Leer und beliebig sei die offene Gesellschaft, lautet der Vorwurf der Fundamentalisten. Was für ein Irrtum! Tatsächlich ist unser Glaube stärker als ihrer.
Der Hauptvorwurf der Feinde der offenen Gesellschaft an die säkularen Verfassungsstaaten und ihr Ideal der Freiheit und Toleranz ist der der Beliebigkeit und Leere.
Für sie sind individuelle Rechte keine Errungenschaften, sondern zerstörerische, gefährliche Risse im Kollektiv, die den Blick freilegen auf eine unübersichtliche Welt, verwirrend und im Wandel, eine Weite, in der jeder allein ist, hoffnungslos und klein, abgeschnitten von Gemeinschaft und Geschichte.
Sie irren sich. Was sie übersehen, ist die Tatsache, dass die Anhänger der offenen Gesellschaft durchaus nicht an nichts glauben. Im Gegenteil.
Der Glaube, der die Basis der offenen Gesellschaft bildet, hat sogar eine viel stärker verbindende Kraft als jedes fundamentalistische oder nationalistische Narrativ, weil seine Keimzelle gerade nicht in der Erhöhung eines Auserwählten liegt, sondern im Gegenüber von wenigstens zwei Gleichen.
Es handelt sich dabei um eine unbewusste Vorannahme, die die Basis individueller Rechte und Pflichten bildet, und die im Übrigen bei jeder Diskussion über Glauben und Gesellschaft, über Fußball oder über das Wetter immer mitgemacht wird:
Es ist möglich, miteinander zu reden.
Die Bedingung der Möglichkeit des Austauschs ist die Annahme einer gemeinsamen Struktur, die all jenen unserer Gedanken und Handlungen zugrunde liegt, die sich auf intersubjektiv erlebbare Teile der Welt beziehen.
Diese Struktur heißt Vernunft.
Vernunft kann dabei helfen, nicht überfahren zu werden, wenn man die Straße überquert. Sie kann einen dazu bewegen, zum Arzt zu gehen, wenn ein Zahn schmerzt. Mit Vernunft kann man einen Computer kaufen und einen WLAN-Router, die beiden miteinander verbinden und anschließend im Darknet Baupläne für Rohrbomben herunterladen.
Was Vernunft nicht kann, ist, einem die Entscheidung abzunehmen, ob man das nun für Allah tun will oder für Deutschland.
Allerdings kann sie einen daran erinnern, dass es Menschen gibt, die ähnliche Dinge tun wie man selbst, aber scheinbar aus ganz anderen Gründen, und sie kann einen dazu bringen, sich zu fragen, ob es sich dann nicht lohnen würde, die eigenen Gründe einmal kritisch zu untersuchen, und sich vielleicht etwas mehr auf mögliche Gemeinsamkeiten zu konzentrieren, die man mit anderen Menschen hat. Auch mit denen, die ihre Vernunft für ganz andere Dinge einsetzen.
Und wenn man dann noch ein bisschen Zeit hat und weiter darüber nachdenkt, kann sie einem bewusst machen, dass letzten Endes wir alle, die wir hier herumlaufen auf diesem Planeten, der aus dem All angeblich blau aussieht, die wir alle diese Luft atmen, deren O2-Anteil uns so gut tut, die wir alle schon einmal Freude empfunden haben über das Geräusch eines Vogels bei Sonnenaufgang, dass wir alle das Werkzeug Vernunft nicht nur für selbstgesetzte Zwecke nutzen.
Sondern immer auch für den einzigen Zweck, den vorzufinden wir alle die Gnade hatten, das Glück oder wenigstens die physische Konstitution: das Leben.
Wir glauben an das Leben. Wir glauben an die Vernunft als seine Entsprechung in unserem Denken. Wir glauben, dass wir mit ihr die Kluft zwischen unseren Gehirnen überbrücken können. Und irgendwann dann auch die zwischen unseren Herzen.
Wir wissen, dass ihr das für naiv haltet. Für träumerisch und kindisch und weltfremd. Aber wir beweisen euch das Gegenteil, jeden Tag.
Weil ihr in unserer Gesellschaft die gleichen Rechte habt wie wir.
Und egal, was ihr tut, oder woran ihr glaubt: Indem wir die offene Gesellschaft verteidigen, kämpfen wir immer auch für euch.
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