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Willkommen zurück in der Bonner Republik

 

Lange wurde ich für meinen Glauben an das innovative Potenzial der FDP belächelt. Dass sie sich nun selbst verweigert, ist enttäuschend und ein Rückfall in alte Zeiten.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner © Odd Andersen/AFP/Getty Images

Über Partys, auf denen man selbst nicht war, sollte man nicht reden, gerade darum redet es sich über sie so gut. Wer weiß schon, ohne dabei gewesen zu sein, wie es tatsächlich zuging bei den Sondierungsgesprächen. Ich kann nur sagen, dass es schon als FDP-Sympathisantin auf manchen Partys nicht so spaßig ist. Genervt genug bin ich oft gewesen, wenn mir mit der Geste ungeprüfter moralischer Überlegenheit erklärt wurde, dass FDP ja nun gar nicht gehe, ehe überhaupt meine Argumente gehört wurden. Ich habe dann allerdings die Party nicht verlassen, sondern tief durchgeatmet und mir ein Bier geholt.

Zugegeben, fünfzig Tage lang haben diese Partys nie gedauert und mittlerweile haben sie sich sowieso verändert. In linksliberalen Berliner Kreisen hat sich zaghaft herumgesprochen, dass das Kreuz bei den Grünen gar nicht auf dem Wahlzettel vorgedruckt ist. Der Unmut über die Stagnation und zum Teil auch Verbohrtheit der Grünen wurde größer, dagegen stand die Hoffnung, dass die FDP sich mit ihrer Wiedergeburt breit genug aufstellen möge, um auch Linksliberalen eine Heimat zu geben. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Die Sondierungsparty mit CDU/CSU, Grünen und FDP stelle ich mir so anheimelnd vor wie ein Date zu dritt, bei dem einer merkt, dass die anderen beiden längst unterm Tisch Händchen halten. Allerdings wusste man das auch vorher schon. CDU und Grüne turtelten seit Monaten, wenn nicht Jahren herum, ein bisschen verschämt, weil das ja so gar nicht zum Selbstverständnis zu passen schien. Aber es passte eben, zumindest besser als alles andere. Sie waren das Paar dieser Bundestagswahl.

Polyamore Dreierbeziehung

Es gab bloß ein Problem: Der CDU unter Merkel ist es bisher in jeder Legislaturperiode gelungen, den Koalitionspartner zu verschleißen. Dieses Mal gelang das bereits vor der Wahl und die Grünen holten nicht genügend Prozentpunkte, damit die Traumhochzeit steigen konnte. Die FDP musste als Lückenbüßer her. Das ist ungefähr so charmant, wie Trauzeuge zu sein, wenn man eigentlich gern Bräutigam wäre. Obendrein waren FDP und CDU ja mal zusammen, lange sogar. Schwarz-Gelb, das galt doch vor ein paar Jahren noch als gesetzt.

Dennoch oder gerade deshalb hätte es eine gute, nämlich zeitgemäße Hochzeit werden können, schwierig und mit Reibungspotential, das ist klar, aber genau deshalb reizvoll, innovativ, herausfordernd. Grüne und FDP hätten sich gegenseitig in die Schranken weisen und zur Verantwortung rufen können. Die FDP wäre in dieser polyamoren Dreierbeziehung die rechte Flanke eines mutmaßlich linkskonservativen Mittebündnisses gewesen. Das war ihr aber offensichtlich schon zu weit links.

Durch die sozialen Netzwerke verbreitete sich nach der Aufkündigung der Sondierungsgespräche ein Satz Lindners, der schnell zum Slogan avancierte: „Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren.“ Als einst Leutheusser-Schnarrenberger aus Protest gegen den Großen Lauschangriff zurücktrat, wurde sie dafür weit weniger parteiintern gefeiert. Immerhin gab sie aber einen realen Posten auf. Die Ministerposten, von denen die FDP am Sonntag zurückgetreten ist, waren lediglich Verhandlungsmasse.

Lieber nicht als falsch oder vielleicht auch lieber gar nicht: Für die FDP war, anders als für Grüne und CDU/ CSU, eine Regierungsbeteiligung von Anfang an nicht besonders attraktiv. Die Liberalen haben derzeit nicht genug Spitzenpersonal, um neben ihrer Regierungsverantwortung in drei Bundesländern auch noch Bundesministerien zu besetzen. Hätte sie alle fähigen Köpfe aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin geholt, um dort eine halbwegs gute Figur zu machen, hätte es in Düsseldorf mau ausgesehen. Man darf nicht vergessen: Die FDP hat zwar ein zweistelliges Ergebnis bei der Bundestagswahl erzielt, aber sie ist doch erst vor wenigen Monaten von den Toten wiederauferstanden, die Gesundheit ist trotz aller Euphorie dementsprechend noch angeschlagen. Davon aber hätte sie absehen und trotz Resterkältung nicht von Verantwortung reden, sondern sie einfach übernehmen sollen, auch in unbequemer Position.

Schon bei Wagenknecht angerufen?

Den Abbruch der Sondierungen mit einer heroischen Geste zu verkaufen und auf dem Wort Verantwortung herumzukauen, wird der Situation jedenfalls nicht gerecht. Man muss noch nicht von einer Staatskrise sprechen, man muss nicht mit Weimar kommen und die Demokratie am Ende sehen. Dass im Falle von Neuwahlen die radikaleren Parteien auf beiden Seiten dazugewinnen, ist nicht ausgemacht und das Szenario, dass es für Schwarz-Grün reicht, bleibt dann doch noch wahrscheinlicher als eine Mehrheit für die AfD und die sofortige Wiedereinführung der Diktatur. Allerdings könnte es sich herausstellen, dass Christian Lindner mit seinem Coup die Kanzlerin gestürzt haben wird – ob Martin Schulz nun schon bei Sahra Wagenknecht angerufen hat oder nicht.

Besser als von Weimar wäre es, von Bonn zu reden: Es wird wieder alles so, wie es einmal war, links und rechts wieder ordentlich und ohne Experimente aufgeteilt. Inwieweit das Verwischen klassischer Rechts-links-Schemata überhaupt die Radikalisierung an den Rändern beförderte, darüber kann man streiten. Viel wurde jedenfalls vor allem über den radikalisierungsaffinen Neonationalismus in der bundesdeutschen Politik- und Parteienlandschaft der letzten Jahre geschrieben, das Ende der Demokratie beschrien, zum Teil aus berechtigter Sorge, zum Teil aber auch aus einer German Angst heraus und aus Lust an der Katastrophe.

Dass ein sich neu formierendes politisches Tableau aber auch Chancen und Anstoß für notwendige Modernisierungen bietet, darüber wurde weit weniger gesprochen. Die FDP hat diese Chance in der Veränderung am ehesten zu artikulieren oder zumindest zu inszenieren gewusst, manchmal mit ein bisschen viel Magentapink und Start-up-Gerede. Dass es jetzt ausgerechnet sie ist, die ausruft, dass es eben doch nicht klappt, dass Grüne, CDU/CSU und FDP auf Bundesebene nicht zusammenkommen, die Differenzen zu groß sind, die alten Gräben zu tief, dass die FDP doch wieder die alte FDP sein will, das bleibt enttäuschend und mehr als das. Jetzt, da es ans Eingemachte ging, wirkten die aufbruchsfrohen Liberalen nicht mehr sonderlich innovativ, sondern ziemlich althergebracht. Das mag der alten Klientel gefallen. In linksliberalen Kreisen wird das Kreuz wieder bei den Grünen vorgedruckt sein. Dabei wäre das – angeblich nicht gefundene – Leitmotiv von Jamaika doch so einfach gewesen: Modernität, Sicherheit und Nachhaltigkeit bilden den geeigneten Rahmen für eine funktionierende Gesellschaft.

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