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Als rechtes Schwein musst du dir die Haare nicht rot färben

 

Verdient die Witwe eines Faschisten Mitleid? Unser Kolumnist besucht sie immerhin. Dabei fällt ihm ein: Er selbst war mal ein national blökendes Viech. Das Fax der Woche

Große Freude kommt auf beim Tod des Faschisten. Die Leute sagen: Er ist endlich in der Hölle, das ist ein großer Saal, in dem seine bleichen Kameraden, verreckt im Krieg, verreckt als Führers Soldaten, Totentänze tanzen. Dort muss der Faschist in die Mitte springen, immer wieder, und sich verbeugen vor den grinsenden Wärtern mit den Hornsprossen. Ein Sprung, dann zurück ins Glied, ein Sprung, noch einmal, keine Ermüdung, keine Erlösung, er wird springen müssen bis in alle Ewigkeit.

Ich aber besuche die Witwe, die der Wahn des Mannes in den Ehejahrzehnten durchdrang. Sie erstarrt in der Tür: Bin ich der Rächer der niederen Rasse? Will ich sie in den jenseitigen Tanzsaal befördern, dass die trotz knackender Gelenke die Tänze der negroiden Völker üben muss? Ich spreche mein Beileid aus, sie bittet mich herein. Hat der Faschist ihr geraten, sich zu hüten vor dem Mitgefühl der Kaukasier? Dummes Zeug, sie trauert, der Sohn und die beiden Töchter trauern. Schöne Menschen, leider. Was habe ich erwartet? Dass die Sündenschwärze des Vaters auf die Kinder abfärbt?

Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu

Schäm dich, denke ich, bleibe ernst und bleibe sanft. Der Sohn dankt mir für meine Anteilnahme, die Töchter streichen sich im Sitzen die Röcke glatt. Mutter, sagt der Sohn, er war auch mal ein glühender Patriot, er versteht, er hat kein altes Herz … Soll ich ihn an den Haaren ziehen? Soll ich die Grazien in den Sesseln durch eine obszöne Geste verschrecken? Ich trinke schweigend Kaffee.

Für fünfeinhalb Monate, im zweiten Halbjahr der elften Klasse, gefiel ich mir tatsächlich als national blökendes Viech. Ich las Hitlers Mein Kampf, und ich las Goebbels Tagebücher, die ersten beiden Bände. Mich wärmten die Worte nicht. Die Jungs in der Klasse waren schlaffe Fußföner, die Mädchen wollten nur gute und beste Noten. Ich glaubte an die Idee der Erweckung und Erhebung. Die halbe Sippschaft wurde von den Sowjetkommunisten abgeschlachtet, ein Viertel kam beim Völkermord der Türken an den Armeniern um. Ich war ein Heimatvertriebenenenkel, der nicht zum öden Gymnasiasten verkommen wollte. Das Klassenzimmer wurde mein Schallraum, als rechtes Schwein musste ich mir die Haare nicht rot färben oder Knielöcher in die Batikjeans schneiden: Die Lumpengesinnung machte mich zum extremsten Außenseiter.

Die Geschichtslehrerin schrie mich an, sie zeigte Fotos von Leichenbergen und Verbrennungsöfen, ich stand auf und verließ das Zimmer. Zu Hause, im Bad, Monument der Selbstvergessenheit, Volkes gestählter Krieger. Wanke nicht! War ich in einer schlagenden Verbindung? Nein, sie nahmen keine Fremden auf. Egal. Logik ist die Sache der Rechtsradikalen nicht. Der Kommunist setzt auf Dialektik, der Faschist auf Putsch und Panik. Fünfeinhalb Monate war ich eine mit Gewölle, Schlamm und Schmutz ausgestopfte Menschenhaut. Ausstieg ohne Drama und Schauprozess. Argwohn bei Schülern und Lehrern. Sie lernten, dass ihr Hass an mir verschwendet war. Danach schlug man mich den irren Versagern zu.

Woher wusste der trauende Sohn um mein Nazi-Halbjahr? Vom Freund des jüngsten Sohn des Onkels, wir machten in derselben Schule Abitur. Die Welt ist klein, die Welt ist nicht groß genug, damit man sich verschanzen könnte.

Die Witwe will keinen Neuanfang, sie bleibt im Viertel. Noch einen Kaffee? Nein, danke, ich sollte gehen. Sie fragt mich nach meiner Herkunft aus – Türkisch-armenisch-tschetschenisches Blut, jetzt bin ich deutsch. Eisiges Schweigen, nur eine Tochter kichert. Strafender Blick der Mutter, es nützt nichts, sie hält es nicht aus, sie sagt: Niemals! Ein Ausländer kann hier leben. Kann hier Geld verdienen. Kann den deutschen Pass bekommen. Wir mästen die halbe Welt, wir verlosen die Pässe unter den Negern. Aber niemals, hören Sie, niemals werden Sie und sind Sie deutsch…

Mutter und Kinder strahlen, gestärkter Glaube, brennendes Herz, Ruhm und Ehre dem Vater. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. Draußen denke ich: Doch, ihr Pfeifen, doch. Ruhet sanft.

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