Ein bisschen „Homeland“, ordentlich „Life of Brian“, dazu viel Blut und viel, viel Bratwurst. Das erste Mal in Bayreuth heißt: mitten hinein ins deutsche Dilemma.
Parsifal, der Bub, der Tor, der reine Tor ist schon ein Phänomen. Naja, eigentlich ist er ein bisschen Michel aus Lönneberga, viel Jesus und ganz viel James Bond und Jon Snow. Wie ich die Dyade der Mutterliebe noch reinkriege in sein persönliches Tortendiagramm weiß ich gerade nicht. Vielleicht schwebt Herzeloyde ja über allem. Ich weiß nicht mal, ob ich das richtig schreibe … So sehr hab ich mich vertieft, nicht-vertieft in Stoff und Inszenierung, vor dem Gang „auf den Hügel“ aka Golgatha der Moderne in Bayreuth.
Firsttimer erkennt man am zu großen Kleid, am zu lauten Fragen, wo man nun die Tasche, die man selbst für mikroskopisch in ihren Ausmaßen hielt, abgeben soll und muss, am Schnattern in der Schlange zu den Currywürsten, der Bratwurst und den kalten Getränken. Meine Begleitung und ich waren voller Hallo- und- Staunestimmung unter Wagners Blick, ich war definitiv zu tüllig, wir definitiv zu laut. Wir waren Firsttimer!
Die Verlegenheit der Unwissenden treibt die Menschen umher und so bleibt der lange Blick auf eine reihe Metalltafeln nicht aus. Sie zeigen Fotoporträts und kurze Vitae der Sängerinnen und Sänger, Opernschaffenden unter Cosima und Siegfried, aber die derjenigen, denen die beiden ordentlich die Karriere verhagelt haben. „Verstummte Stimmen“ heißt die Schau, die nun schon einige Jahre zu sehen ist und eine Etage unter dem Operngebäude mahnt. Was man nachliest in der Pause der Stücke, die einem natürlich, aber vor allem unmittelbar und völlig zu recht Ehrfurcht vor allem Dargebotenen eingeben, katapultiert einen vor Wagners Büste und wenn keiner hinsähe, spuckte man ihn an. Ein ätzender Antisemit vor dem Herren, Zerstörer von Karrieren und Nachrufen von Kollegen. Und seine Frau, eine Besetzungsteufelin, die Menschen verraten, diffamiert, aber vor allem nicht geschützt hat.
Dies alles im Geiste und im Mund noch den letzten Bissen Currywurst sitzt man in Aufzug 2 und kann die Klarheit, die Artikuliertheit der Töne, das Schimmern und Schillern, das Leuchten und Strahlen einfach nicht fassen. Ein Gebäude, dessen Saal 1.974 Menschen pro Veranstaltung einlädt, Platz zu nehmen und in eine Guckkastenbühne immenser Tiefe zu blicken, hat sein Akustikkonzept beibehalten. Dafür nehmen es alle in Kauf auf sehr knapp geschnittenen, rigiden Klappsitzen zu sitzen und die großen Roben über die Seiten quellen zu lassen. Männer schwitzen im Smoking, Frauen dampfen in ihre Tüllumhausung. Es ist alles sehr schön und aufregend, aber wir sind zu Gast bei einem Menschenfresser. Ein so deutsches Dilemma. Genialität gegen Bestialität.
Uwe Eric Laufenberg hat den Parsifal inszeniert und irgendwie hätte auch alles eine Folge von Buffy the Vampire Slayer sein können, da bedeutende Lanzen auf einmal gebrochen zu Kruzifixen wurden und man Kundry, die Rätselhafte, die per-se-versklavte Frau, wie vor allzu viel Knoblauch oder Sonnenlicht zurückweichen sehen konnte. Überhaupt viiiiiel Religion und Konfusion darob. Einen „Clash“ wollte Laufenberg produzieren, Islam gegen Christum prallen lassen. Für mich clashte Homeland gegen Life of Brian zeitweise, was auch an der guten Kulisse lag, die Gisbert Jäckel gebaut hat. Schauplatz: Naher Osten, verlassene Kirche mit Soldaten, Snipern, Mönchen und Flüchtlingen, alle 1a klischee-gekleidet.
Nun bin ich als recht brave Katholikin der ganzen Symbolik aber nicht abhold. Gral und Erlösung und Entsagung und Speere, die unheilbare Wunden reißen, Blut und Schweiß und Tränen und Sperma und Spucke. Ist alles drin in dieser Oper der Mann-Werdung. Eine echte Entdeckung dabei war für mich die Figur der Kundry. Nicht unbedingt in ihrer Darstellung durch Elena Pankratova, aber als wagnerische Vermengung dreier Frauen zu der einen. Sigune, Orgeluse und Cundrie sind zu Kundry verdichtet worden. Sie hat Schönheit, Wildheit, Derbheit, Sexyness und vor allem Prophetie und Mitleid in sich vereint. So sind auch die zwei eindrücklichsten Szenen die der versuchten Verführung Parsifals durch Kundry, die offensichtlich bereits seinen Vater Amfortas eingeführt … ach, lassen wir das. Da steht und singt der vor Verlangen und Verzweiflung und Widerwillen angestachelte Parsifal aka Andreas Schlager sein wortreiches Nein in den Raum mit unglaublichen Dezibel und zum Steine erweichen, während der stumme, in Binden gewandete Schmerzensmann Papa Amfortas aka ghost dad mit Kundry da ordentlich rummacht. Da kommen Erinnerung, Wunschvorstellung, Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Und da ist es spannend. Parsifal in schwarz sagt nein, Amfortas in weiß – und derzeit wahrlich nur das Echo eines Mannes, schließlich blutet er ständig aus allen Speerwunden – sagte damals „ja“ zum Weibe. Kein Wunder, dass seitdem alles so „oarg“ ist.
Die zweite Szene, die einen packt, ist im ersten Aufzug, als es darum geht, den wunden Amfortas vorzuführen und ihn, die personifizierte „Wunde“ – gleich Jesus am Kreuz – zum Festmahl aller zu machen. Das ist unheimlich vampiresk und dramatisch düster, als ein Kelch mit seinem Blut gefüllt wird und von Lippenpaar zu Lippenpaar wandert. Der Gral wird enthüllt, ist ein kleines goldenes Bestecklein und dahinter „bäm!“ das Kreuz ohne Leichnam, weil der ja schon vor einem steht. Gralsanblick ist heilend – das weiß man spätestens dann. Bei Amfortas ist es nur päppelnde lebenserhaltende Maßnahme, zu heftig die Wunden, die Sehnsucht im Herzen nach Erlösung und finito basta mit der Endlichkeit. Es dreht sich einem mit den Bezügen, den Symbolen. Ich musste mehrfach an die Szenenwirbel der Batman-TV-Serie in den 70ern denken.
Es wird sehr klar, dass König Artus der Herr Jesus Christus ist und seine Ritter die Apostel sind und dass Gralsritter-Sein ständige Verzückung bedeutet, wie ja auch Jünger-Sein seine „perks“ hat. Trotzdem ständige Beweisforderungen von allen an alle. Glauben ist schwer. Egal woran, wenn’s unsichtbar ist.
Als blaues Tüllmonster mit wehen Füßen saß ich im Park in der Pause vor dem 3. Aufzug – jeder Aufzug übrigens an die 2 Stunden und die Pausen jeweils so 45 Minuten lang – und ein nettes Brüderpaar sprach meine Begleitung und mich an. Wir tauschten uns über die Rätsel aus, die das Gesehene aufgab. Zum Beispiel auch über die Puppe, die weit oben auf der Kulisse im Blaumann sitzt und vielleicht doch ein verstorbener, vergessener Bühnenarbeiter ist. Auch war für den einen Kundry die Verkörperung der Natur. Interessanter Punkt, der mich noch lange beschäftigt hat. Aber vor allem seufzten wir gemeinsam über den gigantischen Chor, der so unglaublich klingt, so engelshaft, so stark und nicht-menschlich. Dirigent Haenchen wird sehr gelobt für seine Interpretation und Sängerführung, die mir vor allem beim Wunderbass von Georg Zeppenfeld aufgefallen ist. Eine weiche, doch ausdrucksstarke, nuancierte Stimme, die artikuliert, so dass man versteht, also Worte einem in den Gehörgang gleiten, die für Verstehen sorgen.
Das ist schon so ein Opernphänomen … eigentlich versteht man nüschte. Nur Rauschen und Klingen und man sieht einen offenen Mund. Und mit einem solchen bin ich nach 6 Stunden und 10 Applausgängen dann auch auf den Heimweg einer Flasche Wasser zugestöckelt. Alle Wunden verbunden, die Richtigen aufgefahren in den Himmel oder zumindest wieder ehrfürchtig vor der Himmelsmacht gemacht und man selbst wieder voller Verständnis dafür, dass man einer kannibalisch geprägten Religion angehört. Gral und Bundeslade, die ich bisher nur durch Indiana Jones und den Gottesdienst kannte: Ihr altes heiliges „Gelersch“, wie der Franke sagt und damit „Zeug und Gerümpel“ meint, Ihr habt schon was!
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