunden mit blöden Gedanken. Diese Welt da draußen gibt der AfD 24 Prozent der Wählerstimmen. 24 Prozent. Das ist nicht nur eine „beängstigende Entwicklung“, und außerdem auf bestimmte Wahlergebnisse in einigen Bundesländern bezogen. Das ist in erster Linie eine riesengroße Katastrophe.

Aber wenn kluge Menschen, und von denen gibt es ja viele, dieses Alarmsignal und derartige Symptome in jeder Sekunde so ernst nehmen würden, wie ernstzunehmende Dinge es beanspruchen müssten, wäre ein Leben hier nicht auszuhalten. Denn wer das in jeder Sekunde tut, muss das Gleiche in jeder Sekunde auch mit Pegida, Freital und Beate Zschäpe machen. Für derartige Dinge sind echte Gehirne aber gar nicht ausgerichtet.

Echte Gehirne wollen da am Liebsten nicht nur in den Standbymodus gehen. Sondern herunterfahren. Und weil sich da der Bruder Selbsterhaltungstrieb einmischen müsste, wacht das Konsumgehirn aus seinem seligen Schlaf auf, knipst seinen Schalter an und rettet uns über diese Welt hinweg.

Was nicht heißt, dass wir die AfD und Co ignorieren oder ausblenden. Dafür sind sie ohnehin viel zu gewaltvoll und bedrohen, in meinem Fall zumindest, ja genau meine Existenz. Das kann ich weder ignorieren noch ausblenden.

Aber darüber die ganze Zeit nachzudenken, würde auch niemandem helfen, erst recht nicht mir selbst. Also gebe ich ihnen nicht den Raum, den sie sich mit aller Macht erkämpfen wollen, und lenke mich ab. Zum Beispiel mit der Frage, wer den goldenen Thron letztlich besteigen darf. Und der Frage, ob Tote wirklich tot bleiben, auch wenn sie ungefähr zehn Messerstiche in den Bauch bekommen haben.

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