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Sich am Blut labend

 

Blutrünstige Männer: Können Film-Regisseure nicht schocken, ohne zum tausendsten Mal die Erzählhoheit über Weiblichkeit und weibliche Sexualität an sich zu reißen?

© Courtesy Everett Collection / action press

Es gibt ein in einigen Filmen und Serien verwendetes Bild, das ich beklemmend, fürchterlich und etwas abgedroschen finde. Wenn ich es sehe, überkommt mich eine ungenaue Entrüstung. Das hat man ja manchmal. Ich mag zum Beispiel auch keine falschen Abgänge, also wenn eine Figur so tut, als würde sie zur Tür rausgehen und sich dann im letzten Moment nochmal umdreht was sagt (abgesehen vielleicht von Columbo). Irgendwie ist das unrealistisch und oft schlecht gespielt.

Das Bild, von dem dieser Text handelt, ist allerdings ein ganz anderes und viel heiklereres und betrifft bei Weitem nicht nur Fragen der Ästhetik. Es geht um das Zeigen von Blut an der Innenseite weiblicher Schenkel. Oft folgt eine solche Einstellung nach der Darstellung oder Nichtdarstellung einer Vergewaltigung. Man sieht die Beine und nach ein bis zwei Sekunden rinnt ein Tropfen Blut gefolgt von einer Blutspur gen Knie.

Wie kaum ein anderes Medium haben Filme meine Idee der Welt geprägt, und anhand von einigen Filmemachern aus dem weiß / männlich-dominierten Top Segment möchte der Frage nachgehen, warum mich diese spezielle Repräsentation so abstößt.

Am einprägsamsten wird besagte Szene für mich in Theo Angelopoulos‘ Landschaft im Nebel gezeigt. In diesem grandiosen Film aus dem Jahr 1988 geht es um ein Geschwisterpaar, das auf der Suche nach ihrem Vater durch Europa reist. Einmal werden sie von einem freundlich wirkendem Lastwagenfahrer mitgenommen. Doch dieser Mann zerrt die vielleicht 14-jährige Voula nach der langen Nachtfahrt mit sich in den Frachtraum und sie verschwinden hinter der Plane des Containers. Die Kamera hält ununterbrochen auf den Ort des Verbrechens, während die Zuschauenden nur dunkel ahnen können, welches Leid sich dort ereignet. Zwei Autos halten im Hintergrund, doch fahren dann wieder weg. Zunächst kommt der Lastwagenfahrer, im vagen Bewusstsein der menschgewordene Horror geworden zu sein, hervor und macht sich zurecht und streicht seine Haare nach hinten. Langsam sehen wir Voula hervorkriechen. Sie setzt sich auf den Rand des Frachtraums und ein Schwall Blut strömt unter ihrem Rock hervor. Es tropft an der Ladefläche herab. Sie fasst sich in den Schritt und betrachtet das Blut an ihren Fingern. Danach beschmiert sie den Wagen damit, bzw. wischt es sich ab. Als ich diese Szene zum ersten Mal sah, weiß ich noch, konnte ich nicht einmal weinen, so entsetzt war ich.

Mitschüler werfen mit Handtüchern

Das gleiche Bild verwendet Brian de Palma in der Eröffnungssequenz von Carrie (1976). Beim Duschen nach dem Highschool Sport steht die titelgebende Hauptfigur im heißen Wasser und wäscht sich. Dass de Palma keine Möglichkeit auslässt, um die Brüste von jungen (der Fiktion des Films folgend sogar minderjährigen) Mädchen zu zeigen – und auch durch die Musik eher den Eindruck eines Blue Movies zu erwecken –, belassen wir mal unter Schmierigkeits-Verdacht am Rande. Was geschieht, ist folgendes: Carrie seift sich ein, sieht an sich herab und bemerkt, dass sie blutet. Die Einstellung ist beinahe identisch zu der bei Antonopoulus, nur das Sissy Spacek völlig geschockt von diesem Anblick ist, nicht apathisch und leer, wie ihre griechische Schauspielkollegin Tania Papaiologou. Blut läuft (vermengt mit Seifenblasen) an der Innenseite ihrer Schenkel hinab. Carries fanatische, christliche Mutter hatte ihr nie von den Monatsblutungen erzählt. Sie läuft kreischend durch die Umkleidekabine und besudelt alle mit ihrem Blut. Ihre Mitschülerinnen beginnen sie zu hänseln und werfen mit Hygieneartikeln und Handtüchern nach ihr. Carrie hockt verstört und nackt in einer Ecke und wird geächtet, bis die Sportlehrerin kommt und sie beruhigt.

Dieses Erlebnis weckt ihre telekinetischen Fähigkeiten und eine Glühbirne zerspringt. Der Film handelt davon, dass Carrie nach etlichem weiteren Mobbing immer stärkere telekinetische Fähigkeiten erlangt und zum Schluss alle umbringt. Wobei die Symbolik der spektakulären Schlussszene eine Dopplung der Eingangssequenz ist. Ihre Mitschüler*innen gießen einen Eimer Schweineblut auf Carrie, die daraufhin die Kontrolle verliert und die Gäste der Prom massakriert. Dass de Palma mit dieser Entscheidung eine indirekte Verbindung zwischen dem Blut von den vermeintlich unreinsten Tieren und dem der Menstruation, das historisch immer wieder als „dreckig“ stigmatisiert wurde, herstellt, kann man als intelligente Provokation oder dummblöden Machismo auslegen (einen weniger schambehafteten Umgang für junge Frauen wie Männer mit dem natürlichen Vorgang der Periode bewirkt eine solche Darstellung sicherlich nicht). Auch das zeitgleiche Erwachen zur „Hexe“ mit dem Beginn der Geschlechtsreife zu erzählen, steht in diesem Spannungsverhältnis.

Von einer ähnlichen Grenzwertigkeit lebt auch der 2016 erschienene Film Elle von Paul Verhoeven. Hier findet sich Isabelle Huppert in der Rolle einer erfolgreichen Spiele-Entwicklerin wieder, die direkt in der ersten Szene von einem Maskierten niedergeschlagen und vergewaltigt wird. Später sehen wir sie in der Badewanne, und ein roter Fleck vergrößert sich im Schaum über ihrem Geschlecht, doch die Protagonistin wischt ihn weg. Ohne allzu weit in die komplexe oder komplex unterkomplexe Erzählweise des Skandalregisseurs eintauchen zu wollen, ist hier vor allem bemerkenswert, mit welcher Gleichgültigkeit und Routine das Opfer der Vergewaltigung auf den Übergriff reagiert – auch im Verhältnis zu Carrie und Voula.

Nicht zu denken wäre Elle ohne Die Klavierspielerin (2001) von Michael Haneke. In diesem auf dem gleichnamigen Buch von Elfriede Jelinek beruhendem Drama sehen wir in einer kaum zu ertragenden Szene, wie sich die etwa 15 Jahre jüngere Isabelle Huppert als Erika Kohut auf dem Rand einer Badewanne sitzend mit einer Rasierklinge den Schambereich verstümmelt. Blut läuft am Wand der Wanne in Richtung Abfluss. Als sie von ihrer Mutter zum Essen gerufen wird, versucht sie schnell alles sauber zu machen, ganz so, als hätte sie bloß heimlich geraucht. Ihre Mutter bemerkt den Blutfaden an der Innenseite der Beine ihrer Tochter und fragt, ob das der Grund wäre, warum sie so „schlecht gelaunt“ sei. In beiden Filmen spielt Huppert eine Frau, die ein ungewöhnliches Verhältnis zu Gewalt und sexueller Gewalt hat. Ohne Frage ist der Effekt dieser Szenen schmerzhaft und gigantisch.

Sehnsucht nach Emotionen

Das Motiv der Selbstverstümmlung nimmt auch Ingmar Bergmann in seinem Film Schreie und Flüstern auf. In diesem kostümigen Kammerspiel von 1972 geht es um drei Schwestern, die mehr oder weniger völlig fertig auf einem Landgut abhängen. In einer Rückblende sehen wir Ingrid Thulin, die Karin spielt, mit ihrem Mann beim Essen. Ein Weinglas zerbricht. Die Unterhaltung zwischen den beiden gleicht eher dem Kartografieren einer Gefängniszelle als dem Austausch von Informationen oder Zuneigung. Nachdem der Mann in sein Schlafgemach geht, nimmt Karin eine der Glasscherben mit in ihres. Sie zieht sich ihre Schlafkleidung an, kommentiert, dass alles nur ein Haufen von Lügen wäre, dass alles nur aus Lügen bestehe, und drückt sich die Scherbe in den Schritt. Sie reagiert auf den Schmerz mit einem lasziven Lächeln und leckt sich dabei über die Lippen. Auf ihrer Stirn steht Schweiß. Im Kontext des Gesprächs erzählt dieser Moment ein Aufflammen von Lebendigkeit, oder man könnte ihn als Auflehnung gegen die eheliche Unterdrückung verstehen. Dann geht sie schwerfällig ins gemeinsame Schlafzimmer, entblößt ihre Wunde, starrt ihren Mann an und verfremdet ihr Gesicht mit dem Blut zu einer Fratze. Hier wie bei Die Klavierspielerin lassen sich die Momente der Verstümmlung als Sehnsüchte nach Emotionen, Selbst-Spüren oder dem Entkommen aus emotionalen Verpanzerungen (Ehe / Mutter-Tochter-Beziehung) lesen, auch wenn das Zurückerlangen über die Autorität über den eigenen Körpers durch die Beschädigung desselben geschieht. Aber genauso richtet sich die Gewalt gegen die eigene Sexualität oder lässt sich als Verzweiflung an dieser deuten.

Welchen Fakt alle der obigen Beispiele teilen, ist, dass sie von Männern gedreht wurden. Und genau das ist es, neben der Tatsache, dass sie nah an einer für mich überhaupt ertragbaren Schmerzgrenze liegen, was sie heikel macht. Oder was dieses Unwohlsein in mir auslöst. Denn berichtet die Darstellung dieses Bildes nicht auch (bewusst oder unbewusst) von einer Sehnsucht, Kontrolle über das Blut zu erlangen, das aus der Vagina austritt? Also durch Gewalt eine künstliche Menstruation herzustellen, um diesen für Männer körperlich nicht erfahrbaren Moment zu beherrschen? Und wohnt diesem Moment nicht auch das Bild der Entjungferung inne, der Zerstörung und Aneignung von „Unschuld“? Was das explizite Darstellen von Blut herstellen soll, so scheint es, ist eine extrem wirkliche Wirklichkeit, ein extremes Aufdecken extremer Schmerzen, doch wirkt es für mich genau anders herum, nämlich wie die absolute Verfälschung und Fetischisierung. In dieser Form der Ästhetisierung – denn das ist es ganz sicher, es ist kein Bild der Realität, sondern eins der Überhöhung – liegt eine künstlerische Eitelkeit verborgen, die irgendwo zwischen Voyeurismus und großkotzigem Schmerz-gleich-Wahrheits-Gehabe pendelt. Kann man denn nicht auch schocken, ohne dabei zum tausendsten Mal die Erzählhoheit über Weiblichkeit und weibliche Sexualität an sich zu reißen? Vielleicht ist es das, was mich an dem Bild so stört, diese Art von Inkaufnahme zum Wohle der Kunst.

De Palmas Szene in Carrie erscheint mir am lesbarsten (oder naivsten) in ihrem Unverständnis. Denn wer einmal im Monat aus seinem Geschlecht blutet, der muss komplett wahnsinnig sein und mit Tampons beworfen werden. Oder zumindest fallen mir wenige Beispiele von männlichen Filmemachern ein, in denen die Periode als Nebensächlichkeit oder Normalität dargestellt wird (worst case scenario: PMS-Witze). Denn sonst wird sie erzählerisch eigentlich nur dann von Interesse, wenn sie ausbleibt. Weil davon geht ja die noch viel größere Gefahr aus als die der weiblichen Sexualität, nämlich die der Schwangerschaft – und der daraus resultierende Verantwortung. Aber das ist ein anderes Thema und führt vor allem zur Generalabrechnung mit allen „Plötzlich Papa“-Varianten.

Einen in seiner Bescheuertheit recht beachtlichen Beitrag zum Kanon liefert übrigens Andy Warhol’s Blood for Dracula von Paul Morrissey aus dem Jahr 1974. Darin spielt Udo Kier einen Vampir, der sich nur von Jungfrauenblut ernähren kann. Von den vier Schwestern, die er als unberührt wähnt, stellen sich aber zwei als sexuell höchst aktiv heraus. Nachdem er sie beißt, muss er ihr „unreines“ Blut qualvoll wieder auskotzen. Das dritte Opfer, die jüngste Schwester, wird gerade noch rechtzeitig vom kommunistischen Hausangestellten entjungfert, und entgeht nur so knapp ihrem Schicksal. Mit Bestürzen schaut Dracula diesem Ereignis zu, und es bleibt ihm nichts übrig, als das bei der Defloration zu Boden gespritzte Blut in Abwesenheit des Paares vom Boden zu lecken. Diese Komplettfetischisierung macht in ihrer Drastik und dem Augenzwinkern wenigstens Spaß. Und zeigt wie erbärmlich blutrünstige Männer sein können.

Aber ein weiteres Beispiel gäbe es da noch, nämlich Claire Denis‘ kruden Genre-Hochkaräter Trouble Every Day von 2001. Hier gibt es zwei Vampire, gespielt von Tricia Vessey und Vincent Gallo, deren Blutrünstigkeit im unmissverständlich Verhältnis zu sexueller Lust steht und direkt in Kannibalismus übergeht. Die Abwandlung des problematisierten Bildes sieht hier so aus, dass der eindeutig vaginal-fixierte Vincent Gallo-Vampir im Moment des Kontrollverlusts als erstes in den Schritt seines Opfers reinbeißt. Seine krankhafte Lust bedeutet die Zerstörung des Fleisches. Und diese sehen wir. Und diese ist entsetzlich. Und daran ist nichts schön oder melancholisch oder provokativ, es wird kein bedeutungsvolles Bild produziert, keine Atmosphäre, sondern purer Horror.