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Die Höhepunkte aus 2.714 Jahren

 

Shakespeare sagt Signierstunde ab, Goethe hat keinen Knabberkram zu Hause, Kafka steht traurig zwischen Fans: In Frankfurt eröffnet die Buchmesse. Auch nicht immer schön.

Die Höhepunkte aus 2714 Jahren
Gefährliche Signierstunde: Julius Cäsar inmitten von interessierten Fachbesuchern © Wikimedia Commons

698 v. Chr.:
Die erste Frankfurter Buchmesse wird mit einer Festrede von Homer feierlich eröffnet. Schon von Beginn an gilt sie als großer Erfolg, mit insgesamt einem Aussteller (Homer), rund einer Veranstaltung (Lesung der Ilias) und zwei zahlenden Gästen (Homers Frau und ein Oberstudienrat aus dem Frankfurter Raum, der sich vor allem für zeitgenössische griechische Epik interessiert). Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels ist in diesem Jahr Homer. Bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises setzt sich Homer durch.

53 v. Chr.:
Gaius Julius Cäsar veranlasst eine militärische Expedition ins germanische Gebiet, um auf der Frankfurter Buchmesse für den 5. Band seines De bello Gallico werben zu können, der in Rom auf nur mäßige Kritik gestoßen war („Dieses Buch macht mich zum Pazifisten“ – Römisches Tagblatt, „Eitle Nabelschau eines Popimperators“ – VeniVidiVice). Seine Buchpräsentation in Messehalle 4 bricht Cäsar allerdings aufgrund hohen Lampenfiebers ab, auch wenn er später auf dem Suhrkamp-Empfang behaupten wird, „lediglich ein wenig erkältet“ gewesen zu sein.

13 n.Chr.:
Die Podiumsdiskussion zum Thema „Ist die junge Literatur (noch) politisch genug?“ findet zum ersten Mal statt.

1450:
Die Buchmesse steht unter dem Motto „Druck auf die Buchbranche – Hat die handschriftliche Kopie noch eine Zukunft?“ Während der Podiumsdiskussion mit Johannes Gutenberg betont Thomas Albus, Abt des Frankfurter Karmeliterklosters, mehrfach, dass 90 Prozent aller lateinischsprachigen Leser die Bibel immer noch lieber auf Papyrus als auf bedrucktem Papier lesen würden. Im Ganzen sehe er „in den neuen Medien eher eine Herausforderung als eine Bedrohung“. Im Publikum wird verzweifelt genickt.

1603:
Eklat in Halle 6: Die Lesung aus Hamlet endet in einer Prügelei zwischen allen William Shakespeares, auch weil der Verlag für sie alle nur ein gemeinsames Einzelzimmer im Ibis gebucht hat. Die anschließende Signierstunde entfällt „aus technischen Gründen“.

1789:
Die Podiumsdiskussion zum Thema „Ist die junge Literatur (noch) politisch genug?“ muss erstmalig seit ihrer Einführung entfallen.

1795:
Johann Wolfgang von Goethe weigert sich zum wiederholten Mal, die Buchmesse zu besuchen. „Ich bin Goethe. Wenn überhaupt, dann sollte die Buchmesse mich besuchen“, diktiert er seinem Sekretär, der als Möbelstück davon wenig beeindruckt bleibt. Als die Buchmesse diese Einladung im Jahr 1802 dann tatsächlich annimmt und vor seiner Weimarer Tür steht, hat Goethe allerdings viel zu wenig Stühle und Knabberkram im Haus und versteckt sich bis 1804 unterm Bett.

1884:
Otto von Bismarck ernennt Deutsch-Ostafrika zum Gastland der nächsten Buchmesse und behauptet, nun bleibe der Politik leider keine andere Wahl, als dafür zu sorgen, dass es dieses Land dann überhaupt gebe. Alles andere verbiete die Höflichkeit. Die Höflichkeit selbst war zu keiner Stellungnahme bereit.

1915:
Franz Kafka wird beim öffentlichen Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk mehrfach gefragt, ob er vom Schreiben eigentlich leben könne. Er antwortet mehrfach mit: „Nein, ich arbeite für eine Versicherung“, was für große Erheiterung bei allen Beteiligten sorgt, außer bei Franz Kafka.

1968:
Vor Beginn seines geplanten Interviewmarathons (blaues sofa, FAZ-Stand, SZ-Stand, ZEIT-Stand, Forum Fastnochjunge Literatur, Azubi-Café) und zahlreicher anberaumter Lesungen (Open Books, Literatur im Römer, Lesezelt in der Agora) benimmt sich ein vollkommen aufgekratzter Thomas Pynchon auf der Rowohlt-Party derart daneben, dass ihn sein Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt mit der Aufforderung, er wolle Pynchons „Fresse nie wieder sehen“, ins Hotel schickt. Jahre später noch soll Ledig-Rowohlt seine Wortwahl als „unglücklich“ beschrieben haben.

1990:
Anlässlich der ersten Messe nach der Wiedervereinigung erklärt ein komplett in Schwarz-Rot-Gold gekleideter Siegfried Unseld die deutsche Literatur für „auf Jahre hinaus unschlagbar“.

1999:
Günter Grass rasiert sich aus Freude über den Literaturnobelpreis im Frankfurter Hof den Schnurrbart ab und vermacht ihn dem Marbacher Literaturarchiv. Am nächsten Tag nuschelt er etwas von einem „Missverständnis“ und verlangt ihn zurück. Da der Bart in Marbach aber bereits „versehentlich“ entsorgt worden ist, läuft Grass bis zu seinem Tod mit Wolfgang Koeppens linker Augenbraue auf der Oberlippe herum, die er als „literarisch zweitrangig, aber erstaunlich weich“ beschreibt.

2013:
Bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Sind Podiumsdiskussionen zur Frage, ob die junge Literatur (noch) politisch genug ist (noch) zeitgemäß?“ herrscht breiter Konsens.

2016:
Die Podiumsdiskussion zum Thema „Ist die junge Literatur (noch) politisch genug?“ findet statt. Eine Schulklasse bleibt kurz stehen. Dann läuft sie weiter. Immer weiter.