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Lieber Herr Schmadtke, können wir uns kurz abstimmen?

 

Die Bundesliga beginnt und mit ihr die große Depression. Die Hoffnungen und Transfer-Gerüchte des Sommers sind verpufft. Jetzt hilft nur noch beten. Oder wegschauen.

© Christof Stache/AFP/GettyImages

Wie hat das alles angefangen? Diese große Depression kurz bevor es richtig losgeht. Nach dem unendlichen Strom aus Transfer-Nachrichten und Transfer-Gerüchten des Sommers. Wie geht es jetzt weiter? Hilft jetzt nur noch beten? Eine große und rückhaltlose Beichte, bevor der erste Spieltag beginnt? Damals, als jugendlicher Ministrant, verließ man nach dem Acht-Uhr-Gottesdienst frohgemut die Kirche, fuhr schnell nach Hause und zog sich um, schlüpfte in die alte schmuddelige Adidas-Sporthose und radelte zum Park, um mit Klassenkameraden und deren Eltern zwischen den Bäumen in dem von Konrad Adenauer errichteten Kölner Stadtwald Fußball zu spielen. Damals war Heinz Flohe das unbestrittene Idol und man nahm noch selbst die Rolle ein, die man jetzt den hochbezahlten Stellvertretern überlässt. Und dann stürzte man sich mit dem Ball am Fuß in die schmale Öffnung zwischen den Baumriesen am Decksteiner Weiher, entkam dem hochgewachsenen Finanzbeamten und dem Bruder des Klassenkameraden mit der Hitlerjugend-Frisur und fiel ins Endlose, ins Bodenlose, stürzte sich geradezu in die Kathedrale des … Lichts. Vollendete, traf oder staubte einfach nur ab. Damals hat es irgendwie mehr Spaß gemacht, sich was vorzumachen und sich anlügen zu lassen und dem Stadionsprecher zuzuhören, wie er für die Lotto-und-Totto-Annahme-Stelle eines Ex-FC-Profis warb, während die Spieler sich im Herbstnebel des Müngersdorfer Stadions aufwärmten. Was ist schiefgegangen in der Sommerpause? Nach dem verregneten Trainingslager und den vielen Eistonnen, in denen sich die müde Muskulatur abgekühlt und der hydrostatische Druck des Eiswassers die Schwellungen hat abklingen lassen. Die Transfer-Fenster schließen, das chinesische Fenster ist schon zu. Also Modeste kommt auf keinen Fall zurück, es sei denn, sein Verein Tianjin Quanjian geht jetzt, wie gerüchteweise zu hören war, pleite.

Aber er würde natürlich nicht zu uns zurückkehren, nicht zu dem Verein, aus dem wir ihn jetzt fürs Erste zumindest verstoßen haben.

Lieber Frank Schäfer (Ex-Trainer des 1. FC Köln), ich würde noch mal anfragen wollen wegen eines Interviews, eines Gesprächs, auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Haben Sie damals, oder hast du (als ehemaliger Klassenkamerad duzt man sich doch) den Absprung geschafft, weil es tatsächlich etwas Wichtigeres in deinem Leben gab? Zum Beispiel die Religion? „Die Klosterorden“, schreibt Lewis Coser in Gierige Institutionen, „sind (…) auf asketischen Prämissen gegründet, die in erster Linie weltabgewandt und so gestaltet sind“, dass religiöse Virtuosen die spirituelle Perfektion nur dann erlangen können, wenn sie sich dem „disziplinierten, selbstverleugnenden Lebensweisen, die im Kloster institutionalisiert sind“, unterwerfen. Nur so kann man sein Heil finden. Und war es nicht auch ein Mönch, den Aki Watzke am Ende der letzten Saison in die Verbannung geschickt hat? Der Ästhet, der sanfte und missverstandene Intellektuelle und Verkünder der reinen Lehre. Der deutsche Guardiola, der unser aller Sehnsucht nach Schönheit und Perfektion verkörpert und jetzt aus dem Geschäft gedrängt worden ist und damit für einen unerträglichen Wirklichkeitseinbruch in unser geschlossenes schizoid-regressives System der Fußball-Exegese gesorgt hat. Was ist jetzt mit ihm? Hat er sich mit seinem Team in die kargen Gemäuer eines Klosters zurückgezogen? Er hat seine Zone verlassen, in der die Magier des Fußballs hinter vorgehaltener Hand Weisheiten austauschen, die dazu führen, dass wir vor den Bildschirmen bei punktuellen Schönheitsmomenten vollkommen in Entzücken geraten und alles um uns herum vergessen.

Die seelische Währung

Lieber Anthony Modeste. Vielen Dank, dass Sie in einer Mickey-Mouse-Hose vor dem Geißbockheim aufgetreten sind, zusammen mit Ihren beiden Beratern, den Mendy-Brüdern, die so entzückend kleine schwarze Lederrucksäcke getragen haben, als wären es Eichhörnchen. Ihre Frau hat im Wagen auf Sie gewartet, sie wollte ja eigentlich lieber nach Marseille. Oder hat man Sie gezwungen, den Verein zu verlassen, weil Alexander Wehrle, der Finanzchef des 1. FC Köln, so geldgierig ist? Lieber Herr Großkreutz, ich bin neulich von der Zülpicherstraße in die Kyffhäuser Straße eingebogen und habe meine Begleiter darauf aufmerksam gemacht, dass das ungefähr die Stelle war, wo Sie einen Döner auf jemanden, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand, geworfen, aber denjenigen, bestimmt ein Provokateur, gar nicht getroffen haben. Wie hat es sich angefühlt, ein paar Tage mit dem Gedanken zu spielen, auszusteigen und alles hinter sich zu lassen?

Lieber Frank Schäfer, wie ist das zu ertragen? Dieses Geschäft? Wir erinnern uns noch, als Klassenkameraden, wie du dich, kleinwüchsig, aber unglaublich wendig, auf den Asphaltboden des Trainingsgeländes des Apostelgymnasiums geworfen hast, um einen scharf geschossenen Schuss von Gerriet Wiekmink abzuwehren, obwohl Gerrit Wiekmink gar nicht schießen konnte. Aber egal. Wir vertrauten immer darauf, dass du den Metallgitterkasten, der als Tor fungierte, rein hieltest, indem du dich auf dem Betonboden wälztest, der in unserem humanistischen Gymnasium den Trainingsplatz abgab. Der 1. FC Köln hat jetzt als sechsten Neuzugang einen Spieler namens Handwerker, Handmeister oder Hakenmeister verpflichtet, aus dem Nachwuchs von Bayer Leverkusen. Dass mir der Name entfallen ist, kann schon als ein Zeichen der Besserung und Heilung verstanden werden. Neururer trainiert die vereinslosen Spieler der Fußballergewerkschaft und gibt eines seiner durchgeknallten Interviews. Die Lektüre erscheint aber schon nach der Hälfte des Gesprächs irgendwie nicht mehr relevant zu sein. Irgendetwas ist zerbrochen, gerissen, kaputt gegangen. Ein innerer Kreuzbandriss. Die innere Mannschaft aus nicht verpflichteten oder nicht zu bezahlenden Spieler geht verloren, der innere Mannschaftszusammenhalt. Man könnte es auch so sagen: Es ist nicht mehr genug Geld da, nicht mehr genug seelische Währung, um das Fußballgeschäft, das ja eigentlich der Exzess des Darwinismus und des Turbokapitalismus ist, noch länger zu ertragen.

Lieber Herr Schmadtke, könnten wir uns kurz abstimmen über den weiteren Umgang miteinander? Welche Verarbeitungsmöglichkeiten gibt es? Welche Rechtfertigung funktioniert jetzt noch? Glauben Sie nicht, dass Sie damit durchkommen, das neue Stadion außerhalb Kölns aufzubauen, um mit diesem Drohszenario noch mehr Steuergelder abzukassieren. Lieber Aki Watzke. Fahr zur Hölle zusammen mit deinem CDU-Parteibuch und deiner Sehnsucht, geliebt zu werden. Lieber SC Freiburg, tu nicht so, als könntest du meine Sympathien irgendwie konservieren, nur weil auf den Trikots deiner Spieler gefühlt „Fair Trade“ drauf steht. Lieber FC St. Pauli. Lüg mich nicht an! Liebe Heimat, verlass mich nicht in der schweren Stunde des Zweifels. Lieber Thomas Tuchel. In welchem Kloster trainierst du jetzt? Welchem Orden stehst du jetzt vor? Verwandelst du das Flimmern der imaginären Spielzüge und verinnerlichten Bewegungsabläufe in reine Fiktion? In das Spiel der Spiele? Du entziehst es uns und der Welt, weil wir seiner nicht mehr würdig sind. Oder bist du so versunken in deinen Versuchen, die perfekte Taktik für eine globale, auf mehreren Kontinenten gleichzeitig operierende Mannschaft auszuklügeln, in der alle zusammen und gegeneinander spielen?

Am Ende hilft vielleicht nur noch beten, es hilft nur noch das reine Ergebnis, die nackte Zahl, das unbestreitbare Resultat. Eine schon getestete Variante, die als Alternative zum kalten Entzug funktioniert, aber langfristig gar nichts bringt: Von jetzt an nur noch die Ergebnisse anschauen, nur noch die Spieltagsergebnisse, den Tabellenstand und vielleicht die Zuschauerzahlen abgleichen und kurz checken beim Durchblättern von der Politik zum Feuilleton, nur ein kurzer meditativer Moment, ein kurzes, wenn auch schmerzhaftes 0:2 oder 1:3 und meinetwegen, wenn es sein muss, die Torschützen und Auswechselspieler, aber mit Sicherheit keinen Text, keine Auslassungen und Analysen, keine Prosa, nur das Gedicht, die Poesie.

Ist das der Untergang?

Lieber Uwe Koschinat (Trainer von Fortuna Köln seit 2011): Meinen Sie, die Ergebnisse der dritten Liga wären auch okay? Vielleicht schon, oder? Aber wo sonst als auf den Seiten des Kölner Stadtanzeigers oder des Kölner Express erfahre ich, wie das Spiel so war, wer die Tore gemacht und wer ein- oder ausgewechselt worden ist? Reicht das Ergebnis in seiner Nacktheit aus? Komm ich damit durch? Schaffe ich das?

Lieber Thomas Tuchel: Bei aller Verklärung … Bitte nicht RB Leipzig (obwohl es gut sein kann, dass man es gar nicht mitbekommt, wenn das mit dem Entzug klappt. Zumindest bis zur Winterpause). Vielleicht hilft es dann im Oktober oder November mal ein Spiel in Beirut zu sehen. Da spielen sie aus Sicherheitsgründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und vielleicht kann man solche Spiele als kulturelle Ereignisse umdefinieren und aus einem anderen Gesichtspunkt von einem anderen Winkel aus sehen, so als würde man gar kein Fußballspiel anschauen. Und einen deutschen Trainer gibt es da auch noch.

Lieber Herr Bücker. Sie waren Trainer der libanesischen Nationalmannschaft und danach, wie ich gehört habe, von Al Ahed. Sind Sie noch da? Trainieren Sie noch? Können wir kurz sprechen? Vielleicht nach dem Spiel oder kurz in der Pause? Ich hätte da eine Frage. Neymar und die 222 Millionen. (Es ist ja eigentlich gar kein Transfer gewesen, weil er das Geld selbst überwiesen hat und alles über sein eigenes Konto gelaufen ist.) Ist das der Untergang? Die Selbstzerstörung des Systems, nach der man sich in aller Heimlichkeit schon immer gesehnt hat? Es bleibt uns noch eine Saison, ein letztes Spiel. Bevor wir dann wieder ganz von vorne anfangen müssen. Aber diese Düsternis wird doch irgendwie zu ertragen sein, oder? Das müsste man doch irgendwie schaffen. Am Ende eines endlosen Tunnels, in dem wir mit unseren Spieltagskindern an der Hand immer weiter gehen, kommt doch irgendwann wieder sicheres Gelände und unsere Stollenschuhe knallen laut auf dem unterirdischen Betonboden … (Lieber Lothar Matthäus, aber na ja … Ist schon gut so. Ist okay! Alles klar. Das war so eine Phase, da hat uns die Bindung gefehlt, der Zugriff war irgendwie nicht mehr da … )

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