Terror und Antisemitismus rücken immer näher. Wie lebt es sich als Jüdin in Berlin? Soll man womöglich der Einladung Netanjahus folgen?
„Hast du Angst?“
Hat man mich in den letzten Tagen gefragt. „Hast du jetzt mehr Angst als früher? Versteckst du dich? Bleibst du mehr zu Hause? Holst du deine Kinder immer und überall ab?“
Ich habe trotzig geantwortet: „Nein! Ich habe keine Angst. Und du?“
Dann habe ich möglichst schnell das Thema gewechselt.
Vielleicht hätte ich antworten sollen: „Ich will keine Angst haben. Und schon gar nicht, weil ich Jüdin bin. Ich will nicht, denn Angst essen Seele auf, das hat schon der olle Fassbinder gewusst.“
Ganz ehrlich, ganz im Vertrauen, ganz heimlich: Natürlich habe ich Angst. Aber jeder vernünftige Mensch hat jetzt Angst, ob Jude, Nichtjude oder Atheist.
Wenn ein paar brutale, durchgeknallte orthodoxe Terroristen sich und andere in die Luft sprengen, ist das zum Fürchten.
Und es wird täglich schlimmer und es kommt täglich näher.
Paris, Brüssel, Kopenhagen, ein Katzensprung von Berlin.
Ich habe schreckliche, vollständig bebilderte Zukunftsvisionen, und da ist Angst noch das harmloseste Gefühl.
Aber ich will nicht.
Ich will mich nicht fürchten müssen. Und ich will mich nicht kleinmachen. Also schlage ich die überaus freundliche Einladung Netanjahus nach Israel aus, man muss wahrlich nicht jede Einladung annehmen, vor allem nicht von einem so windigen Typen, der bis zum Hals im politischen Morast steckt.
Stattdessen krame ich eine Eigenschaft hervor, die ich sonst nicht unbedingt schätze: die Verdrängung. Ein gängiges körperliches Verfahren: Schädliche, giftige Bereiche, die das Funktionieren des ganzen Körpers, einschließlich Seele, gefährden, werden abgespalten, abgetrennt.
Ich verdränge die aufsteigenden Ängste zugunsten des Mutes.
Klingt leichter als es ist, klappt aber trotzdem.
Denn ich will mich weder im Haus verbarrikadieren, noch mir meine freche Zunge verbieten lassen. Und vor allem will ich nicht auswandern.
Weggehen und den Terroristen das Feld überlassen? Oder normalen Verrückten, die sich als Terroristen ausgeben, oder anderen Irren, die für verrückte Geheimdienste arbeiten, meinen Lebensraum herschenken? Das wäre ja gelacht.
Ich lebe seit über 30 Jahren in Berlin, habe umgerechnet zwei Jahre auf der Potsdamer Straße im Stau gestanden, gefühlte 20 Jahre auf die Eröffnung des neuen BER Flughafens gewartet, habe Kohl im Café Möhring, beim einsamen Kuchenmampfen, Wowereit beim Knutschen, Merkel beim Denken zugeschaut. Und das soll ich jetzt alles sang und klanglos hinter mir lassen, weil ich irgendwelchen rassistischen, frauenfeindlichen Extremisten nicht heilig genug bin?
No way.
Oben auf meiner To-do-Liste steht: Keine Angst haben. Und meine To-do-Listen sind mir heilig.
Ich werde, anstatt mich zu Hause einzusperren, zum Sechstagerennen gehen, Unter den Linden prominieren und mit Aykut und Serpil beim Hasir in der Mariannenstraße so viel Döner essen, bis uns wirklich schlecht ist.
Ich werde das friedliche Berlin so eifrig verteidigen, bis alle anderen gehen. Ist das klar? Klingt nach einer Kampfansage, ist es auch.
Also, lieber Bibi Netanjahu, du wirst ohne mich auskommen müssen, denn ich fühle mich wohl in Deutschland. Das mag den einen oder anderen verwundern, denn Pegida ist kein Kochkurs und auch in der BRD mangelt es nicht an rassistischen, antisemitischen Äußerungen.
Aber es gibt viel mehr Andersdenkende und es gibt eine Demokratie, die mir erlaubt, mich gegen Rassismus aufzulehnen. Wo mir zuhört wird, wenn ich protestiere, und ich nicht gleich zur Uzi oder Kalaschnikow zu greifen brauche, um meinen politischen Gegnern zu antworten.
Nein, ich werde, wenn mir danach ist, weiter an Karneval auf die Straße gehen, werde mir das Feiern oder Protestieren, öffentlich und in Gesellschaft, nicht nehmen lassen. Oder ich werde allein auf meinem Sofa Karikatur-Journale lesen. Vielleicht werde ich auch nichts von all dem tun. Aber ich könnte, denn in meinem Land ist es erlaubt.
Ich lasse mir das Leben nicht verbieten, von Leuten mit wahnsinnigen Maßstäben schon gar nicht.