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Schweinekruste statt Stalingrad

 

Ist Merkel eine plappernde Walküre? Rennen alle Ostler zu Deppendemos? Unser Kolumnist schlendert durch Sachsen und sinniert über deutsche Geschichte. Das Fax der Woche

Dresden, Stadt der Heldenmenschen, Ankunft am schönen Frühlingstag. Bullen schnallen sich Panzerpolster an, die Bürger des Abendlands wollen am Montag wieder spazieren gehen. Erblicke zwei grimmige Sachsen auf dem Weg zur Deppendemo. Entdecke schlanke Sächsin, die an den Fassaden entlang schnürt, sie schimpft die Männer aus. Droht Getümmel? Den Sachsen schießt das Blut in die Kalbsschädel, sie bleiben ruhig. Gemiedlichgeed.

Am frühen Abend: Arbeit an Texten von Muttersprachlern. Ich krähe: Deutsche Worte sind mächtig und heftig, gebraucht sie! Es kräht ein junger Schreiber zurück: Deutsche dichten doch deutsch, denkt daran! Gelächter, Gemiedlichgeed.

Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

Nächster Tag, auf zum Neustädter Markt, es leuchten Ross und Reiter in Gold auf hohem Sockel. Ich trete näher, Irrtum ausgeschlossen: Der Mann trägt Sandalen, die großen Zehen sind abgeknickt. Inbrunst benebelt. Scheußlicher Geschmack der Sachsen: Ihr König sieht aus wie eine Keksdose. Komme ins Grübeln – war das immer so? Vor der Wende, nach der Wende, keine Wende.

Fasse zusammen: Zone ist Ruine, Mauer fällt. Jubel im Vaterland, Tränentheater, endlich unter einem Banner vereint, das halbe Volk dem Iwan entrissen. Zone später: Wir lassen uns vom Wessi nicht auf’n Tisch kacken! Unser System war scheiße, aber immerhin! …

Sonst? Konsum und Dialekte. Frau Merkel, Herr Gauch, Doppelspitze des Grauens. Grüner Pfeil. Volk brummt über Neger und Fellachen. Ähnlich hohe Deppenquote wie im Westen. Innenweltkomiker in der Überzahl. Russensystem überlebt, jetzt will man mal blöd sein dürfen. Jeder lebt schön frisiert, jeder liebt den eigenen Fassonschnitt. Und, ist das schlecht? Soll uns der Iwan wieder umzäunen? Der Wessi hat für uns ein Stoßgebet aus drei Silben gedichtet: Ja. Bitte. Verlangt man von uns, den einstigen Knechten, Unterwürfigkeit?…

Ich gehe im Geiste die letzten zweieinhalb Jahrzehnte durch: Nix wuchs zusammen. Der Herrscher Jubelworte, sie bedeuten nichts. Es liefen viele über, zum Bürgertum der Siegermacht, sie dürfen lügen wie die anderen. Gauck ist Mittelmaß, und er ähnelt darin den Herren Vorgängern. Er hat Übung im Einseifen der Schäfchen, es wird sich für ihn nicht viel geändert haben. Merkel? Kohl-Klon, plappernde Walküre, Palaver und Papperlapapp, mehr ist nicht dran.

Gäbe es nicht der Knechte in Fülle, stürzten die Damen und Herren Herrscher über Nacht. Gemiedlichgeed ist die Losung fürs ganze Land. Hatten also die Ostzonen-Kommunisten recht? Heut schimpft man sie bezahlte Büttel der Sowjetmacht.

Fasse zusammen: Nazifiziert war die Westzone von Anfang an, die Amis kniffen beide Augen zu. Viele Ratten in Justiz und Politik, Reich ist Ruine, Wohlstand jetzt sofort, Schweinekruste statt Stalingrad, der Ami ist unser Freund, wir schmeißen uns ihm an den Hals wie ein Lotterweib. Später: Konservative Grimmigkeit, Sturm gegen die Reaktion mit langem Haar und Minirock. Kriegsverbrechen der Amis überall, es trifft die Kanaken und nicht uns, wir mucken nicht auf. Herrschaft des dummen Kerls und des dummen Weibs. Bräsigkeit zahlt sich aus in der Westzone: Adel, FDP, Stoiber …

Stehe wieder an des Sachsenkönigs Sandale, ich muss im Stehen gedämmert haben, ein Mann spricht mich an: Wo komm’nsä här? Ich sage: Aus dem Norden, der Heldenstadt Kiel. Der Sachse an und für sich redet sein Gegenüber rammdösig, solang er redet, hat das Gegenüber höchstens zu nicken. Drei Viertel von dem, was der Mann spricht, verstehe ich nicht, es klingt wie Mittelhochdeutsch mit gesummten Untertiteln. Ich bitte um die Übersetzung, er zeigt auf meine ausgebeulte Hippie-Umhängetasche: Raus mit den Sprühdosen! Bin kein Sprüher, sage ich und unterbreite ihm meine Idee. Man könnte doch den königlichen Zeh rot besprühen, der Goldgockel auf dem Sattel weise dann auf das deutsche demokratische Dresden hin, mit dem zu brechen der böse Wessi den gemeinhinnigen Dresdner nötige. Der Mann nennt mich: Stinktierarsch. Ich lache, er lacht mit.

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