Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Come together! Das ultimative EU-Sommercamp

 

Wir lassen uns doch von Kurz, Orbán oder Salvini den Spaß nicht verderben: Alle in den Reise-Bus, Blaskapelle und Schnaps dazu. Die absolut beste Idee zur Rettung Europas

Come together! Das ultimative EU-Sommercamp

© Estonian Saunas / unsplash.com (https://unsplash.com/@estoniansaunas)

Neulich fuhr ich mit dem Bus durch die Berge Kretas (der Wiege Europas!), wo mir ganz warm ums Herz wurde, und schon kam mir die Idee, wie wir die EU doch noch retten könnten: Wir müssen uns nur endlich um die Menschen kümmern! (Was? Die Idee hatte schon jemand vor mir? Sorry, ist mir bisher echt nicht aufgefallen.)

Na, egal. Wir brauchen jedenfalls ganz dringend mehr Freude und Würde in diesen freud- und würdelosen Zeiten, wo alle nur schließen und kürzen anstatt zu öffnen und zu verteilen. Darum brauchen wir dringend einen „Kommissar für Freude und Würde“, einen Mann/eine Frau, der/die immer ein fröhliches Liedchen auf den Lippen hat, eine/n mit Esprit und Vision statt schlankem Anzug – jedenfalls keinen Anwalt und keinen Wirtschaftsfuzzi! Von denen haben wir weiß Gott genug, sie sind nur Futter für Goldman Sachs und bringen uns nicht voran, im Gegenteil. Nirgendwo wissen sie das besser als auf Kreta.

Was die Würde angeht, werden in einer ersten, wegweisenden Aktion alle demütigenden Papierhüte verboten, welche man die unterbezahlten Dienstleister überall zwingt zu tragen, schon herrscht wieder mehr Freude. In der Folge wird selbstverständlich der Mindestlohn auf ein würdevolles Maß angehoben, werden alle sklavenähnlichen Arbeitsverhältnisse in Europa verboten und natürlich das Geld dort eingehoben, wo es sinn- und freudlos herumliegt: bei den Reichen, den Konzernen und den Verbrechern, die hier in unserem ach so rechtsstaatlichen Europa ihr Schwarzgeld zum Beispiel mit Vorliebe in Immobilien anlegen, bis wir Normalos bald keinen Platz mehr zum Schlafen und schon gar keinen „öffentlichen Raum“ mehr haben (was unsere Freudlosigkeit wiederum verstärkt!)

Sachsen, Ostungarn, Nordfrankreich

Was aber nun die Freude angeht: Bei den hohen Temperaturen, die uns in Europa in Zukunft erwarten werden, wird unser neues Ressort jedes Jahr ein riesiges europäisches Sommerlager organisieren, und zwar so: Jedes Mitgliedsland lädt seine struktur- und finanzschwächsten Gemeinden ein, einen Reisebus mit 50 Menschen zu füllen, die sich sonst nie einen Urlaub leisten könnten. Die ausgelosten Teilnehmer (sagen wir: aus jedem Land 100.000 = 2,8 Mio. Menschen jährlich) kriegen Gutscheine im Wert von 1.000 Euro auf die Kralle, oder sagen wir: 2.000! Wir wollen mal klotzen, nicht kleckern. Und nicht einmal dann kostet uns das die Hälfte der Summe, die Apple den Iren an Steuern schuldig war (13 Milliarden).

Gleichzeitig bewerben sich aus den strukturschwächsten Gemeinden der jeweiligen Mitgliedsländer Hotel- und Pensionsbetreiber, welche die Gäste aufnehmen werden, keine Hotelketten, nur Private. Und nix Costa Smeralda, Algarve oder Bretagne, sondern Gegenden und Orte in Europa, wo sonst kaum jemand hinkommt: Sachsen, Ostungarn, Nordfrankreich; kleine Kaffs in Estland, abgehängte Gemeinden in Tschechien, Orte in Rumänien, wo noch die Pferde den Karren aus dem Dreck ziehen. Wir wollen das Geld ja endlich mal dorthin bringen, wo es gebraucht wird!

Die Gäste werden ihren jeweiligen Urlaubsorten zugelost, also fahren Niklasdorfer aus der Steiermark zum Beispiel nach Tielt in Belgien, Fréventer aus Frankreich nach Humpolec in Tschechien, Menschen aus Nawojowa in Polen nach Vilanuíde in Spanien. Und so weiter. Das sind Orte, von denen die meisten noch nie gehört haben, aber genau darum geht es ja: das Unbekannte kennenlernen. Unser unbekanntes, so vielfältiges und buntes Europa! (Jaja, da springen die Rechten immer im Kreis wie Rumpelstilzchen, wenn sie nur „vielfältig“ und „bunt“ hören … Aber so ist es nun mal!)

Lokales Liedgut

Brauchen wir also nur noch lokale Busunternehmer, die sich ebenfalls für das Projekt bewerben können, sagen wir: Betriebe mit nicht mehr als zehn Bussen, klein, aber fein. (Der bürokratische Aufwand an dem Projekt schreckt uns natürlich nicht ab, denn in Bürokratie sind wir gut, und darauf sind wir stolz. Denn nur die Staatsfeinde wollen den Staat und seine Bürokratie nicht, sie nerven uns schon viel zu lange mit ihrem ewig freudlosen und nur dem Zwecke der eigenen Geldvermehrung dienenden „Mehr Privat, weniger Staat“.)

Zurück zu den fröhlichen Reisegesellschaften: Diese sind natürlich angehalten, während der Busfahrt „Come together“ von den Beatles zu singen. Nach diesem Songtitel werden wir unser Projekt nämlich benennen, sodass bei der ersten Begegnung der Gäste mit den Gastgebern gleich das Wesentliche der Idee Europas besprochen werden kann: „I know you, you know me. One thing I can tell you is you got to be free. Come together!“ (Natürlich wird dann anschließend noch „Freude, schöner Götterfunken“ gesungen, denn um mehr Freude, wie gesagt, muss es uns gehen.)

Es soll aber auch und insbesondere lokales Liedgut gesungen werden, mit dem wir uns auf den Empfang in den gastgebenden Orten vorbereiten, wo die Einheimischen wiederum uns mit ihren Gesängen erfreuen werden. Gerne darf beim Besuch lokale Tracht getragen werden, und es sollen lokale Speisen und Getränke (Speck und Schnaps von lokalen Bio-Anbietern!) mitgenommen werden, als Geschenk.

Selbstverständlich bestückt die EU jede Reisegesellschaft mit (mindestens!) zwei arbeitslosen Dolmetschstudenten, damit auch diese endlich mal etwas verdienen, und damit es da bloß keine Verständigungsschwierigkeiten gibt, wenn der Bürgermeister der Gastgebergemeinde den Reisebus der Gäste am Marktplatz seines hübschen Ortes in Empfang nimmt, mit einer ordentlichen Ansprache, mit Blasmusik, mit Tschinellen und Schützen, so es dort welche gibt.

Schuhplattler trifft auf Mulatschak

Kleine hübsche Mädchen und Buben aus den Gastgebergemeinden verteilen Blumensträuße, das ist ja ganz klar. Der Pfarrer soll die ankommenden Menschen segnen, wenn er unbedingt will, und ist gerade ein Mufti vor Ort, soll uns sein Segen auch recht sein. Aber am wichtigsten: In den Dorfgasthäusern der Gastgebergemeinden muss das reichhaltige Menü, zusammengestellt eine Woche lang aus lokalen Spezialitäten und produziert von nachhaltig wirtschaftenden Betrieben, schon bereit stehen, es wird von den Gästen verzehrt und mit ihren Gutscheinen bezahlt: „Merci beaucoup! Danke! Thanks! Grazie mille!“ und was weiß ich, was „danke“ auf Litauisch, Tschechisch oder Wallonisch heißt. Aber genau das wollen wir ja endlich erfahren!

Gibt es einen ausgezeichneten, allen anderen überlegenen, ortsüblichen Schnaps? Dann bitte her damit zur Begrüßung, und bloß nicht zu wenig davon! Und wer sich ein paar Liter davon mit nach Hause nehmen möchte, der bezahlt ihn beim lokalen Anbieter mit seinen EU-Gutscheinen und genießt ihn nach der Rückkehr mit seinen Lieben zu Hause, während er erzählt, was er alles erlebt und gesehen hat: andere Europäer nämlich in unserem wunderschönen und so vielfältigen (!) und bunten (!) Europa.

Es ist jedenfalls hoch an der Zeit, dass wir endlich „die Anderen“ mit ihren speziellen Stutzen, Hosen, Schuhen und Hüten in ihren jeweiligen Mitgliedsländern kennen lernen, dazu ihre Lieder, ihre Speisen und Getränke, ihre lokalen Bräuche: Schuhplattler trifft auf Mulatschak, Fado auf Polka, musica siciliana auf finnischen Tango.

Weil das Projekt so gut ankommt, dehnen wir es im Folgejahr gleich auf Pflegekräfte, KitamitarbeiterInnen, Putzkräfte, unterbezahlte Polizisten, die ihren Arsch für uns riskieren, und Arbeitssklaven in den Fleischfabriken Europas aus: Ab in den wohlverdienten Urlaub mit euch! Und weil so viele Bauern keine Bäuerin finden, organisiert die EU in jedem Mitgliedsland die dann sehr stark nachgefragten sommerlichen Bauern-Dating-Wochen: Hübsche Damen aus aller Herren Mitgliedsländer, die ihr einen Bauern heiraten wollt, meldet euch! Wir bezahlen euch die Reise, denn wir wollen in der EU nicht nur glückliche Kühe, sondern vor allem glückliche Menschen!

Ein wunderschönes Gefühl im Herzen

Und haben die frisch verliebten Bauernpaare dann im Sommer zu tun und niemanden, der ihre kleinen europäischen Kinder betreut? Kein Problem! Die EU organisiert natürlich auch Kinder-Ferienlager, wiederum über alle Mitgliedsländer verstreut! Die Kleinen schauen sich dort Antigone von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet oder Spartacus auf Großleinwand an und lernen alles über Griechische Mythen, sie lernen weiter alles über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, und womöglich gleich auch eine neue Sprache –  wolność, równość, braterstwo!, wie das auf Polnisch heißt.

Mit einem wunderschönen Gefühl im Herzen und großer Dankbarkeit dafür, in dieser vielfältigen (!) und bunten (!) EU leben zu dürfen, fahren sie nach Hause und übertragen ihre EU-Begeisterung sogleich auf die bis dahin freudlosen Eltern, die sich von freudlosen Leuten wie Kurz, Salvini oder Orbán den Spaß nicht nur an Europa, sondern gleich am Leben insgesamt austreiben lassen. Schluss damit! „Mama, ich will nicht aus der EU austreten, ich will doch einmal erste EU-Ratspräsidentin werden!“ „Na gut, Schatz, dann bleiben wir drin!“

Und warum, fragen wir uns, warum ist eigentlich in Brüssel noch nie jemand auf die Idee gekommen, ein zwei Monate langes Nonstop-EU-Musikfestival zu organisieren, verteilt auf alle Mitgliedstaaten, zu dem jedes Land seine zehn besten Acts schickt? Und zu dem natürlich alle gratis mit Interrail fahren können (das war die vielleicht einzige vernünftige Idee, die in den letzten Jahren jemand zum Thema EU hatte, danke Manfred Weber aus Deutschland!).

Natürlich kostet das Geld!

Es ist jedenfalls ganz schön was los in Europa, wenn wir erst mal den Kommissar für Freude und Würde haben! Auf all diesen Festivals und Treffen laden sich die jungen Leute dann endlich die App jener Kommunikationsplattform namens Homer herunter, welche die EU für uns mit unseren zahlreichen talentierten jungen europäischen Softwareentwicklern programmiert hat und die sie uns selbstverständlich gratis zur Verfügung stellt, ohne dabei unsere Daten zu sammeln, womit wir endlich nicht mehr auf die Hass- und Dreckschleuderplattformen Facebook und wie sie alle heißen zurückgreifen müssen. Schon sind die Leute wieder besser drauf, wenn sie den Schrott nicht jeden Tag lesen müssen, und zwar viel besser!

Das alles kostet Geld? Natürlich kostet das Geld! Die gute Nachricht aber ist: Von praktisch nichts anderem ist so viel da wie vom Geld, wir müssen es uns nur holen. Und mit dem ganzen Schotter in der Tasche muss sich die EU dann endlich wirklich um die kümmern, die dieses vielfältige (!) und bunte (!) Europa ausmachen.

Und dann singen wir alle zusammen: Come together, right now!

_______________

Sie möchten keinen Freitext verpassen? Es gibt einen Newsletter. Hier können Sie ihn abonnieren.