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Das Theater des Krieges

 

Gegen die Langeweile hilft das Basteln mit der Laubsäge. Bier gibt es zwischen 21 und 22 Uhr. Es gilt die Zwei-Dosen-Regel. Zu Besuch im Bundeswehrcamp in Afghanistan.

© Michael Disqué

 

Der Fotograf Michael Disqué und der Schriftsteller Roman Ehrlich reisten im Sommer 2015 in das Nato-Feldlager Camp Marmal bei Masar-i-Scharif in Afghanistan. Sie verbrachten drei Wochen innerhalb der Grenzen des Camps, sprachen mit den dort stationierten Soldaten und besuchten die verschiedenen Einrichtungen, Dienststellen und Arbeitsbereiche.

© Michael Disqué

 

Hinter den Absperrungen liegen die braunen Berge in der Sonne. Im Innern des Containers, in dem der Schulungsraum untergebracht ist, gibt es gekühlte Getränke. Der Container befindet sich auf dem Sprengfallenübungsgelände, das die Landschaft außerhalb der Absperrungen originalgetreu nachbilden soll. Es gibt einige Hügel, Büsche, Gräser, Staubstraßen, einen ausgetrockneten Bachlauf, ein paar Lehmhütten und ausgebrannte Fahrzeuge.

Es ist eine Trostlosigkeit in dieser Landschaft, von der nicht ganz klar ist, ob sie absichtlich mit nachgebildet wurde oder ohne Zutun entstanden ist. Im Schulungsraum auf dem Sprengfallenübungsgelände findet der Low-Level-Unterricht von Herrn K. statt. Er berichtet von seinen Problemen, die sich kaum von denen in einer ganz gewöhnlichen Schule unterscheiden. Es geht um Aufmerksamkeit, das Schaffen eines Bewusstseins für x, Formen der Vermittlung etc. Nur sind die Begriffe, auch für das eigene Verhalten, wesentlich technischer.

 

© Michael Disqué

 

Das Sprengfallenübungsgelände ist als einziger nicht asphaltierter bzw. nicht geschotterter Ort im Camp der bevorzugte Lebensraum der Mongolischen Wüstenrennmaus, des gerbil, das in einer symbiotischen Beziehung mit der die nur schwer heilbare Infektionserkrankung Leishmaniose übertragenden Sandmücke lebt. Die nachgebildete Landschaft im Camp ist für diese Tiere als Lebensraum authentisch genug. Vonseiten der Hygienebeauftragten des Camps kommt die Weisung, vor allem in den Abendstunden Ärmel und Hosenbeine lang zu tragen, Insektenschutz zu verwenden und die Gittertüren an den Containereingängen geschlossen zu halten. Das Gesicht der konkreten Gefahr im Innern des Camps ist im Durchschnitt 1 bis 2 Millimeter groß und mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Der Verlauf der Leishmanioseerkrankung ist in ihrer kutanen Variante unansehnlich und langwierig, in der viszeralen Variante tödlich.

 

© Michael Disqué

 

Wer gerade nicht arbeitet, sitzt manchmal auf einem Stuhl in der Sonne mit freiem Oberkörper. Die Bundeswehr verfügt über ein eigens für den Einsatz hergestelltes Sonnenschutzprodukt, das alle im Camp befindlichen Personen regelmäßig aufzutragen angehalten sind. Wenn es nichts für sie zu tun gibt, erhalten die Soldatinnen und Soldaten Zeit ZBV (zur besonderen Verwendung), was oftmals sicher ein abgekürzter Euphemismus ist für Basteln und Warten, Kickern und Rauchen. Es besteht auch die Möglichkeit zum Sport. Das Morale & Welfare Office führt einige Bücher zur Ausleihe, eine kleine Videothek sowie Playstation-Konsolen und eine Auswahl der gängigsten Spiele. Das Biertrinken ist nur zwischen 20 und 22 Uhr gestattet. Es gilt die Zwei-Dosen-Regel. Der Ablauf der Einsatzzeit, die noch verbleibenden Tage, Stunden, Minuten und Sekunden, sowie die steigenden Mehreinnahmen durch den steuerfreien Auslandsverwendungszuschlag lassen sich mithilfe der AVZ-App auf dem Smartphone nachvollziehen. Für den Rechner am Arbeitsplatz gibt es ein ähnliches Programm, den Motivator. Hier sind verschiedene Frauen auf dem Bildschirm abgebildet, die mit Ablauf der Einsatzzeit immer nackter werden.

 

© Michael Disqué

 

Theater of War: „An area or place in which important military events occur or are progressing. The Theater of War can include the entirety of the air, space, land and sea area that is or that may potentially become involved in war operations.“

 

© Michael Disqué

 

Nach dem ersten Monat der Eingewöhnung und des Kennenlernens der Umstände setzt nach einer Phase der Lethargie bei vielen im Ausland eingesetzten Soldatinnen und Soldaten eine Art Baudrang ein. Kreativität entsteht im Innern des Camps, wie auch außerhalb überall, in der Hauptsache aus Mangel und Langeweile. Am deutlichsten sichtbar wird dieser Hang zur kreativen Beschäftigung in den Nebentheken und den individuellen Rückzugsräumen, an den Rückseiten der Container, unter Tarnnetzen oder selbst gebauten Unterständen. Neben handgezimmertem Mobiliar und Grillplätzen sind hier auch verschiedene Laubsägearbeiten zu finden, Malereien, Metallskulpturen, Kleintiergehege, Springbrunnen und Zierpflanzen.

 

© Michael Disqué

 

Im Innern der Campkirche findet jeden Dienstag die Probe des Campchors statt. Die Militärpfarrerin, eine junge Soldatin und sechs ältere Herren stellen sich im Halbkreis auf und singen zur Begleitung einer Akustikgitarre, eines E-Pianos und einer Trompete. Der Altar der Campkirche ist ein schlichter grauer Stein mit Lesepult. Am Kreuz einer selbst gebastelt aussehenden Messkerze hängt ein ziemlich dicker Jesus und schaut zufrieden in den Raum.

Der göttliche Gärtner im Garten der menschlichen Seele: „Das Heil ist heute in dieses Herz eingekehrt und ich werde mich nicht mehr seiner Missetaten erinnern. Ich werde bestellen, was zerstört war, aufheben, was gefallen war, und befestigen, was gewankt hat.“

 

© Michael Disqué

 

Auf einem Container vor dem Campkrankenhaus steht ein selbst gebautes Segelschiff, ein Einmaster, mit gehisster Deutschlandfahne und grünem Hauptsegel, an dessen Steuerrad ein menschliches Skelett in Piratenkostüm steht und mit seinem ewigen Grinsen über das Camp und die Absperrungen hinweg in Richtung der nahen Berge blickt. Auf der Flanke des Schiffes steht mit weißer Schrift der Name Charon geschrieben. Der Fährmann der Unterwelt, der die Toten übersetzt über den Styx ins Reich des Hades. Ärzte der Marine bauten dieses Schiff für den scheidenden Flottillenarzt ihres Kontingents, als Ehrerweisung an den Kapitän ihrer Zeit im Camp. Nachfolgende Kontingente erweiterten dieses Abschiedsgeschenk zum Totenschiff und installierten den knöchernen Fährmann am Steuerrad. Unterhalb des Totenschiffes befinden sich der Aufenthaltsbereich und die Nebentheke des Sanitätszuges. Die Ärzte und Sanitäter, die hier abends trinken und reden, sind durch ein Tarnnetz vom direkten Anblick des Fährmanns Charon abgeschirmt.

 

© Michael Disqué

 

Wäschesack, Zutreffendes bitte ankreuzen:

Tropenhut

Feldbluse Feldhose

Feldjacke

Unterziehjacke

Unterhemd, braun

Unterhose, braun

Unterhemd, Winter

Unterhemd, lang

Unterhemd, roll, grün

Unterhemd, oliv

Sporthose, kurz

Socken, weiß

Handtuch

Sporttrikot

Trainingsjacke

Taschentuch

Panzerkombi

Socken, braun

Socken, oliv

Feldmütze

Bettlaken

Bettbezug

Kopfkissenbezug

Monteurkombination

T-Shirt

Slip/Unterhose

Schlafanzug

Rock

Damenwäschesack

Schal

Handschuhe

Maske

 

© Michael Disqué

 

In der Nebentheke Blaue Lagune, die den Reparaturwerkstätten in der Nähe des Flughafens angegliedert ist, steht ein junger Mechaniker hinterm Tresen, der erzählt, er habe die Karriere bei der Armee nach seiner Berufsausbildung aufgrund mangelnder Perspektiven auf dem freien Arbeitsmarkt begonnen. Nun befürchte er, dass er nach Ablauf seiner zehn Pflichtjahre nicht übernommen werden könnte. Seine Berufserfahrung als Mechaniker sei bedingt durch die militärischen Gerätschaften so spezifisch, dass sie in keiner zivilen Werkstatt zu gebrauchen wäre. Eigentlich müsste er noch einmal in die Lehre gehen. Er ist sehr verärgert über das Bild, das sich die Zivilbevölkerung zu Hause über die Menschen macht, die sich hier im Einsatz befinden. Er sei jedenfalls, sagt der Mechaniker, während er zwei kühle Bierdosen über den Tresen reicht, nicht hierhergekommen, um sich zu besaufen.

 

© Michael Disqué

 

Ein Staubsturm kommt auf und hüllt das Lager in ein unwirkliches, kulissenhaft beiges Licht. Der Wind pfeift und heult an den Gebäuden entlang und ausgerechnet am Ehrenhain der toten Soldaten entsteht ein unterweltliches Wimmern, dazu ein hohes metallenes Klopfen an den Fahnenmasten. Irgendwann wird auch der Aufklärungsballon eingeholt, weil eh nichts mehr zu sehen ist. Am Abend wird in der Oase im Atrium wie jeden Montag um 20 Uhr ein Film gezeigt. Es läuft I Am Number Four – ein amerikanischer Highschool-Fantasy-Film, der von Außerirdischen handelt, die optisch von Menschen nicht zu unterscheiden sind und die sich auf der Erde vor anderen Außerirdischen verstecken. Die anderen Außerirdischen haben bereits das ganze Volk derer, die sich verstecken, ausgerottet. Bis auf die neun Übrigen, auf die sie nun auf der Erde Jagd machen. Die Außerirdischen, die wie Menschen aussehen und auf der Flucht sind, können von den anderen nur in einer bestimmten Reihenfolge umgebracht werden (es wird nicht erklärt, weshalb). Der Film erzählt die Geschichte des Vierten in der Reihe, der sich in eine schöne Fotografin verliebt, seine Superkräfte entdeckt und beschließt, mit dem Weglaufen aufzuhören und sich den Feinden zu stellen.

 

© Michael Disqué

 

Der Abzug großer Truppenteile aus dem Camp, der in den vergangenen Jahren erfolgte, war für die auf dem kleinen Marktplatz nahe dem Haupttor ansässigen lokalen Händler ein großer Verlust. Gerade diejenigen Soldatinnen und Soldaten, die während ihrer Einsatzzeit die Grenzen des Camps nicht verlassen konnten, kauften zuverlässig ihre Souvenirs und Geschenke auf dem kleinen Markt. Heute sitzen die Händler die meiste Zeit über auf Hockern vor ihren Containerbuden und warten auf Kundschaft. Es besteht, wie auf Märkten üblich, die Möglichkeit zu feilschen. Die Händler sind dabei sehr freundlich und verweisen ausnahmslos auf die Qualität der Ware und nicht auf die Lage der Menschen außerhalb des Camps.

 

© Michael Disqué

 

 

Der Fotograf Michael Disqué und der Schriftsteller Roman Ehrlich erarbeiten gemeinsam fotografiebasierte Essays. Der hier veröffentlichte Auszug stammt aus dem Buch Das Theater des Krieges, das am 22. März bei Spectorbooks in Leipzig erscheint.

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