Krieg zerstört Körper. Und er erzeugt sie. Als Speicher für Erinnerung und Sprache. Selten zeigt sich das so eindrücklich wie in den Gedichten von Ocean Vuong.
Glas, später (Warten / Vergessen)
Das Glas erscheint später, und es wird nur eine Erzählung gewesen sein: Seit Monaten sind sie auf diesem Schiff; Wasser, so weit das Auge reicht; keine Richtung. Von Küsten spricht er ohne Artikel. Salt in our sentences. Die Stadt, die sie verlassen hatten, ist namenlos geworden. Auf den Straßen lag das, was übriggeblieben war, zerbrochene Baguettes, zerdrückte Croissants vor der Bäckerei nach ihrer Bombardierung; Tauben auf diesem Asphalt. Das Karussellpferd war schwarz von Ruß, weiße Hyazinthen, September. Das sind die letzten Bilder, die sie mitgenommen haben werden. Die Frau ist schwanger. Everyone can forget us – as long as you remember.
Acht Augen (Bis zur Unkenntlichkeit)
Ocean Vuong spricht in ihrer Stimme. Diesen Satz lässt er sie im Gedicht Immigrant Haibun zu ihrem ungeborenen Sohn sagen. Er ist beides: Bitte und Aufforderung. Vuongs Gedichtzyklus Night Sky With Exit Wounds, Anfang April bei Copper Canyon Press erschienen, kann als ein Versuch verstanden werden, dem, was diese Mutter, die nicht seine ist und sie, dennoch, sein könnte, sagt, nachzukommen. Auf dem Cover müsste er zwei Jahre alt sein. Vuong, 1988 auf einer Reisplantage außerhalb Ho-Chi-Minh-Stadts als Vinh Quoc Vuong geboren, sitzt auf einer Holzbank; links, neben ihm: seine Großmutter; rechts: seine Mutter. Auf diesem Foto sind sie gleich groß; ihre Schultern liegen auf einer Höhe. Ihre Haare, schwarz, die der Großmutter: hochgesteckt, die der Mutter: vielleicht kurz, gehen über in einen unbeleuchteten Raum im Hintergrund, in dem kein Gegenstand zu erkennen ist. Sie lächeln; ihre Beine sind überkreuzt. Die Anordnung dieser Körper ist fast symmetrisch. Im Zimmer am anderen Ende, es könnte auch ein Hof sein, steht eine Person im Tageslicht oder in dessen Reflexion, die, wahrscheinlich zufällig im Bild, wie die anderen in die Kamera sieht; ihr Gesicht liegt zur Hälfte im Schatten. Der Türrahmen, durch den sie auf Vuong und seine Mütter schaut, bildet einen Fluchtpunkt; er ist leicht versetzt und stört die ruhige, arrangierte Symmetrie dieser Szene. Auf dem verwaschenen T-Shirt des Jungen: eine Schildkröte, die auf ihrem Panzer eine kleinere Schildkröte trägt. Darüber: I Love Daddy. Auf dem Boden unter ihm: eine rotbraune Kugel und ein umgedrehter Schuh. Auf einer weißen, durchsichtigen Fläche über den Augen der Mütter: der Titel. Über seinen: sein Name. Acht Augen; sechs, die durch Schrift hindurchsehen, bis zur Unkenntlichkeit. Sie können sie nicht lesen. Die Angst in seinem Gesicht bleibt sichtbar.
Vuongs dramaturgischer Instinkt ließe sich an diesem Cover demonstrieren. Das Foto, für das er sich entschied, bündelt, gewissermaßen, den Stoff der 35 Gedichte, ohne ihn anzukündigen; das Bild zeigt sich erst rückblickend, vom Ende seiner Sprache: In ihr werden die Dinge betrachtet, wie sie sich vom Standpunkt einer gescheiterten Erlösung aus darstellen könnten; und vielleicht kann nur so von Körpern und einem Krieg, der alles ordnet, weil er allem immer vorausgegangen sein wird, gesprochen werden; auch die Gestalt der Texte erhält von ihm ihre Bedeutung. Mit einem begrenzten Register an Motiven und Metaphern, aber mit einem ungewöhnlichen Gespür für kompositorische Strenge, unerwartete Assoziationen und Variationen, erzählt Vuong davon. Die Stimme dieser Mutter, durch ihre Haut: If you must know anything, know that you were born because no one else was coming.
Mutter I (Zurück: Stimme und Schnee)
Das Foto ist wahrscheinlich in einem philippinischen Flüchtlingslager entstanden, in dem seine Familie über ein Jahr verbringen musste, bevor sie 1990 die USA erreichte. In Hartford, Connecticut wohnten sie in einer Sozialwohnung, sieben Personen, in einem Zimmer, das er in Interviews als ein kleines vietnamesisches Dorf beschreibt, ohne Fernseher, ohne Radio; es gab keine Bücher. Nach dem Abendessen hätte seine Großmutter Volkslieder gesungen und Geschichten erzählt, während die Familie, Reisbauern, die, auch weil der Krieg die Schulausbildung beendete, weder lesen noch schreiben konnten, zuhörte. Diese Oralität der großmütterlichen Stimme – so, wie die fast baptistische Diktion und der Gospel, die Vuong später in Kirchen lernte –, ist in der Musikalität und Metrik, aber als Atempausen, auch in den signifikanten Formen der Satzbrechung seiner Gedichte aufbewahrt, die vielleicht nur gesprochen, laut, und zu einem anderen, ihren Ausdruck finden können. Sie führen zurück, auch in die Enge und Intimität dieser Wohnung: das Gedicht als semantisches Einzimmerappartement, in dem das, was Vuong hörte, bleibt, diskret in einer anderen Sprache. Es wurde nur Vietnamesisch gesprochen; mit sieben Jahren lernte er im Kindergarten Englisch, lesen erst mit elf. Nach dem Tod seiner Großmutter 2008 ging er zurück in dieses erste Zimmer und begann, aufzuschreiben.
Im Gedicht Aubade with Burning City erzählt Vuong vom 29. April 1975: wie seine Großmutter seinem Großvater, einem amerikanischen Soldaten, begegnet oder begegnet sein könnte, am Tag der Operation Frequent Wind. Irving Berlins White Christmas, das im Radio als Zeichen der Evakuierung Saigons gesendet wurde, durchkreuzt die Geschichte. Lyrics als militärischer Code: Wörter und Sätze aus diesem Lied stehen zwischen den Zeilen, beginnen sie, schließen sie ab oder stehen – in Kursivschrift (hier: fett), als würden sie unerwartet im Vorbeigehen gehört werden: aus einer Ladentür, einem Fenster, einem Auto am Straßenrand; the song moving through the city like a widow – in ihrer Mitte:
Milkflower petals in the street
like pieces of a girl’s dress.
May your days be merry and bright …
he fills a teacup with champagne, brings it to her lips.
Open, he says.
She opens.
Vuong formuliert in einer Sprache, in der Deskription, Narration und Reflexion nicht voneinander zu unterscheiden sind, Bilder von bestürzender Schönheit, die er mit Schnitttechniken, die dem Kino entlehnt zu sein scheinen, bewegt.
The treetops glisten and children listen, the chief of police
face down in a pool of Coca-Cola.
Die Verben glisten und listen klingen wie das Knistern von Schnee; diese Stimmung weißer, nördlicher Geborgenheit, an die sich Berlin im subtropischen Beverly Hills erinnert, wird, fast beiläufig, als sei das der logische Fortgang des Satzes – und das wird er geworden sein, am Punkt, spätestens – durch eine Lache Coca Cola, oder eine Pfütze, die verschmutzt genug war, um Coke – der Slogan, 1975: Look up, America –, zu ähneln, verdunkelt, am anderen Ende des Pazifiks; es fehlt eine Konjunktion; syntaktisch sind Orte und Ereignisse verbunden und nicht-verbunden. In diesen beiden Versen erscheint Wasser in zwei verschiedenen Aggregatzuständen: gefroren, als Schnee, und flüssig als amerikanischster Soft Drink; auch der Pool, in dem der Polizeichef liegt, führt zu einer Überblendung Amerikas und Vietnams, des american way of life und des Krieges, bis zu dem Punkt, an dem sie identisch geworden sind.
A palm-sized photo of his father soaking
beside his left ear.
Einen Tag später, am 30. April, endete der Vietnamkrieg, der in Vietnam Amerikanischer Krieg genannt wird. Saigon, das seit der Wiedervereinigung Ho-Chi-Minh-Stadt heißt, in der Alltagssprache aber immer noch diesen Namen, den Vuong in der Autorenvita auch als seinen Geburtsort angibt, trägt, soll seiner Großmutter nach während des snow song gefallen sein. Vuong nimmt ihren Ausdruck so ernst, dass er, trotz historischer Falschheit und klimatischer Unwahrscheinlichkeit, Schnee nicht nur Metaphorik und Szenerie des Gedichts bestimmen lässt, sondern auch dessen graphische Gestalt: Der Text besitzt weder Achse noch Bund. Die Verschiebung der Zeilen imitiert das langsame Wiegen eines Schneefalls. Der Fall der Verse koinzidiert mit dem der Stadt. Dieser wird auch formal nachvollzogen:
A white … A white … I’m dreaming of a curtain of snow
falling from her shoulders.
Snow scraping against the window. Snow shredded
with gunfire. Red sky.
Snow on the tanks rolling over the city walls.
A helicopter lifting the living just
out of reach.
The city so white it is ready for ink.
Mutter II (Ankunft: Mund und Zerstörung)
In Notebook Fragments, einer Sammlung loser Notizen, weicht Vuong von der Ruhe und somnambulen Eleganz dieser Sprache an wenigen Stellen ab. Die Geschichte seiner Herkunft rekonstruiert er, als wäre es eine Deduktion: An American soldier fucked a Vietnamese farmgirl. Thus my mother exists. Thus I exist. Thus no bombs = no family = no me. Es wäre sehr einfach. Alles wäre einfach. Auf dem Cover liegen die Augen seiner Großmutter unter einer Nacht ohne Himmel, seine Mutter sieht durch Wunden. Vuong sieht mit ihnen; auch dann, wenn er nicht in ihren Stimmen spricht. Der Night Sky im Titel wurde im Gedicht Self-Portrait as Exit Wounds ersetzt; Vuong ist dieser geworden. Die Austrittswunden bleiben gleich. Ein Satz; ein Punkt beendet ihn nach drei Seiten: Aus ihm besteht diese assoziative Aneinanderreihung von Orten und Szenen, in der auch ein ähnliches Ereignis wie das, das Vuong mit protokollarischer Kühle in Notebook Fragments erwähnt, beschrieben wird, wie ein Fiebertraum. In ihm äußert er auch den Wunsch nach einer Korrektur dieses logischen Schlusses:
back to ’68, Ha Long Bay: the sky replaced
with fire, the sky only the dead
look up to, may it reach the grandfather fucking
the pregnant farmgirl in the back of his army jeep,
his blond hair flickering in napalm-blasted wind, let it pin
him down to dust where his future daughters rise,
fingers blistered with salt & Agent Orange.
Töchter: In einem Interview mit dem Verlag Well&Often aus dem Jahr 2013 nennt Vuong, der von seinen Müttern und Tanten großgezogen wurde, den weiblichen Blick den Blick des Zeugens, den Blick derer, die der Krieg, den es immer nur im Singular gab und geben wird: als ein einmaliges Ereignis, das andauert, zurückgelassen hätte, ohne verschont zu haben; im Winkel dieser Augen wird gesprochen. Der Krieg zerstört nicht nur Körper, er zeugt sie auch: no bombs = no family = no me.
Seine Mutter wohnt immer noch in einer Sozialwohnung in Hartford, wo sie in einem Nagelstudio arbeitet; 200.000 gibt es in den USA, oft von Vietnamesen betrieben. In The Gift erzählt er davon, wie er ihr das Schreiben beibringt; es beginnt mit den ersten drei Buchstaben des Alphabets, drei kursiven Kleinbuchstaben, in drei Wiederholungen, die über der ersten und zweiten Strophe stehen, als wären sie chemische Elemente.
Even now the nail salon
will not leave her: isopropyl acetate,
ethyl acetate, chloride, sodium lauryl
sulfate & sweat fuming
through her pink
I ♥ NY t-shirt.
Ankunft, in Sprache: Vuong bezeichnet das colloquial English, in dem er schreibt, in einem Porträt im New Yorker als destination. Seine Sprache ist so nah an ihrem Gegenstand, dass sie körperlich ist. Sie ist so nah an der Zerstörung, die ihr vorausgegangen ist, und die ihn allein in den Stand des Sprechens setzte – faktisch, erstens: Ihn würde es ohne sie nicht geben; faktisch, zweitens: Ohne sie wäre seine Familie nicht in den USA –, dass sie auch dort, wo sie nicht Gegenstand der Rede zu sein scheint, präsent ist, als Andeutung durch Stoff: Die Aufzählung chemischer Bezeichnungen erinnert an die Zusammensetzung des Entlaubungsmittels Agent Orange, das die U. S. Army während des Vietnamkrieges großflächig einsetzte; der Schweiß seiner Mutter wird genannt wie eine weitere. Er ist es auch. Bis nach New York, der Stadt, in der ihr Sohn lebt: der Geruch, durch dieses T-Shirt, durch ein schwarzes Herz. Nur in Immigrant Haibun schreibt Vuong die Konjunktion and aus, die in den anderen Gedichten durchgängig durch das Ersatzzeichen & ersetzt wurde, so, als gäbe es keine direkte Verbindung, die Wörter in dieser Unmittelbarkeit herstellen könnten, zumindest: keine einfache logische und grammatische. Es gibt sie nicht. Er weiß es. Das gilt auch für die eigene Herkunft, für die Richtung, aus der er gekommen ist:
When they ask you
where you’re from,
tell them your name
was fleshed from the toothless mouth
of a war-woman.
That you were not born
but crawled, head first –
into the hunger of dogs. My son, tell them
the body is a blade that sharpens
by cutting.
Es ist die Stimme seiner Mutter, die zu ihm in Headfirst spricht, wieder; wenn er keine Antwort weiß: Der Halbgeviertstrich zeigt nicht nur die Pause im Sprechen an, graphisch: geschlossene Lippen, sondern auch die Richtung, in die er geboren wurde; sie zeigt ins Leere.
Vater, in Klammern (Knochen / Brechen)
Vuongs Verse simulieren ihr Ende, semantisch, syntaktisch, dramaturgisch. Aber ihr definitives Ende kündigt sich nicht an. Es bleibt anders als erwartet. Von ihm kann nur im Perfekt gesprochen werden: Es ist ein anderes geworden. Es wäre möglich, einen Punkt an das Ende vieler zu setzen (When they ask you / where you’re from, / tell them your name. oder: When they ask you / where you’re from, tell them your name / was fleshed from the toothless mouth. oder: When they ask you / where you’re from, /tell them your name / was fleshed from the toothless mouth / of a war-woman.); der Punkt wird antizipiert, und auch sein Ausbleiben bereitet nicht vor auf das, was kommt. Der Vers, der folgt, bricht den, aus dem er entwickelt wurde, weil er ihm vorausging; aber der Sinn ist ein anderer geworden; er verändert sich in der Sekunde des Bruchs. Dieses Brechen wiederholt sich wie ein Naturgesetz. Das präzise Setzen glatter Enjambements, die, ihrer Natur nach, Sätze kalkuliert brechen, ohne Syntagmen und Morpheme zu verletzen, destabilisiert die Strophe bis zu ihrem Sturz. Die Form des Gedichts führt gewissermaßen aus, was das Gedicht semantisch und grammatisch nicht auszuführen braucht, aber begründet. The strongest poems, erklärt Vuong 2013 in einem Gespräch, das er mit dem Dichter Edward J. Rathke führte, allow themselves to collapse before even suggesting resurrection or closure. Diese Poetik des Brechens – des Abbrechens, Zusammenbrechens und Knochenbrechens – widerspricht nicht der Zartheit seiner Sprache: Sie ist zerbrechlich genug, um nicht zu brechen. Und um von diesen Enjambements gebrochen zu werden, muss der Vers erst geschrieben worden sein. In My Father Writes from Prison, einem der wenigen Gedichte, das nicht in Versform geschrieben wurde, wird diese Poetik, in ihrer zyklischen Wiederholung, zu einer Dialektik der Begierde:
started to run from their country into / their country / the ak-47 the lord whose voice will stop / the lilac / how to close the lilac / that opens daily from my window / there’s a lighthouse / some nights you are the lighthouse / some nights the sea / what this means is that I dont’t know / desire other than the need / to be shattered & rebuilt.
Auf dem Cover ist Vuongs Vater anwesend, ohne Körper: als Bekenntnis in Schrift. Night Sky With Exit Wounds ist seiner Mutter gewidmet, und ihm in Klammern. Auch im Namen dieses Gedichtes bekennt er sich zu ihm – im Duktus eines naiven Versprechens: Always & Forever erzählt von seiner Klammer, von einer Erinnerung, daran, wie er, ein ehemaliges Mitglied der chinesischen Mafia, bevor er ging, seinem Sohn einen Revolver gab, und wie dieser den Schuhkarton unter dem Bett, in den er ihn legte, öffnet, sieben Jahre später, sieben Jahre zu spät: open this when you need me most. Nach ihrer Ankunft in Hartford wurde er wegen häuslicher Gewalt verurteilt. Dieser Satz, den er zu ihm sagte, und mit dem, als wäre er der fürsorgliche Rat, für den er hier ausgegeben wird – er könnte es auch gewesen sein; es würde sich nicht ausschließen –, Vuong das Gedicht beginnen lässt, verändert langsam seinen Sinn – und der Lauf, auch der der Waffe, seine Richtung:
Maybe the day will close without
the page turning as he wraps his arms around
the boy’s milk-blue shoulders. The boy pretending
to be asleep as his father’s clutch tightens.
The way the barrel, aimed at the sky, must tighten
around a bullet
to make it speak.
Vuong schreibt in der dritten Person; so vorsichtig, als wäre dieses Verbrechen ein Gebet.
Verschwinden: Der Vater, abwesend, wie er geworden ist, erscheint in Telemachus, benannt nach dem Sohn von Odysseus und Penelope, der in den ersten vier Büchern der Odyssee auf der Suche nach seinem vermissten Vater ist, als mythische Figur, und auch dieser Sohn, der spricht, wird mythisch geworden sein:
Like any good son, I pull my father out
of the water, drag him by his hair
through white sand, his knuckles carving a trail
the waves rush in to erase.
Vuong stellt der Handlung, es ist der Anfang des Textes, ihre Begründung voraus, eine spezifische Pflicht gegenüber den Eltern, die, substanziell, von Schuld kaum unterschieden werden kann. Diese Schuld, auch in dieser Form: ein anderer geworden zu sein als sie, die alles zurückgelassen hatten und alles tun, um ihren Kindern ein anderes Leben zu ermöglichen, sich gewünscht hatten, wird in den Sinn- und Satzbrechungen formal inszeniert. Mit den einfachsten literarischen Mitteln gibt Vuong dem Vater einen Körper – und dieser Prozess ist transparent: Er zieht ihn aus dem Stoff seines Vornamens –, um die Spuren, die dieser im weißen Sand – dem Gedicht selbst, auf weißem Hintergrund geschrieben – hinterlässt, mit seinem Namen wieder zu verschwischen; seine Spuren bleiben bis zum Enjambement. Dieser Vater wird ihn nicht wiedererkennen. Er spricht nicht. Auch er ist ein anderer geworden.
I kneel beside him to see how far
I might sink. Do you know who I am
Ba? But the answer never comes. The answer
is the bullet hole in his back, brimming
with seatwater. He is so still I think
he could be anyone’s father, found
the way a green bottle might appear
at a boy’s feet containing a year
he has never touched. I touch
his ears. No use. I turn him
over.
Vuongs Stimme bleibt ruhig. Ihre Strenge gehört zum Register ihrer Empfindsamkeit. Telemachus ist ein Requiem für einen Vater: er beschreibt ihn, als wäre er bereits gestorben. Wenn er von oder zu seinem Vater spricht, nur in My Father Writes from Prison schreibt er aus seiner Perspektive, spricht er ohne Urteil. Das erste Gedicht steht allein; die anderen wurden in drei Gruppen gebündelt, ohne Titel. Eine Linie trennt sie; die Grenze, über die gegangen wird, wird durch den, der über sie geht, immer gegangen sein. Vuong, auf seinen Knien. Er sieht seinen Vater: in Threshold steht er an einer Schwelle, die auch dieser Text ist.
In the body, where everything has a price,
I was a beggar. On my knees,
I watched, through the keyhole, not
the man showering, but the rain
falling through him: guitar strings snapping
over his globed shoulders.
He was singing, which is why
I remember it. His voice –
if filled me to the core
like a skeleton. Even my nam
knelt down inside me, asking
to be spared.
Auch der Halbgeviertstrich, der in die Richtung, in die seine Stimme spricht, zeigt, zeigt durch das Enjambement ins Leere. Wenn der Körper kniet, kniet auch sein Name.
Den Körper beugen (Verlassen: Hand und Silben)
Auf den Knien, am Anfang, am Ende: In dieser Haltung zeigt sich Vuong oft, nicht nur im ersten und letzten Gedicht. Das ist auch die Position, in der er manchmal schrieb: auf dem Boden, die Texte vor sich ausgebreitet. In ihnen wird auf den Knien gewartet, gebetet, geschluckt:
Instead, the year begins
with my knees
srcaping hardwood,
another man leaving
into my throat.
Auch in Devotion, dem letzten Gedicht, ist der Körper, der spricht, einsam; diese wesentliche Einsamkeit – die Einsamkeit des Körpers, aber auch die Einsamkeit der Sprache – bleibt. Das Verb to leave bedeutet verlassen nur bis zum Enjambement, und dennoch: Es wird nichts anderes bedeutet haben. Alles wird verlassen: Land, Familie, Körper. Vuong bezeichnet den Körper in einem Interview mit der Künstlerin Kamaeelah Janan Rasheed als major vessel in my poetry und a slight obsession. In ihm bewahrte seine Familie ihre Sprache und Erinnerung auf. Es gab keine andere Möglichkeit: Er ist ihr Archiv. Als Analphabeten blieb ihnen das gesprochene Wort, dessen Flüchtigkeit und Unmittelbarkeit, gebunden an die zufällige Präsenz eines Körpers, der überlebte. Er trägt kanonisches Wissen, auch das der Vernichtung, der er entkommen ist, und deren Zeichen der Körper, auch Vuongs Sprach- und Schriftkörper, immer gewesen sein wird. Der Körper bietet ihm eine Sammlung unsicherer Metaphern, die er mit signifikanter Kontinuität und, trotz der äußeren Identität der Wörter, irritierenden Variationen verwendet. Die Gewalt, die seinen formte, bestimmt das Vokabular, mit dem er jeden beschreibt. In A little Closer to the Edge erzählt Vuong, wie seine Eltern – oder Eltern, die seine sein könnten – ihn – oder jemanden, der er sein könnte – zeugten.
Young enough to believe nothing
will change them, they step, hand in hand,
into the bomb crater. The night full
of black teeth. His faux Rolex, weeks
from shattering against her cheek, now dims
like a miniature moon behind her hair.
Und wieder: Sie glauben an nichts, bis zum Verssprung in diese Vertiefung, die der Krieg, aus dem sie kommen, in der Erde zurückgelassen hatte, und sie werden an nichts anderes geglaubt haben. Das ist der Anfang. Sie sagen kein Wort. Die Sprache, die sein Vater besitzt, besteht aus Silben, Sprecheinheiten, mit denen nicht gesprochen werden kann. Sie gibt er seinem Sohn mit als erste Berührung:
He lifts her white cotton skirt, revealing
another hour. His hand. His hands. The syllables
inside them.
Vuong – oder jemand, der Vuong sein könnte – beginnt mit dem Ende:
Let every river envy
our mouths. Let every kiss hit the body
like a season. Where apples thunder
the earth with red hooves. & I am your son.
Vuongs Sprache ist so sinnlich, dass sie, als eine Empfindung der Gegenständlichkeit, haptisch wirkt. In Notebook Fragments beschreibt er den Hodensack eines Englischlehrers: His scrotum a bruised fruit. Durch die geschickte Wortwahl und ihre effektive Anordnung erscheint er als das, als was er ihn sieht: Das prominente r und der darauffolgende o- und u-Laut in scrotum, bruised und fruit, einer abnehmenden Sequenz von Konsonantenclustern, bilden phonetisch die Rauheit einer unebenen Hautoberfläche nach. Die schrittweise Verkürzung vom zweisilbigen scrotum zum einsilbigen fruit im Verlauf dieses Hauptsatzes führt den Hodensack direkt vor Augen, als eine abgeschlossene, verletzte Rundheit, die der Mund beim Aussprechen formt.
I kissed it
lightly, the way one might kiss a grenade
before hurling it into the night’s mouth.
Maybe the tongue is also a key.
In diesen Texten gibt es nur verletzte Körper – und auch die verletzenden und verschwundenen gehören zu ihnen. Am 27. April 2011 wurde das Paar Michael Humphrey und Clayton Capshaw ermordet. Vuong versetzt sich in Seventh Circle of Earth, angelehnt an Dantes siebten Höllenkreis, den Gewalttätigen vorbehalten, in einen von ihnen hinein, bis in die Asche seines Namens. Ihr Haus wurde in Brand gesetzt, nachdem sie ermordet wurden. Das Gedicht wird eingeleitet von einer Kurzmeldung aus der Dallas Voice, oben, rechts. Darunter: Zahlen, verteilt auf der Seite, sieben insgesamt, drei auf der ersten, vier auf der zweiten, wie ein Sternenbild auf einem leeren Himmel. Unter einer kurzen Linie stehen die Strophen; jeder Zahl ist eine Strophe zugeordnet, als wäre es ihre Fußnote.
- As if my finger, / tracing your collarbone / behind closed doors, / was enough / to erase myself. To forget / we built this house knowing / it won’t last. How / does anyone stop /regret / without cutting / off his hands? / Another torch
- Streams through / the kitchen window, / another errant dove. / It’s funny. I always knew / I’d be warmest beside / my man. But don’t laugh. Understand me / when I say I burn best / when crowned / with your scent: that earth-sweat / & Old Spice I seek out each night / the days
- refuse me.
Ein Toter spricht: Der Textkörper ist verschwunden. Er liegt unter der Erde, die diese kurze Linie ist, links. Was von Michael Humphrey und Clayton Capshaw blieb: Leere. Zahlen in einer Statistik. Fußnoten einer Geschichte. Ein Night Sky With Exit Wounds.
Gischt (Aussprechen /Ausspucken)
In Devotion, dem letzten Gedicht, verbigt sich Vuongs Vorname. Ein Vokal; offen, abrupt; die Lippen formen ihn nach, während Luft, kurz, den Mundraum passiert; die letzte Silbe: das Geräusch einer Bewegung, Rauschen. Zurückbleiben: Gischt, Müll, tote Flüchtlinge. If we make it to shore, he says, I will name our son after this water. Das lässt Vuong den Vater in Immigrant Haibun sagen, auf dem Schiff, auf dem er und seine schwangere Frau auf Land warten, auf irgendeins. Das Glas, in dem sie sind, ist dunkel:
There’s a cork where the sunset should be. It was always there. There’s a ship made from toothpicks and super-glue. There’s a ship in a wine bottle on the mantel in the middle of a Christmas party – Eggnog spilling from red Solo cups.
Nachdem Vuongs Mutter sich von seinem Vater scheiden ließ, gab sie ihm diesen Namen, anders, als das Gedicht vermuten lässt. Im Nagelsalon soll sie, da sie beach nicht aussprechen konnte, zu einer Kundin gesagt haben, dass sie zum bitch gehen wolle. Sie schlug ihr vor, ocean stattdessen zu sagen. Vuong wendet diesen Namen, der einen anderen Anfang, in einem anderen Land, ohne Vater, bedeutet, auf sich an: Der Pazifik sei ein Ozean, der Vietnam und die USA berühre, aber weder zu Vietnam noch zu den USA gehört. Von dieser Erfahrung erzählt Night Sky With Exit Wounds – vom Krieg, vom Verlassen und von der Ankunft in einer Sprache, die ihm zu sagen gab, was das bedeutet:
We keep standing at the bow. A wedding-cake couple encased in glass. The water is so still now. The water like air, like hours. Everyone’s shouting or singing and he can’t tell whether the song is for him – or the burning rooms he mistook for childhood. Everyone’s dancing while a tiny man and woman are stuck inside a green bottle thinking someone is waiting at the end of their lives to say Hey! You didn’t have to go this far. Why did you go so far? Just as a baseball bat crashes through the world.