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Du herrlichstes unter den lotrechten Erschließungsbauteilen!

 

Ständig jammern wir übers Treppensteigen. Dabei gibt es nichts Schöneres. Treppen sind das Pendant zur Himmelsleiter und Zeichen des sozialen Zusammenhalts. Ein Loblied

Musikinstrumenten-Museum Berlin © Florian Werner

Gelobt seist du, Treppe, du herrlichstes unter den lotrechten Erschließungsbauteilen! Preisen will ich dich, mit meiner nichtswürdigen Zunge deine Stufen putzen, mit tastenden Schritten erkunden, was mir an dir gefällt.

Wir wohnen im vierten Stock, Altbau, Berlin 1911. Man erreicht unsere Wohnung über eine zweiläufige Treppe mit Zwischenpodesten, insgesamt 93 Stufen in acht allmählich kürzer werdenden Tranchen – ein Aufstieg, der, zumindest wenn man in der einen Hand einen zappelnden Einjährigen und in der anderen eine Tasche mit Einkäufen trägt, ziemlich lang werden kann. Das Treppenhaus harrt seit dem letzten Weltkrieg seiner Sanierung, viele Graffiti sind erkennbar lange vor der Erfindung der Spraydose entstanden, und Besucher äußern sich manchmal abschätzig über seinen Zustand.

Die 93 Stufen. Treppenhaus des Autors © Florian Werner

Dennoch würde ich mir um keinen Preis ein anderes, weniger verlottertes Treppenhaus wünschen. Oder gar einen Fahrstuhl. Denn das Treppenhaus ist die Ouvertüre zur Wohnung, Zumutung und Zurüstung zugleich. Nur wer sich Schritt für Schritt durch den Siff des Aufgangs gequält hat, weiß die Ankunft in den heimischen vier Wänden zu schätzen. Das Treppenhaus ist das moderne Pendant zur mittelalterlichen Himmelsleiter. Per aspera ad astra. Wer immer steigend sich bemüht, den können wir erlösen.

Aussichtstreppe in Pottiga, unteres Saaletal © Florian Werner

Zu selbstquälerisch, zu christlich? Nun, auch der brave Materialist dürfte seine Freude an der Treppe haben. Schließlich gibt es kein Gebäudeelement, das so eindrücklich die Verfasstheit der missachteten, mit Stiefeln getretenen Massen symbolisiert. Kaum ein architekturtheoretischer Lehrstuhl widmet sich ihrer Geschichte (eine rühmliche Ausnahme macht das Friedrich Mielke Institut für Scalalogie an der Technischen Hochschule Regensburg), kaum jemand nimmt gebührend von ihrer grundlegenden Bedeutung Notiz. Klaglos bieten ihre Stufen sich den Tritten der Passanten dar, seien deren Schuhe nun mit Kalbsleder besohlt, mit Nägeln versehen oder Hundekot verschmutzt. Die Stufen ficht das nicht an, sie haben Generationen kommen und gehen sehen, sie stehen zusammen, bilden ein Kollektiv: Erst drei aufeinanderfolgende Stufen oder mehr gelten laut DIN 18065 als Treppe. Die Treppe ist mithin ein machtvolles Zeichen des sozialen Zusammenhalts, ein Signum wider die Vereinzelung und Vereinsamung der Gesellschaft.

Drei Stufen sind eine Treppe. Unterführung in Esslingen am Neckar © Florian Werner

Vor allem aber ist sie schön. Die Anordnung ihrer Stufen, sei es als U wie in unserem Mietshaus, sei es in Form vielfach verschlungener Ypsilons wie im Amtsgericht Berlin-Mitte oder als Doppelhelix wie im Loireschloss Chambord, schafft einen je eigenen Rhythmus sowie eine sachte aufsteigende Melodie.

Doppelter Wendelstein im Haupttreppenhaus des Amtsgerichts Berlin-Mitte © Florian Werner

Kein anderes Gebäudeelement steht näher an der Musik, nicht von ungefähr bedeutet das lateinische scala sowohl Treppe als auch Tonleiter. Der Treppenholm bildet die Notenlinien, die Läufe sind die Takte, die Stufen die einzelnen Töne, die Absätze markieren die Pausen. Wenn das Trappeln allfälliger Füße aus dem Resonanzraum unseres Treppenhauses erklingt, höre ich ein Lied, eine Erkennungsmelodie: An der Lautstärke, dem Takt kann ich erkennen, wer gleich vor der Tür stehen wird. Käme er oder sie mit dem Fahrstuhl, hörte man nur das immergleiche Rattern des Getriebes.

Apropos: Keine Liebeserklärung an die Treppe wäre komplett ohne eine Schmähung des Fahrstuhls. Der Fahrstuhl hat keinen visuellen Rhythmus und ist auch sonst gänzlich unmusikalisch; er gibt allenfalls ein Quietschen und Surren von sich, einen Klingelton, wenn das gewünschte Stockwerk erreicht ist, eine quäkende Frauenstimme: „Straßenebene“. Da er selbst keine Musik ist, wird er gerne mit Fahrstuhlmusik beschallt, elevator music sagen die Amerikaner, aber nichts daran ist erhebend. Der Fahrstuhl saust so schnell in die Höhe, dass die Seele noch zwischen dem Erdgeschoss und der Beletage festhängt, wenn der Körper sich bereits im Dachstock befindet. Und das gilt nicht nur für Gebäude, auch für ganze Städte: Welcher fühlende Mensch nähme den Fahrstuhl zur Marburger Oberstadt, wenn er auch die Treppe mit ihrem Ausblick auf die Lahn nehmen kann? Oder den Lift von der Berner Münsterplattform hinunter zur Aare, wenn doch die hölzerne Mattetreppe aus dem vierzehnten Jahrhundert direkt daneben verläuft? Wer führe mit der Stadtbahn in den Stuttgarter Talkessel, wenn er genügend Kraft und Zeit hat, die Stäffele hinunterzuschlendern?

Stuttgarter Stäffele © Florian Werner

Nun: viele. Die Zug- und Anziehungskraft des Fahrstuhls ist zu stark, er steht für die verlogene Verheißung der Spätmoderne, dass alles ohne Mühe und in qualitativen Sprüngen zu haben sei. Ein Knopfdruck, schon hat man erreicht, was man wollte. Die Treppe ist da aufrichtiger, realistischer: Sie erinnert uns mit jedem mühsamen Schritt daran, dass Veränderungen, zumindest innerhalb unserer demokratischen Strukturen, meist nur inkrementell stattfinden und enorme Kraft kosten. Die Treppe ist das Bauteil für Verfassungspatrioten. Der Fahrstuhl scheppert mit den hohlen Versprechen der Demagogen.

Eine erfreuliche Mischform, vielleicht sogar Versöhnung: die Rolltreppe. Die großen ästhetischen Schlenker – Variationen in Farbe oder Material, Wendelungen, verzierte Geländer, geschwungene Grundformen – sucht man hier zwar vergebens. Dafür bilden ihre Stufen im Zusammenspiel mit den senkrecht verlaufenden Nuten der Trittflächen ein Gitterwerk, das in seiner Serialität an die Metallskulpturen von Thomas Lenk oder die Arbeiten des amerikanischen Minimalisten Carl Andre erinnert.

Sieben Versöhnungen. Treppenhaus des Dortmunder U © Florian Werner

Hinzu kommt der hypnotische Anblick, wenn die vertikale Setzstufe gegen Ende der Fahrt rapide schmaler wird – wenn die Trittstufe mit ihren Nachbarn zu einer horizontalen Fläche verschmilzt – wenn schließlich die gesamte Treppe vom Kamm des Austritts verschluckt wird wie das Wasser eines silbrigen Bachs, nur um am anderen Ende der Treppe wenig später wieder zu entspringen.

Und: Anders als im Fahrstuhl kann man sich auf der Rolltreppe auch gegen die Fahrtrichtung bewegen. Die Freiheit des Menschen, so schrieb der Philosoph Arnold Geulincx im siebzehnten Jahrhundert, bestehe darin, auf dem Deck eines Schiffs, das nach Westen segelt, in Richtung Osten zu laufen. Entsprechend könnte man sagen: Unsere Freiheit besteht darin, auf einer Rolltreppe, die nach unten fährt, nach oben zu laufen. Ja, wir können die Rolltreppe sogar mit einem beherzten Sprung über den Handlauf verlassen und die herkömmlichen, beschwerlichen Stufen nehmen. Wir können aussteigen und inmitten des Trends zur Automatisierung ein Loblied auf die Treppe singen. Denn die Treppe – erwähnte ich das schon? – ist unter den lotrechten Erschließungsbauteilen das herrlichste.

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