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Immer schön auf die Oberschenkel

 

Mit der Show Curvy Supermodel verspricht RTL 2 all jenen Erlösung, die nicht in Heidi Klums Schlankheitsideal passen. Sieht so die Emanzipation vom Magerwahn aus?

© RTL 2
Die Jury der Castingshow: Der Modelagent Ted Linow, das Model Angelina Kirsch, die Tänzerin Motsi Mabuse und der Modemacher Harald Glööckler (© RTL 2)

Ich habe die überaus erfreuliche und beruhigende Nachricht bekommen, dass sich RTL 2 in Zukunft um die Dicken kümmern wird. Wahrscheinlich nicht um alle, aber immerhin um die dicken weiblichen Mitglieder unserer Gesellschaft.

Die Ankündigung des Events ist vollmundig: „Neue Kurven braucht das Land!“ Das neue Showformat bei RTL 2 für Models mit gesunden Rundungen erweitert das gängige Schönheitsideal und zeigt, wie der Pressetext verrät, „dass sich Schönheit nicht mit dem Maßband messen lässt“.

Wow. Das ist doch mal eine Erkenntnis.

Und ist das nicht toll?! Deutschlands Frauen, wir sind gemeint! Wir! Die wir bisher nicht mithalten konnten bei Germany’s Next Top Model. Wir, die Heidi Klum in schlanker Arroganz am Wegrand stehen ließen – wir sind es, die RTL 2 nun zu sich ruft! Ich bin außer mir vor Freude, denn Curvy Supermodel wird von heute an jeden Mittwoch gesendet werden.

Ein bisschen wundere ich mich, dass mich Alice nicht anruft, damit wir uns gemeinsam freuen können. Also Alice Schwarzer, wo wir doch alle seit Jahren auf den magersüchtigen Models und ihren Vermarktern herumhacken. Dass die Mädchen krank sind, sich zu Tode hungern, dass das Ganze anders werden muss. Und nun ist es soweit, und keine Feministin ruft mich an!?

Weiß denn niemand die Anstrengungen von RTL 2 zu schätzen? Dem einzigen Sender, der wirklich weiß, wie es uns geht, der sich wirklich um unsere Nöte bemüht, der mich und meine Kurven liebt, der …

Also teile ich meinem Mann mit, dass ich mich als Model bei RTL 2 bewerben werde, die verstünden mich endlich. Für die sei ich genau richtig: echt, sexy … denn „Curvy Models haben auch ganz normale Körper und können so auch als Vorbild fungieren!“, plappere ich aufgeregt den Pressetext nach. „Models fungieren? Klingt irgendwie komisch …“, meint mein Mann. Ist das alles? Also lese ich weiter laut vor:

Dass immer mehr renommierte Modemarken inzwischen Fashion in großen Größen produzieren und die Bewegung ja generell in Richtung Plus-Size geht. In Amerika sind sie schon ein bisschen weiter …“

Selbstvertrauen stärken in Unterwäsche

„Große Größen, gibt’s das? Wir können gern eine Woche lang nur Pommes essen und Cola trinken, wenn dir das hilft …“, meint mein Mann, aber was verstehen Männer schon von weiblichen Nöten?

Ich bin wild entschlossen und klicke die Fotos der anderen Bewerberinnen, meiner Konkurrentinnen, an. Riesige Mädels in Bademoden räkeln sich auf einer Liege, laufen über den Catwalk, lächeln unsicher aus ihren runden Gesichtern in die Kamera. Diese aber ist unerbittlich und hat vor allem ihre Oberschenkel, ihren curvy Hintern, ihren XL Busen im Visier.

Einen engen Badeanzug hätte ich auch noch, so ist das nicht, aber ich dachte eigentlich mehr an ein hübsches Kleid, an Jeans, also an Kleidung. So nackig, ich weiß nicht …

Habe ich etwas falsch verstanden? Ich hatte doch gelesen, dass man beabsichtige, „das Selbstvertrauen vieler kurviger Frauen zu stärken, die durch das jahrzehntelang dominante Schlankheitsideal mitunter verunsichert sind.“

Funktioniert denn „Selbstvertrauen stärken“ nur in Unterwäsche? Ich bin unsicher, aber mir kommt es so vor, als wären diese molligen Frauen genauso ausgeliefert und schutzlos wie ihre dünnen Kolleginnen – nur eben „mehr“.

Will man sich hinterfotzig über sie lustig machen, während sie tapfer ihre Pfunde im Badeanzug über den Laufsteg tragen? Sie auslachen, wenn sie im Mini tanzen, den Finger auf sie richten, wenn sie ihre schöne Oberweite, ihre großen Größen in zu engen Tops nicht unterbringen? Will man die armen Frauen bloßstellen? Nein, das kann nicht sein! Das kann doch das gute RTL 2 nie und niemals wollen. Dazu ist das Thema viel zu heikel.

Generationen von gesunden Mädchen hungern, um den dünnen, dürren, magersüchtigen Models nachzueifern. Setzt man jetzt etwa eins drauf und beginnt unter dem Deckmantel „echt schön kurvig“ junge Frauen mit Konfektionsgrößen über 40 auszustellen, auszuziehen, auszuliefern?

Anstiftung zur Gewalt

Als ich 14 Jahre alt war, hatte man mich am Strand überredet, an einem „Schönheitsköniginnen-Wettbewerb“ mitzumachen. Ich war zu doof, um abzusagen. Am selben Abend stand ich in einem rosa Plisseekleid zwischen zwanzig hübschen Blondinen im Corsaro in Malcesine auf der Bühne. Der halbe Campingplatz machte bei dem Wettbewerb mit, aus dem Zuschauerraum grölten die holländischen und belgischen Verehrer der Models in spe. Den Damen und dem Moderator ging ich gerade mal bis zum Bauchnabel. Er bemühte sich gar nicht, seine Ironie zu verbergen, sondern zog mich in den Lichtkegel mit den Worten „Che coraggio, eh!?“ – na, das ist ja mal echt mutig!

Dann fiel das Licht in der gesamten Stadt aus, und der Spuk hatte für mich ein Ende. Jahrelang habe ich weder rosa noch Plissee getragen, zum Corsaro bin ich nie wieder. Wie wäre es weitergegangen für mich, wenn das Licht nicht ausgefallen wäre?

Ich möchte diese jungen curvy Models gerne warnen. Sie sollen sich ja nicht missbrauchen lassen und notfalls der netten Jury ein Ohr abbeißen. Das sind ja offensichtlich alles Models, die wie normale Menschen essen und das auch weiterhin tun sollen. Wie schmeckt wohl so ein dickes krosses Moderatorenohr?! Das sei Anstiftung zu Gewalt, sagt mein Mann, das sei nicht erlaubt. Man würde in Deutschland nur noch Schweineohren essen.

Meine ich ja, denke ich. Na gut. Wer will schon gewalttätig gegen RTL 2 vorgehen, wo sie dort nur die edelsten Absichten haben, nur das Beste für uns wollen, egal wie dick wir sind …?

Schweren Herzens verabschiede ich mich bis auf Weiteres von meiner Modelkarriere, gehe mit meinem Mann essen. Zwischen gefüllter Gans und Panna cotta fragt mich mein überaus gescheiter Gatte, ob mir denn gar nie aufgefallen sei, dass beide, Männer und Frauen, auf die dünnen wie auch auf die dicken Models mit männlichem Blick schauen würden.

„Nein“, erwidere ich naiv, „aber dann würde doch eine Sendung mit fetten Männern gendermäßig auf absolutes Neuland vorstoßen. Und mit dicken Männern und Frauen wäre die Freakshow perfekt! Ich muss bei RTL anrufen, das ist eine echte Marktlücke!“

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