Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Hoch lebe die nationale Randale

 

Auf Stippvisite in Ost und West. Was trifft man? Nichts als deutschen Fraß und deutsche Fressen. Dazu ein bisschen Hurra-Idiotie und reichlich gefühlsechte Bosheit.

Demonstration von Pegida-Anhängern in Dresden © Sean Gallup/Getty Images
Demonstration von Pegida-Anhängern in Dresden © Sean Gallup/Getty Images

Ich reise in die wüste Peripherie, zu den Verheerten mit dem morgendlichen Schnapsatem, zu den Kerlen, die rechts täuschen und rechts treffen. Zu den Zonenkatjas in KIK-Klamotten und Plastikgaloschen, zu ihren prächtig ostdeutschelnden Töchtern, die im Westen blühen und gedeihen, und aber sagen: Der Mensch aus dem Westen, der kennt uns nicht. Ich reise nach Dresden, der Stadt der tapferen Sachsen, der erzgebirgischen Volkskunst, in die Stadt mit der Elbbrücke, die Blasewitz und Loschwitz verbindet. Kaum sitz ich im Taxi, donnert der Fahrer los: Nix gegen Juden. Wer vergast wird, kriegt Entschädigung, das ist nicht falsch. Aber diese Bunker, sehense, dort drüben, der Schandkasten, sieht das mistige Ding aus wien Gotteshaus, nee, tut es nicht, baut der Moslem so einen Tempel, gibts was auf die Mütze, nur dem Juden lässt mans durchgehen, will ja nix sagen, aber die Leute haben so was von die Schnauze voll, nix gegen Juden, aber das da, das gehört abgerissen, das machen die absichtlich, Augenpest ist das, na wurscht, das macht nen runden Zehner.

Ich reiche ihm den Schein und bitte um eine Quittung, er schreibt wie ein auf von der linken auf die rechte Hand trainiertes Kind. Ist das die Schrift eines völkisch gesinnten Mannes? Sind die krummen Buchstaben Ausdruck des Aufmuckertums? Später darf ich in der Zeitung die Abbitte eines Edeljournalisten lesen: Liebe Arbeiterklasse, ich habe dich verkannt, ich gelobe Besserung. Wie will er sich bessern? Geht nur noch ins deutsche Wirtshaus, säuft das härteste deutsche Bier, lobt er nur noch deutsche Gedichte und Gesichter, deutsche Fressen und deutschen Fraß? Und also sitz auch ich bald in der Eckkneipe, ich wühl mich wohl unter müffelnden dicken Mackern in Steppwesten, die mich anglotzen, als würde mir eine fette Forelle aus dem Mund hängen, und als sie aber sehen, dass ich das Essen wie ein Schwein grunzend reinschaufele, sind sie beruhigt. Worüber sprechen sie? Über Kanakenweiber. Hab ich sie bezahlt? Nein. Wissen sie, dass ich hergefahren bin, um ihresgleichen zu besichtigen? Nein.

Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu, Seite 1
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu, Seite 1

Bolschewisten in Regenjacken

Ich schaufele das Mastfutter und lausche dem Krötenkönig am dudelnden Spielautomaten, er spricht in donnernden, brausenden Worten: Das Weib war angemalt, Lippen, Wangen, alles im Nuttenrot, nur die Augenschwarz, die lief in Schuhen mit so ne hohen Absätze, aber n Tuch hatte sie um, als hätt sie sich in ne Gardine eingewickelt, ich bekomm so n Hals, ich geh zu ihr hin und sag: Was tust du hier in meiner Straße, willst du mich verarschen oder was, geh in deine Heimat und lass mich in Frieden, solche wie du stinken mir Dresden kaputt, Islamisten pule ich mir morgens aus der Nase, Islamisten kacke ich ins Klo, glaub ja nicht, dass du hier bei uns machen kannst, was du willst, hau ab nach Arabien, wo du herkommst. Da hat sie gestaunt, da hat sie Schiss bekommen, ich hab ihr gesagt, ich sag: Mich kriegst du nicht klein, Mädchen, so ne Türkentussis wie du wollen uns erobern, wir machen euch platt, wirst schon sehen, und jetzt verpiss dich. Da hat sie gestaunt, da hat sie plötzlich angefangen, rumzuplärren, von wegen Nazi, von wegen ich zeig dich an, das war mir dann zuviel Geschrei, ich hab sie einfach stehen lassen, die alte Fotze.

Ich tupfe mir die Soßenspritzer mit der Serviette vom Gesicht, der Krötenkönig stutzt: Wer sich das Maul nicht mit dem Hemdsärmel abwischt, ist eine Schwuchtel. Er fragt, woher ich komme. Ich sage, ich komme aus Kiel. Er fragt, wie ich heiße. Ich sage, ich heiße Friedrich, wie der Preußenkönig. Er will wissen, ob ich geschäftlich unterwegs bin. Ich sage, jawohl. Er fragt, was das für Geschäfte seien. Ich sage, Bundeswehr. Totenstille. Er sagt, wie ein Soldat sähe ich nicht aus, also tippe er auf Bonze vom Amt. Ich sage, jawohl, im geheimen Auftrag für die Frau Ministerin. Er glotzt. Die Männer glotzen. Dann sagt der Mann: Ist nicht mein Bier, gutes Gelingen. Geheimauftrag zieht immer, fast immer, Stasi macht es möglich. Der bölkende Arbeiter will keinen Ärger. Er mault über die madigen Verhältnisse, so lange, bis der Meister ihm bedeutet, das Maul zu halten. Es ist egal, ob mich der Krötenkönig für ein undeutsches Element hält. Ich habe knappe Angaben gemacht. Ich könnte ihm Ärger machen. Ich sehe mit meinem langen Mantel und der Spießerumhängetasche aus wie ein Bürokrat. Lieber mal weiter saufen und über die Landnahme durch Mamelucken reden. Arabien wird zerbombt, Araber rücken ab ins Niemandsland. Wir aber, wir in Deutschland, wir kennen die Bolschewisten in Regenjacken, und wir kennen die rechtsbraunen Maulbrunzer, wir mögen sie nicht.

Ich reise nach Duisburg, die Stadt, die ich liebe, weil hier Rhein und Ruhr zusammenfließen, ich treffe mich am Eisenbahnhebeturm in Homburg mit dem Jungen vom Stadtrand: stolzer Abschaum, ab Mitte Hals abwärts tätowiert: Kolibri, Papagei. Sittiche. Er nennt sich Fashionkiller, weil es auf seinem T-Shirt steht. Er täuscht Tiefe durch Straßenweisheit vor, er schimpft auf Volksverräter, die Romane von Ausländern lesen, weil sie sich das Deutsche austreiben wollen. Du Pimpf bist nicht Antifashion, noch Killer, denke ich, was kannst du? Lümmellatein. Existenzbeweis durch Liederlichkeit, das kannst du. Er friert im dünnen Hemdchen, ins Lokal will er nicht wegen Rauchverbot, also fahren wir mit dem Bus zum deutschen Rand, zur Westzone der Bekloppten. Fünfter Stock, Plattenbau, Drecksbude mit Schmutzecken, alles stinkt, Lüften ist was für Schwule, der wahre Mann ranzt. Er greift zur Pulle, legt los, Thema: Emanzen, Flintenweiber, Pornoschnallen mit knisternden Nylonstrümpfen, Frauen, die nach dem ersten Wurf den Macker abschießen. Die Stadtmitte gehört ihnen, an den Rändern mehrt sich die Brut, welche Brut? Was sind das für Leute? Weiberangreifer, das fremde Pack.

Die Verirrten und Verheerten

Bis vor Kurzem lief es so: Wegen der Frauenrechte kriegt der deutsche Mann keinen Stich mehr im Land. Er spart auf ne Thai, fährt hin, wählt was aus dem Angebot, holt sie her. Oder, er hat Geld, fährt hin zu den Quasirussen, den geilen Ukrainern, wählt was aus dem Katalog, macht die Natascha zur Ehefrau. Ist klar, dass die Weiber bald mitkriegen, dass sie Rechte haben, deutsch oder nichtdeutsch, scheißegal. Die drehen auf, schießen den Macker ab, aber erst, wenn sie den guten teuren Pass bekommen haben. Soweit alles klar. Nun haben wir hier die Schwemme, Kanaken mit offenem Hosenstall. Hängen rum im Hauptbahnhof, in den Einkaufszentren. Machen unsere Frauen an. Ein Weib ist von Natur aus ein Agent, ein Volkszersetzer.

Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu, S.2
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu, S.2

Erst beim dritten Anlauf schafft es Fashionkiller, das Wort auszusprechen. Dann bricht er mitten im Satz ab, und will wissen, ob ich fremde Gene habe. Ich sage: Bin so deutsch wie Hitler. Er wird nachdenklich, er weiß nicht, ob ich ihn verarsche. Ich grinse nicht, ich glotze ihn mit schlaffem Gesicht an. Das kennt er, er stellt sich auch tot, wenn ihm was nicht passt, also gibt er erst einmal Ruhe. Nach einer Viertelstunde sagt er: Bist du wirklich deutsch? Ich sage: Hugenotten, von denen stamm’ ich ab. Er sagt: Was ist das fürn Zeug? Ich sage: Deutscher Stamm in Frankreich. Fashionkiller säuft die zweite Pulle leer, erklärt mir die Welt mit knappen rechtsradikalen Sätzen: Die Kanaken haben kein Schamgefühl, sie sind die Herren in unserem Land, Volk wird erwachen. Volk wird heimführen die Verirrten und Verheerten, ein Banner, ein Lenker, es wird geschehen.

Armer Kadaver, glaubt, dass Schinkenfressen der Unterschied zwischen Abendland und Moslems ausmacht. Armer Spätzünder, der erst als antideutscher Autonomer die Islam-Zerbombung forderte: Am Arsch die Vernunft, am Arsch die Fremdenliebe, hoch lebe die nationale Randale. Fashionkiller verschweißte sich mit der wahren Idee: ein bisschen Steineschmeißerei, ein bisschen Hurraidiotie, ein bisschen gefühlsechte Bosheit. Fakten sind was für Hirnis. Enthemmung jetzt! Er ist ein Junge mit stumpfer Schnauze, er wird weich, wenn er kifft. Als Gehilfe und Handlanger hält er sich übers Wasser. Er träumt von der Verwüstung der anderen: Jeder, der mehr verdient, ist privilegiert; jeder fremde Mann ist eine fremde Marke: abschaffen, ausschaffen, auslöschen. Ich stehe auf und gehe weg. Schlage die Zeitung auf, stoße auf einen weiteren Büßer, der den Sußerhass des Abschaums verharmlost. Selbsthass des Kolumnisten, intimes Theater, Hodenstolz und Goudamief.

Rassenstolz und Bergpredigt

Ich reise nach vielen Treffen mit Frauen und Männern der Unterschicht heim nach Kiel, in meine herrliche Stadt, auf dem Parkplatz am Tripnitzhafen steige ich in das Auto der völkisch-frommen Linda, wir brausen davon, es wird keine Liebesgeschichte, denn sie schäumt und schaudert, und schlägt mit der harten Faust aufs Lenkrad, als das Zündrad aus dem Feuerzeug fliegt. Ich gebe ihr Feuer, sie raucht mit rasselnden Lungen, in Wik steigen wir aus, Parkplatz vor der Tür, sie kann ihr Glück nicht fassen. Ihre Bude ist ein großer Andachtsraum, überall Holzkruzifixe, überall Karten mit Jesussprüchen. Diesmal läuft es anders, ich soll auspacken. Ich sage: Der Heiland ist Gottes Liebling.

Sie fällt mir ins Wort, ich soll nicht salbadern. Ich sage: Was willst du hören? Linda hält es nicht mehr aus auf dem Stuhl, sie predigt im Stehen: Christsein ohne Kirche, das will Gott heute, die wahre Gemeinde, das sind die Millionen von glühenden Gläubigen, das sind wir, wir gehen nicht in diese Sautempel, in denen der Herr geschändet wird, für die bekehrten Neger ist der Heilige Geist doch nur eine Holzmaske, ein bemalter Fetisch, wir sind Christi Missionare, sie sind dem Wort untertan, was soll der ganze Schwindel? Nächstenliebe! Wer ist mir der Nächste? Mein deutscher Nachbar. Dem helfe ich, dem steh ich bei, ich fütter nicht die Zigeunerclans durch, ich reich nicht den Syrern die Hand, ich füll nicht anderer Völker Bettelschalen. Nicht mit mir! Nicht in meinem Land! Wird Zeit, dass man den Ketzern die Hölle heiß macht!

Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu, S.3
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu, S.3

Linda Evangelikal müsste es doch wissen: Haben die Päpste nicht zur Ketzerverbrennung aufgerufen? Wäre sie nicht in früheren Zeiten auf dem Scheiterhaufen gelandet? Linda Evangelikal schwärmt von dem Blutschwall aus den Wundmalen Christi, von den rostigen Zimmermannsnägeln, die aus den Holzgalgen gezogen wurden. War der Mann, der das Himmelreich versprach, nicht ein Jude? Sie spricht von der Heiligkeit des Heilands, von seiner Jüdischkeit hält sie nix, sagt sie: Die meisten Ausländer kommen in die Hölle, du bist davon nicht ausgenommen, Rest und Abfall fegt der Teufel in den Höllenpfuhl, Rassenstolz und Bergpredigt sind vereinbar, der Herr verdammt das Weltbürgertum und liebt die Herrenrasse, Gott ist ein strenger Weltenrichter, er säubert, er tilgt, er reinigt, Vermischung ist Rassenschande, schau nach im Alten Testament, da durchbohrt der Krieger des Propheten Jud und Nichtjüdin, die es gerade treiben, er stößt die Lanze durch die sündigen Leiber, Vergeltung ist versprochen.

Gutes Schauspiel, leider meint sie es ernst, wie alle rechten Irren ist ihr Traumziel die Kläranlage. Angaben zur Person: Hauptschulabschluss, Fehlgeburt, ungelernte Aushilfskraft, nach ein paar Dramen mit Vorstadtprolls Wiedergeburt durch echte Taufe. Ausländerfreies Leben. Ihr Vorsatz: Ich tret’ nie wieder in die Scheiße. Ihre Freunde und Bekannten: Lupenreine Deutsche ohne Fremdzusatz. Das Gespräch ist zu Ende, wir geben einander nicht die Hand.

Habe ich was dazugelernt? Nö. Ich komme von ganze unten, ich kenne Jargon und Hässlichkeit. Die bessere Welt ist die wahre Welt. Die wahre Welt ist eine Welt, in der weniger gelogen wird. Die Leute unten lügen genauso viel wie die Leute oben. Punkt.

_________________

Sie möchten keinen Freitext verpassen? Es gibt einen Newsletter. Hier können Sie ihn abonnieren.