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Das Denkmal für den alleinerziehenden Vater

 

In Zeiten von Orbán hört man viel Besorgniserregendes aus Ungarn. Unser Autor hat auf seinem Spaziergang durch Budapest dennoch Schönes und Erstaunliches entdeckt.

© Laszlo Balogh/Reuters
© Laszlo Balogh/Reuters

Mit meinem Kollegen David Wagner war ich für Lesungen und Gesprächsrunden nach Budapest eingeladen. Anlass war die Übersetzung unseres gemeinsamen Buchs Drüben und drüben – zwei deutsche Kindheiten, in dem wir von unseren einerseits so unterschiedlichen, andererseits aber auch wieder erstaunlich ähnlichen Kindheiten in den 1970ern und 1980ern in Andernach bei Bonn und in Ost-Berlin erzählen. Es war für mich ein bisschen überraschend, dass dieses Buch als Erstes ausgerechnet ins Ungarische übersetzt wurde, aber es passt natürlich gut, denn wir erzählen vom Alltag der deutschen Teilung und aus Ungarn kamen entscheidende Impulse für den Fall des Eisernen Vorhangs.

Seit meinem letzten Besuch in Budapest vor zwei Jahren hat sich dort viel verändert, z. B. ist das Betonfaltendach der wundervollen Metroeingangshalle am Széll-Kálmán-Platz renoviert worden.

 

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Der Platz hieß bis 2011 Moskauer Platz, die Budapester nennen ihn immer noch so. Der alte Name hatte sich im Namensschild einer Bar erhalten, die nun leider mit dem abgerissenen Seitentrakt des Gebäudes verschwunden ist.

 

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Auf der U-Bahn-Linie zum Flughafen fahren immer noch die alten, russischen Waggons, sie sollen überholt werden, bisher hat man aber nur das Firmenschild abgeschraubt, was in diesem Fall keine politischen Gründe hat. Bei meinem letzten Besuch hatte ich so ein Schild noch fotografieren können.

 

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Im Schaufenster eines Briefmarkenladens fand ich diese Waggons als Motiv aus meinem Geburtsjahr 1970.

 

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An einer anderen Stelle entdeckt man den für manche so unbeliebten Hinweis auf die russische Hauptstadt immer noch, nämlich als alte Neonwerbung für Autoexport Moszkva auf einem Dach am Donau-Ufer, nahe der Margareteninsel.

 

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Und nicht weit davon hat eine Werbung für Wernesgrüner Pilsner überlebt. Sogar noch mit dem Bierglasmännchen-Logo.

 

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Überhaupt gibt es in Budapest noch eine lebendige Neonschriftkultur, im Osten war das ein beliebtes Mittel, die Städte wenigstens bei Nacht glänzen zu lassen. Schön fand ich aber auch diesen selbst gemalten Hinweis auf eine öffentliche Toilette. Ich suche diese Orte in Ungarn immer gerne auf, weil die Begriffe für „Männer“ und „Frauen“ in dieser Sprache sehr putzig klingen: „Férfi“ und „Női“.

 

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Die Buchmesse im Millenáris-Park in Buda war angenehm übersichtlich, was leider nichts Gutes über den hiesigen Buchmarkt aussagt. Am Eröffnungsabend handelten die simultan übersetzten Reden vorwiegend vom Wein, den ein Sponsor bereitgestellt hatte. Während das Buffet gestürmt wurde, lief über Lautsprecher Nouvelle Vague mit I just can’t get enough. Bei unserer Buchpräsentation am nächsten Tag erzählte ich, dass ich als Kind eine Weile dachte, jede Hauptstadt sei durch eine Mauer geteilt. Die Ungarn wunderten sich, wenn ich ihnen erklärte, dass das prägendste ungarische Wort meiner Jugendzeit „Hanglemezbolt“ war: „Plattenladen“. Damals gab es diese Läden an jeder Ecke und man bekam dort alles, wovon man in Ost-Berlin träumte, allerdings für sehr viel Geld.

 

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Wenn man jung war und weniger Wert auf ein modernes Gesundheitssystem und perfekt ausgebaute Straßen als auf westliche Schallplatten, Wassermelonen, Pepsi-Cola und Danone-Joghurt legte, konnte man in den 1980ern meinen, die Ungarn lebten schon im Paradies.

 

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Allerdings war man damals auch beeindruckt von den freundlichen Ansagen vom Band in der Budapester U-Bahn, in Ost-Berlin wurde immer so durch knisternde Lautsprecher gebellt. Das Future-Retro-Design der Bahnhöfe und die bunten Plastiksitze in vielen Varianten wirken immer noch modern.

 

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Nach der Lesung wurde mir ein Buch, das ich gerne geschrieben hätte, zum Signieren gereicht, es stammte von einem der anderen Jochen Schmidts, mit denen ich gemeinsam an unserem Werk arbeite. Ich habe schon öfter in Vertretung Jochen Schmidts Bücher signiert, wenn sie bei Lesungen auf meinem Büchertisch angeboten wurden.

 

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Es gibt eine wohl wirklich sehr kleine Gruppe Ungarn, die glauben, ihr Volk stamme vom Sirius und spreche deshalb so eine spezielle Sprache. Ich empfand es in jedem Fall wieder als sehr angenehm, einmal nichts von den Gesprächen an den Nebentischen und in der Bahn zu verstehen, was bei uns ja oft ablenkt. Man kann wunderbar arbeiten, wenn im Café neben einem Ungarisch gesprochen wird. Trotzdem konnte ich es nicht lassen und versuchte, mit einem alten DDR-Lehrbuch ein bisschen Ungarisch zu lernen, die Beispielsätze waren teilweise etwas veraltet: „Az Elvtars, akit keres, nincs itt.“ („Der Genosse, den Sie suchen, ist nicht hier.“)

 

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Gespräche mit einheimischen Intellektuellen drehen sich sehr schnell um die bedrückende politische Situation im Land. Um mich davon abzulenken, las ich mir abends im Internet den Kicker durch, aber auch hier schien es um den Mann zu gehen, der uns solche Sorgen bereitet.

 

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Es ist tröstlich, wenn man dann hier und da im Straßenbild auf unschuldige Objekte aus der Vergangenheit stößt, besonders hat es mir immer altes Spielzeug angetan. Vor einem Trödelladen hing eine Blechrakete, die an das Interkosmos-Programm erinnerte, bei dem die Russen sich Technologien liefern ließen und dafür Kosmonauten ihrer sozialistischen Bruderländer mit ins All nahmen, die Ungarn waren immerhin als fünfte an der Reihe.

 

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Noch mehr Gefühle kamen auf, als ich im Laden ein Kybernet-Auto entdeckte, das ich mir als Kind vergeblich gewünscht hatte. Man konnte mit Plastikblöcken die Route programmieren, die das Auto fuhr. Ein Schulfreund hatte Kybernet besessen, oft habe ich ihn deshalb besucht. Sollte ich dafür 30 Euro ausgeben? Man hätte sich damals ein Dutzend zulegen sollen, um sie jetzt zu verkaufen, aber wer konnte das ahnen?

 

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Um mehr Spielzeug zu finden, fuhr ich eine Stunde mit der sehr gemächlichen S-Bahn nach Szentendre, um mir ein sogenanntes Retro-Design-Museum anzusehen. Ein Einfamilienhaus, das bis unter die Decke vollgestopft war mit Fahrzeugen und Alltagsgegenständen aus Ungarn und den anderen Ländern des Ostblocks.

 

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Das Mondauto, das beim Fahren einen Styroporball auf einem Luftstrahl balancierte, ein Onkel von mir hatte es besessen, leider waren bei unseren Besuchen nie genug Batterien aufzutreiben gewesen. Aber ich weiß ja jetzt, wo es steht und kann es mir jederzeit in Budapest ansehen.

 

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Der Keller des Museums quoll über von Werkzeugen und Autoersatzteilen – wahrscheinlich hatte er schon so ausgesehen, bevor das Haus zum Museum wurde –, auf einem Fernseher lief in einer Endlosschleife DDR-Fernsehwerbung: „Der neue Wartburg 1.000, Kofferraum für 57 Fußbälle“, hieß es darin, und man sah, wie der Kofferraum mit 57 Fußbällen gefüllt wurde. Ich erfuhr auch, dass um 1960 etwa 1.000 Wartburgs in die USA exportiert worden seien, es habe sogar Anzeigen dafür im Playboy gegeben. An einem nachgestellten Zeitungskiosk bewunderte ich alte Presseerzeugnisse. Die Mangelwirtschaft in den Ländern des Ostblocks hat auf der anderen Seite eine lebendige Bastelkultur befördert. Das Zentralorgan dafür war in der DDR die Zeitschrift Practic, deren ungarisches, etwas cooleres Gegenstück Ezermester („Tausendmeister“, bzw. „Alleskönner“) hieß. Hier eine Ausgabe über das wichtige Thema „Störungen“.

 

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Leider hat man in Budapest die internationale Mode aufgegriffen, in den Fußgängerzonen simpel realistische Ganzkörperstatuen aufzustellen, sozusagen Wachsfiguren aus Bronze, z. B. für Inspektor Columbo oder Ronald Reagan, vor denen sich die Touristen fotografieren. Im Memento-Park am Stadtrand kann man demontierte Statuen aus der kommunistischen Zeit sehen.

 

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Auch wenn man sie für ihre Botschaft kritisch sehen muss, waren sie stilistisch von weitaus besserer Qualität als das meiste, was heute aufgestellt wird. Interessant ist, dass Marx und Engels in Ungarn wie Kyrill und Method aussahen.

 

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Überhaupt Statuen. Ich fand in Budapest Material für meine Sammlung „Frauen und Technik“.

 

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Ich freute mich, endlich einmal ein „Denkmal für den alleinerziehenden Vater“ zu finden.

 

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Sehr berührend auch das Gegenstück, das „Denkmal für das Scheidungskind“.

 

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Und ein bisschen fühlte ich mich als Autor selbst geehrt oder wenigstens getröstet, denn gleich neben dem Literaturmuseum stand das „Denkmal des unbekannten Buchs“. Eine Wasserwand, die sich von rechts nach links bewegt, stellt eine Seite beim Umblättern dar. Raffiniert!

 

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