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Klein Hitler versteht die Welt nicht mehr

 

Heißt Integration, so zu werden wie der handelsübliche Kleinbürger? Mit Parolen und dumpfem Volksstolz? Da hilft selbst kein Dackelkauf!

Auf den dummen Ausländer stoße ich im Wirtshaus. Deutschland führt, wir brüllen wie Lottokönige. Mann mit Glatze zerreißt Serviette in Schnipsel, wirft sie in die Luft. Kinder schnappen nach Schnipseln wie Echsen nach Libellen.

Da schleicht er heran, der junge Perser, halb besoffen, hat sich schick gemacht, Schwarz-Rot-Gold an den Wangen, kommt an den langen Tisch, und erzählt, dass die echten Deutschen sich schämen, wo doch der Brite, der Ami, der Russ Volksherrlichkeit achte. Dass Stolz auf die Eigenheit geboten sei. Dass die Siegermächte Hitler schlechtmachen, wo doch der Mann, von Tatkraft durchglüht, Großes vollbrachte. Der Ami sei überall in der Welt zu Gast bei Feinden. Der Deutsche aber habe einen guten Ruf, sogar beim kleinsten jemenitischen Stamm…

Zweite Halbzeit, der Perser hält die Schnauze. Seine Worte haben mich vergiftet. Zweites Tor für Deutschland, ich komme mir vor wie ein jubelnder Nazi. Sieg hört sich an wie Sieg Heil. Der dumme Ausländer geht herum, hält Ansprachen: Macht kaputt, was Deutschland kaputtmacht. Die echten Deutschen, gemäßigte Prolls im Glück, rufen: Is gut, Ach-Mett, troll Dich.

Klein Hitler versteht die Welt nicht mehr. Da hat er sie alle angefeuert, da hat Deutschlands Sturmtrupp mit seiner Hilfe das Fußballfeld erobert. Da hat er erklärt, dass Deutsche und Perser eine einige Arierrasse sind. Und doch scheuchen sie ihn fort, als wär er nur ein Türke. Weil er’s dem Pack abgehört hat, weil ihm Bier in den Adern fließt, brüllt er: Türken vergasen! Faschofratzenkloppen, denke ich und stehe auf. Der Wirt kommt mir zuvor, packt ihn am Kragen, tritt ihn auf die Straße. Dummer Ausländer verbannt. Dem dummen Deutschen, der darüber mault, wird Maulpolitur angedroht, er brütet böse überm Bier.

feridun-auf-den-dummenTage später treffe ich den Deutschland-den-Deutschen-Perser in der Schlange an der Kasse der Drogerie, er kauft eine große Packung Gesundheitskapseln, ich kaufe einen Hornhobel. Er sagt: Würde sie niemals vergasen, die Türken! Frauen in der Schlange drehen sich um und glotzen. Perser mimt reuigen Musternazi. Doch er hat sein Publikum, also legt er los. Die Deutschen müssten Ehre, Scholle, Erhabenheit begreifen lernen, schlaffen, verspannten Ariern helfe kein Masseur…

Peinlich. Ich zwicke ihm ins Ohr, er gibt Ruhe. Gehe ohne Abschiedsgruß davon. Was macht sie aus, die dämlichen Jubel-Ausländer in diesem Land? Sie lechzen nach dem Ruhm des Augenblicks, nach dem Lob, das sie strahlen lässt: Ach-Mett, Du bist keiner von uns, jammerschade, wir gewähren Dir trotzdem einen Platz in unserer Runde. Ein Ach-Mett übernimmt die Muster des landesüblichen Kleinbürgers.

Ich kenne ein Ölauge, das ohne Not Christ wurde, er wollte vor der Schwiegermutter angeben. Ich kenne ein Ethnomädchen, das sommers wie winters kurze Höschen trägt, es zeigt seine schickmoderne Gesinnung. Ich kenne einen Russlanddeutschen, der glaubt, er müsse weiße Socken und Sandalen tragen, er hat es sich von deutschen Rentnern abgeschaut. Ich kenne einen Hundehalter mit Hundeallergie: Dackel muss sein, weil es sich hier so gehört. Integrationsartisten. Eingegliederte, eingebildete Chargen. Genauso ranzig wie heimatbesoffene Deutschländer, die im Land der Eltern Seligkeit und Heiligwerdung vermuten.

Schön und gut, was kümmert mich das? Antworte auf Fragen aus dem Publikum, nach jeder Lesung, gebe gern Auskunft, meinetwegen auch übers Heimatland meiner Mutter und meines Vaters. Wer feindet mich an? Die Ex-Fremden, die ‚Neudeutschen‘, sie bestehen auf ihrer Fremdheit, sie werfen mir Verstellung und Überdehnung vor. Macht nix, gehört zu meiner Arbeit. Bin ich der persische Klein Hitler in der milden Ausgabe? Die Ex-Fremden sagen: Unbedingt. Ich sage: Nö. Der Unterschied? Würde gerne jedem Nazi auf seine Kleider am Leib vier Wörter sprühen: Good night white pride. Würde fast allen Karriere-Kanaken bei den Christschwarzen den Vogel zeigen. Erst hobele ich mir das Horn vom Fußballen.