Eines Tages steht er vor der Tür, der neue Wagen: mehr PS, top Spritverbrauch, aller Schnickschnack. Aber wie man ihn vermisst, den alten klapprigen Ford. Ein Abgesang
Längst steht ein Funkelnagelneuer, Schickerer, Größerer vor der Tür. Ein sogenannter Kombi. Mit mehr Pferdestärken, aber weniger Spritverbrauch (uns können sie ja viel erzählen) und allem möglichen Schnickschnack (begeistern kann mich allerdings allenfalls die Lordosenstütze). Aus verschiedenen mal mehr, mal weniger guten Gründen bin ich auf einen angewiesen.
Er gehört mir zwar nicht; die Rechtsnachfolger von Henry Ford stellen ihn mir aber für einen vergleichsweise lächerlichen monatlichen Euro-Betrag zur relativ freien Verfügung. In vier Jahren bringe ich ihn zurück, und sie geben mir dafür einen noch Funkelnagelneueren, noch Schickeren, womöglich noch Größeren. (Mit womöglich noch mehr Pferdestärken und noch weniger Spritverbrauch. Uns können sie ja noch viel mehr erzählen.)
Wunder des Kapitalismus! Reines finanzmathematisches Exempel, mir jedoch zu hoch. Vielleicht nicht unbedingt zu hoch, vielmehr zu müßig. Oder auch bloß zu dumm. Beziehungsweise stelle ich mich dumm, aus Faulheit – sowie aus von sich selbst gelangweiltem, sowieso generalbassmäßig vor sich hin brummendem schlechten Gewissen (vgl. dazu Odo Marquards „Übertribunalisierung“ der menschlichen Lebenswelt, Theodor W. Adornos „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, Günther Anders‘ „prometheische Scham“ et al.). So oder so nicht schön. Nun ja.
Jedenfalls handelt es sich um eine charakterlose, verwechselbare Spießerkiste, wie sie im Kataloge steht. Im Gegensatz zu meinem liaben kleinen Ford Guano. (Als „liab“ bezeichnet eine Figur in einer der grandiosen Verfilmungen von Wolf Haas‘ Brenner-Romanen ihren – wenn ich mich recht entsinne – VW Beetle.) Siebzehn Jahre lang leistete mir jener Ka Dienste als fahrbarer Untersatz (dieses Synonym gehört aufgrund seines antiquierten Anklangs dringend in diesen Text). Passable Dienste. Wirklich treue eher den Tauben, Raben und Elstern in meiner Straße: als Abort nämlich. Daher die – natürlich auf meinem eigenen Mist gewachsene – Typenbezeichnung Guano.
Aufs Karussellautoartigste
Mir gefiel durchaus sein Design. Bekifft oder auch nur mit zusammengekniffenen Augen mochte man ihn womöglich mit einem Porsche verwechseln (solang man nicht aufs Gaspedal trat). Meine Freundin fand ihn doof. (Ha! Fährt SIE doch das Auslaufmodell eines Renault Twingo, dessen Design zwingend an einen vorindustriellen Hemmschuh erinnert.) Mir aber war dieses zickige Autochen irgendwann so ans Herz gewachsen, dass ich es einer eigenen Romanfigur aufdrängte.
Drei Monate ist er nun schon fort, und zu meiner eigenen Verblüffung vermisse ich ihn immer noch. Liaber kleiner Ford Guano, tut, tut, tut!
Zart, wenn nicht unzart widerlich, diese infantile Objektliebe, ich weiß; klebrig wie der Firnis von Blattlausurin auf Blechen und Windschutzscheiben in den wärmeren Jahreszeiten … Sei’s drum. (Die Hupe übrigens tutete tatsächlich aufs Onomatopoetischste, aufs Karussellautoartigste, aufs Dreigroschen-Kinderschaukel-vorm-Kaufhaus-hafteste – so liab, dass die Entschuldigung gleich im Klang mitschwang: Nichts für ungut, aber man wird ja wohl noch mal tuten dürfen!)
Apropos tuten: „Tut tut tut, ein Auto. Grete fährt im Auto“, so lauteten die ersten von mir jemals entzifferten Sätze, aus der Lesefibel der ersten Klasse. Bis heute schlägt mein albernes Herz höher, erblicke ich unversehens eine Karosserie mit einer bestimmten Metallicnuance von Bordeauxrot (zum Beispiel die mancher griechischer Taxis), wie sie eines meiner heiß geliebten Matchbox-Autos von damals schmückte … Als ich zehn Jahre alt war, gab es für mich wenig Aufreizenderes als die Ästhetik von Reifenspuren. Fräste mein Onkel mit seinem silbergrauen Ford Taunus 20M TS (6 Zylinder!) per Kavaliersstart, vier-, fünfmal hin- und herdriftend, eine Doppelschlangenlinie in den dörflichen Geestsand, war ich bei der Betrachtung des vollendeten Werks von ähnlicher Ehrfurcht ergriffen wie ein Bildungsbürger angesichts eines Renaissance-Freskos.
Pff! Tuuut! Tröööt!
Nicht von ungefähr lautet der Titel eines automobilkritischen Dokumentarfilms Mama Papa Auto. Bereits knapp zwanzig Jahre ist es her, dass er mit dem Grimme-Preis Spezial ausgezeichnet wurde (Untertitel: „Ein Nachruf auf das Automobil“). Passiert ist seither wenig. (Außer dem VW-Betrug.) Der Mensch bleibt nun mal kindisch. Unvergessen, wie einst die Studiozuschauer einer bestimmten stern-TV-Sendung – hauptsächlich ein Trupp bierbäuchiger Kerle in Ferrari-Trikots –, von Günther Jauch ermuntert, in ihre eigens mitgebrachten Kazoos bliesen, um Formel-1-Boliden nachzuahmen – als wären sie nicht 40 plus, sondern 10 minus! Was für eine äh, rührende Allegorie auf die Trotzreaktion hinsichtlich der vierten großen narzisstischen Kränkung der Menschheit (nach der kosmologischen Kopernikus‘, der biologischen Darwins und der psychologischen Freuds): der technologischen Fords. Wir pferdestarke Menschheit sollen an unserem eigenen Untergang schuld sein? Pff! Tuuut! Tröööt!
Und sogar das Zünftige an der Apokalypse wird einem noch vermiest, wie der genialische Cartoonist Rattelschneck luzide nachweist. Erstes Panel: ICH HAB NULL ANGST VORM ALTWERDEN. ICH HABE DEN AUSSTIEGSPLAN. Darunter ein rotes Auto, das übers Kai aufs Wasser zurast. BEHALTE IMMER GERADE GENUG GELD AUF MEINEM KONTO FÜR EINEN GEILEN MIETWAGEN, FÜR EINE LETZTE SPRITZTOUR.
Wer jedoch beschreibt das Entsetzen des Protagonisten, als er im dritten Panel vorm Autoverleih NUR SELBSTFAHRENDE angeboten bekommt? FUCK! NIX FORD MUSTANG 1969. BESCHISSENE EIERFÖRMIGE FORTBEWEGUNGSARSCHLÖ… mit ELEKTRONISCHE(N) SPERREN GEGEN UNVERNÜNFTIGES FAHREN, JOYRIDES, VEHIKULAREN SUIZID! Deprimierend.
Ob diese unsere Geschichte ebenso rasant und beinah versöhnlich auf onanierende Delfine, autistische Kinder und gleichgültige Faultiere hinausläuft (vgl. Rattelschneck in der aktuellen Titanic)? Vielleicht erleben wir’s ja noch. Tut, tut, tut! (Apropos tut: Wie mag’s wohl meinem liaben kleinen Ford Guano gehen …?)
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