Wenn irgendwo „Zukunft“ oder „Fortschritt“ draufsteht, hecheln alle brav hinterher. Ob die Ideologie dahinter aggressiv oder frauenfeindlich ist, dafür sind wir blind.
Stell dir vor, du wachst eines Morgens auf und weißt: Heute ist der Tag, der dein Leben endlich verändern wird. Und falls du männlich sein solltest, stell dir vor, du seist eine Frau, die sich von Geburt an als Frau fühlen musste, die, auch wenn sie es wollte, kein Mann sein wollen konnte, eine Frau in ihren besten Jahren, eine reife Frau in einer fabrikneuen Welt, in der sie als Weib eine Zumutung ist. Du verachtest dich jeden Tag dafür, dass du nicht als Junge geboren wurdest oder dich wenigstens als Junge fühlen konntest. Du verachtest deine Mutter dafür, dass sie dich nicht rechtzeitig abgetrieben hat. Und deinen anonymen Samenspender hasst du dafür, dass er ein ignorantes Arschloch war, dass er kein Interesse an deiner Geburt gezeigt hat, er hätte dich wenigstens noch totschlagen können.
Und deine Selbstverachtung wächst mit jedem Tag, mit dem du älter wirst. Auch wenn dein Spiegelbild dir weismachen will, dass du jünger aussiehst, als du in Jahren zählst, zeigt es dir um die Mundwinkel herum deine Anstrengung im Kampf gegen erschlaffende Haut, ein Zeichen von schwindenden Kräften, von erlahmendem Stolz. Denn jeden Tag müssen die Menschen ihre Nerven mit tollkühnem Stolze elektrisieren, wenn sie wertvoll für die Gesellschaft sein wollen. In deinem gebärfähigen Stadium warst du wenigstens noch als organischer Brutkasten für die neuen jungen Helden erwünscht. Ob du gebärwillig warst, hast du dich nie gewagt zu fragen. Aber heute ist dein großer Tag. Schon seit du zählen kannst, hakst du jede Erdumdrehung seit deiner Geburt gewissenhaft ab, heute machst du dein sechzehntausend-vierhundert-siebenunddreißigstes Kreuz. Zum letzten Mal verkriechst du dich in deiner Uniform und stürzt aus dem Haus.
Auf die Straße! Außerirdisch funkelnde Geschosse schlagen ihre Haken kreuz und quer durch die Stadt. Es herrscht herrlicher Krieg vor deiner Tür. Die geschlachtete Zeit schafft neuen Raum und entfaltet gerade noch kraftstoffstrotzende Schwaden, die dich an diese Zapfsäulen für Kettensägen erinnern, an denen du früher nach der Schule abhingst und herumgeschnüffelt hast. Du bist spät. Du kannst dir keine Verspätung leisten. Du musst früher da sein als die anderen. Zögern, schlendern, harren, grübeln oder sich besinnen gehören nicht in deine neue Welt, das machen nur Greise, Invalide, Sterbende, Gelehrte oder Weiber. Klassische Hindernisse auf eurem Rennen um die Zukunft. Die Bahn muss immer freigeräumt werden von diesen Barrikaden, das Herz muss stets unbeschwert und leicht sein auf seiner Flucht nach vorn, wo das Brandneue ist, das Bessere, das Brennen, der Ort, an dem du sein willst, den du nicht verpassen darfst.
Aber bis dahin musst du dich sputen. Du erreichst den Hallenkomplex überpünktlich. Der abgesonderte Brennstoff aus deinen Schweißdrüsen strotzt vor Säure von deiner Kraftanstrengung. Auf diesen herkuleshaftigen Marathon hast du dich die letzten Jahre vorbereitet. Du musst originell sein, du lässt dich nicht transportieren. Auf dem Weg nach Halle B passierst du Halle A. Das wusstest du, auch das hast du x-mal durchgespielt. Keinen Blick zur Seite, kein Hadern, kein Überdenken. Blick nach vorn, du bist allein, vorbei am euphorischen Gekreische deiner Leidensgenossinnen, alles Weiber wie du, alles alter gebärunfähiger Ballast wie du, die um schnellere Liquidierung bitten, um Auszahlung ihres letzten Tributs, die ihr Recht auf zügigere Arbeit des Palliativkommandos einfordern, denn das Blut hat nur Wert und Glanz, wenn es aus dem Gefängnis der Arterien durch das Feuer oder das Schwert befreit worden ist! So retten sie rechtzeitig ihren Wertzuwachs. So könntest doch auch du noch alles aus dir herausholen? Du kannst noch links abdrehen und dich ihnen anschließen? Du kannst schnell noch deinen Bonus einfahren?
Nein, du hast dich entschieden! Schon an deinem sechsten Geburtstag, als du wie ein Kondor vor einem Pack prügelnder Jungs weggedüst bist und dich durch eine defekte Kellerluke unbefugt in einer Bibliothek in Sicherheit gebracht hast. Dieser schöne Schock, du warst noch außer Atem, als dieser Duft nach Brennmaterial ganz hoch in dein Bewusstsein vordrang. Regale um Regale voller feinstem Zündstoff. Und als dann ein Kommando blutjunger Helden reinstürmte, du blitzartig hinter eine Schranktür, und sie sich synchron davor aufreihten und in zwei Regalen Feuer legten, dein Puls brannte in deinem Körper. Dieser Moment brannte sich in dein Gedächtnis. Das war kein gewöhnlicher Brennstoff, das waren abartige Brennbarkeiten, die beim Zünden seltsamen Lärm absenden, interagierende Codes, so eine Art vernetzte Botschaften in die Schichten der Atmosphäre einspeisen, als hätten sie nur auf das Feuer gewartet, als hätten sie sich befreit und endlich verstricken können. Keiner liest sie mehr. Sie werden nicht gelesen. Keiner liest mehr, keiner kann’s mehr, keiner darf’s mehr können. Ein paar Frauen wurden beim Lesen erwischt, schon eine Weile her, aber sie wurden bei lebendigem Leibe mit ihren Büchern verbrannt. Nein, an diesem Tag hattest du dich entschieden. Als Frau würdest du niemals eine Bibliothek anzünden dürfen, sie werden nicht in die Nähe von Büchern gelassen. Aber du warst süchtig geworden nach dieser Verbindung von scharfzüngigem Gesang und bissigem säuerlichen Geruch. Das ist besser als Zapfsäule. Das ist ein kolossaler Kick.
Du hast es geschafft. Halle B ist erreicht. Nur noch zwei Frauen warten dort, wie du, mit diesem Feuer in den Augen. Du schlüpfst aus deiner Uniform, du schlüpfst in ein OP-Kleid, du legst dich auf einen Wagen, er fährt dich in den OP-Saal. Gottgestalten von freundlichem humanoidem, medizinischem Personal übernehmen deinen Transfer. Nach langwierigen Anträgen, nach schweißtreibend plausibilisierten Lügen und Beharren, du seist im falschen Geschlecht geboren, nach horrortripartigen hormonellen Vorbehandlungen kannst du nun endlich dein Geschlecht verlagern. Du migrierst zum Mann, zum potenziellen Helden, zur legalisierten Waffe. Auch wenn du dich insgeheim als Frau fühlst, so nennen sie dich ab jetzt wenigstens neuer Mensch. Auch wenn du zu alt bist, um noch lange weiterzuleben, erweisen sie dir wenigstens die Ehre, am Tag der Bibliotheken und Museen Teil eines Brandkommandos zu sein. Dann darfst du endlich Feuer in den Regalen legen. Du wirst es noch mal fühlen, nur noch ein Mal. Du zündest eine Bibliothek an, so kannst du dich endlich für die Gesellschaft nützlich machen. Du darfst wüten, zerstören, weil du Platz schaffen musst für das Neue. Nein, du bist ein Greis, du darfst nicht mehr lange leben, weil du auch für ein Heldendasein inzwischen zu alt bist, aber dann werden sie dich wenigstens aus Liebe töten.
Brauchte unsere halbautomatisierte Welt den Futurismus?
Nimm das Futuristische Manifest ruhig beim Wort, übersetz dir Marinettis imaginierte Welt von morgen buchstäblich und wortwörtlich und lies diesen Text unbedingt gewissenhaft, Wort für Wort, dann bekommst du vielleicht, so wie ich, den Eindruck, dass diese schwülstige Aggressionsprosa nicht als Steilvorlage für ein neues, offenes Zukunftsbewusstsein taugt, aber in Auszügen leider politisch Karriere gemacht hat. Filippo Tommaso Marinetti, ein offenbar von moderner Weiblichkeit und seiner bieder-bürgerlichen Umgebung äußerst traumatisierter, manierierter Schnurrbartträger feiert darin keinen neuen Menschen, er will die Renaissance der brutalen Alphamännchen, die sich gern als Übermenschen bezeichnen lassen. Aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts lässt dieser Antihumanismus der Futuristen im Stil muskelbepackter, geschwollener Hetzprosa das “moderne” 20. Jahrhundert auf gesellschaftlicher Ebene rückständiger aussehen als das von weißen patriarchalischen, nationalistischen Kolonialisierungsträumen und Sklaverei kontaminierte 19. Jahrhundert.
2009, geschlagene 100 Jahre nach Erscheinen des Manifests, war das Jahr der journalistischen Besinnung auf dessen einstige Veröffentlichung im Figaro. Die Jubiläumsartikel klingen durchweg harmlos, man erinnert halt an eine revolutionäre Kunstbewegung. Erneut wurde dem Futurismus die Schlüsselrolle in den Erneuerungsbewegungen innerhalb der Europäischen Moderne bescheinigt. Nur lax, mit beiläufigen Nebensätzen wurden die schwierigen Passagen mit der „Verachtung des Weibs“ oder der gezielten Tötung von Greisen, Intellektuellen, Invaliden oder der Verherrlichung von Gewalt und Krieg erwähnt und nicht weiter besprochen. Auch Ulf Poschardt deklinierte sich in einem flüssigen, fast harmlos-heiteren Artikel in der Welt mit dem Titel „Dank der Futuristen gibt es den Ferrari“ durch die seit jeher fest vorgeschriebene Erinnerungsakte „Futurismus“ und vermittelte uns damit, dass trotz allem (will heißen: trotz allem Beschissenen, das dort zu lesen ist) es dem Futurismus zu verdanken sei, dass die Welt heute so schön und geil aussehe. Er nannte das 20. Jahrhundert: „ein blutiges, schnelles, böses und aufregendes Jahrhundert, dessen Umbrüche, Risse und Katastrophen stets neue Adrenalinschübe durch die Künstlerseelen schickten.“ Brauchen wir im 21. Jahrhundert noch maskuline Amalgame im Stil von blutig = aufregend oder Katastrophe = Adrenalin? Wäre es nicht mutiger gewesen für einen brillanten Journalisten wie Ulf Poschardt, einen Artikel unter der Überschrift zu verfassen: „Ich hätte gern auf den Ferrari geschissen!“
Hat je einer den Beweis angetreten, ob es für die Entwicklung unserer halbautomatisierten Welt der Futuristen überhaupt bedürft hätte? Die industrielle Revolution in Europa war in vollem Gange. Die Modernisierung des Kontinents vollzog sich allmählich auf politischer, gesellschaftlicher wie auf künstlerischer Ebene. Wurde dieser quirlige zukunftsschwangere Umbauprozess nicht genau durch die technoide Geilheit, die Zerschlagungswut und brachiale Hast der Futuristen überhitzt und politisch überrannt? War der Futurismus als selbst ernannte Zukunftsströmung nicht eher das paradoxe Symptom für den Infarkt der Modernisierungsbewegungen? Die Automatisierung ersonnen haben die Futuristen sicher nicht, sie haben sie nur am lautesten herumgegrölt. Denn Aristoteles schrieb schon in seiner fast zweieinhalbtausend Jahre alten Politik: „Wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von selbst bewegten oder die Dreifüße des Hephästos aus eignem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen noch für die Herren der Sklaven.“ Wenn das nicht schon nach 21. Jahrhundert klingt! Allerdings: Zu seinen Frauen-verachtenden Äußerungen (in seiner Schrift Über die Zeugung der Geschöpfe nennt er sie „unfruchtbare Männer“, deren Mangelhaftigkeit darin bestehe, dass sie unfähig seien, Samen zu produzieren) will ich mich jetzt nicht auch noch auslassen. Nur so viel: Dass auch er Bartträger war, kann jetzt Zufall sein.
Würden wir Marinetti & Co. heute, in der Zukunft von 1909, nicht eher als terroristische Bewegung einstufen und international ächten? Sollten wir das nicht? Warum räumen wir diesen Kriegstreibern so viel Raum in unserem Gedächtnis ein? Obwohl! – Marinetti & Co. haben ihre gerechte Strafe bekommen: Museen über Museen und ihre Namen unter verstaubter Sekundärliteratur auf kilometerlangen, brandgeschützten Bibliotheksregalreihen begraben. Sie sind Lektüre für Gestrige geworden!
Die Entautomatisierung der Wahrnehmung
Nein, in diesem Artikel soll es wirklich um Zukunft gehen. Wiktor Schklowski beschrieb 1916 das Grundprinzip modernen (zukunftsträchtigen) künstlerischen Schaffens im Begriff der „Entautomatisierung der Wahrnehmung“. Ein Künstler zeigt dem Betrachter die Dinge so, als würde der sie zum ersten Mal sehen. Auf diese Weise wird die Welt durch die Wahrnehmung dynamisiert und beschleunigt, vorgefertigte Strukturen werden deaktiviert, aber nicht zerstört. Es geht, und das war das große Verdienst der meisten Modernismen, um einen fremden Blick auf das Vertraute. Um die Offenlegung neuer räumlicher und zeitlicher Verhältnisse, um eine breitere gesellschaftliche Ermächtigung zur Erkenntnis, um die Sichtbarmachung neuer Dimensionen, eben um das Gefühl von Zukunft. Es ging um nichts Geringeres als um die Veränderung unseres Bewusstseins, und im Besonderen: um den Verlust der Angst vor der Zukunft durch neue ästhetische Verfahren und das Erlernen von neuem Sehen. Denn die Menschheit hat sich immer dann am schnellsten entwickelt, wenn sie sich eine neue Sicht auf die Welt erobert hatte.
Als der Mensch noch Seelen in jedem Stein oder Baum erkannte, als er nachts ehrfürchtig zum Himmel schaute, die Arbeit kosmischer Kräfte und die Wiederkehr der Tierkreiszeichen beobachtete, um darin den Lauf der Welt abzulesen, dachte er ausschließlich in Zyklen. Vergangenheit oder Zukunft waren keine Bewusstseinsfelder. Götter waren überall, sie sprachen zu uns, nicht zu dir, sie ermittelten keinen Einzelmenschen, sie sprachen nur zu vergemeinschafteten humanoiden Exemplaren. Der mythologische Mensch erkannte nur Episoden, die ihn zyklisch heimsuchten oder beschenkten. Es war die Zeit des allgegenwärtigen Jetzt. Der allgegenwärtigen Furcht und Erwartung. Nichts war endlich, auch der Tod nicht. Alles floss im Kreis. Eine einzigartige Geschichte hatte niemand zu erwarten. Das Ich war atomisiert im Schwarm der anderen auf seiner endlosen, beklemmenden Reise.
Als die Hebräer begannen (nein, es muss zunächst ein Hebräer gewesen sein, es war wohl eine dieser erträglich lauen Nächte, und das Kraut, das er rauchte, hatte ihm gerade ein Fremder auf seiner Durchreise geschenkt, es muss stark und zugleich süßlich und bitter geschmeckt haben), als dieser Hebräer an diesem Abend begann, persönliche Gespräche mit einem einzigen allmächtigen Gott aufzunehmen, durchbrach er zum ersten Mal diesen quasi-psychedelischen Teufelskreislauf. Der Mensch entwickelte seit dieser Zeit eine Beziehung zu sich und seiner persönlichen Geschichte. Er entwickelte ein Bewusstsein für eine einzigartige Bedeutung seiner Geschichte, die er weit über die Gegenwart hinausreichen sah: in die Vergangenheit und Zukunft.
Ohne diese Befreiung von der allgegenwärtigen Furcht vor Wiederkehr, vor der Heimsuchung, vor diesem allgegenwärtigen Jetzt hätte der Mensch keinen Glauben in eine Zukunft entwickelt und keine Ruhe gehabt, Computer oder Raumschiffe zu erfinden. Womit hätte ich diesen Text schreiben können, und womit sollte ich mich begraben lassen? Die Zukunft wurde zur perfekten Zeit für eine perfekte Welt. Sie ermöglicht uns, unsere Sehnsüchte und Träume frisch zu halten. Die magische Tupperware unserer chronologischen Ichs. Sie ist fern und nah genug für unsere Utopien, deshalb halten wir die Gegenwart überhaupt aus, Zukunft ist unerreichbar. Jedenfalls solange sie uns nicht zu Leibe rückt. Oder die Vergangenheit. Aber die Reste unseres längst vergessenen urmythologischen Bewusstseins verhelfen uns manchmal auch zu Täuschungen: dass es offenbar rückwärts anstatt vorwärts zu gehen scheint. Dass uns die Vergangenheit einholt?
Den Deutschen wird ja Zukunftsangst unterstellt. Wer den Begriff Zukunft in die Suchmaschine eingibt, dem schlägt tatsächlich Sachlichkeit und Düsterkeit entgegen. Wer dagegen future eingibt, wird überschüttet von Euphorie und Großräumigkeit. Im Grimmschen Wörterbuch heißt es: „Die Teutschen sind bären mit vernunfft. drum fröw sich keiner ir zůkunfft.“ Nun ja, das Interessanteste an dieser Redewendung scheint mir die Verwendung des Begriffs Zukunft zu sein. Im Gegensatz zum Englischen oder Französischen stützen wir uns nicht auf die lateinische Form futurus in ihrer unbeschwerten eindimensionalen zeitlichen Bedeutung von bevorstehend/kommend, nein, wir machen es uns nicht so leicht. Im deutschen Wort Zukunft steckt zugleich die An-kunft (der kommenden Zeit) und die Wiederkehr (auch im Sinne der Heimsuchung). Und darin könnte die Erklärung für die deutsche Zurückhaltung gegenüber der kommenden Zeit liegen. Unser lateinisches Äquivalent war adventus, d.h. die Ankunft, das Eintreffen. Hier geht es weniger um eine zeitliche Kategorie, es geht um ein Ereignis, das wir erahnen. Zum ersten Mal verwendet wurde das Wort Zukunft in Verbindung mit der „Zukunft Christi“, also die Wiederkehr Christi am Jüngsten Tag. Wer sich die Geburt des Wortes Zukunft in Langfassung durchlesen und bei der ungelenken Hebung dieses Wortkörpers in die deutschen Denkstrukturen mitfiebern möchte, dem kann ich Lucian Hölschers Buch Die Entdeckung der Zukunft empfehlen.
Im Deutschen konstruieren wir das Konzept Zukunft also nicht ohne Vergangenheit. Wir ziehen damit ein viel weitreichenderes Panorama auf, das spricht eher für unser Genie. Aber wir fliegen im Vergleich zu unseren französischen oder englischen bzw. amerikanischen Mitdenkern mit viel Ballast. Natürlich fliegen wir aufrichtiger. Und viel langsamer. Mit Angst hat das vielleicht nichts zu tun, eher mit Bewältigung von Komplexität, manchmal mit Überforderung. Wir rasen nicht, denn wir fühlen mit dem Wort Zukunft, dass Probleme aus der Vergangenheit, die in der Gegenwart nicht gelöst werden, nicht einfach zurückgelassen werden können, sondern uns im Karussel der Zeit wieder so oder ähnlich heimsuchen werden.
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