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Der Flaschengeist am Spielfeldrand

 

© John Macdougall/AFP
© John Macdougall/AFP

Keine Backpfeifen, keine Maulschellen, kein Schlag in die Magengrube: So ein gutes Spiel wie gegen die Mannschaft aus Serbien hat keiner von den Deutschen erwartet.

Wenn man die Fernsehbilder der letzten Sekunden des Spiels gegen Serbien ansieht, sieht man Krenz am Spielfeldrand, direkt hinter dem Schiedsrichter, konzentriert und schweigend. Die Arme verschränkt, den Blick geradeaus. Alle anderen brüllen, die ganze Halle steht, die Fans unter dem Dach krakeelen, Serben und Deutsche. Ein paar können nicht hinsehen, verbergen ihre Gesichter in den Händen. Krenz sieht starr geradeaus. Es sind noch nullkommaneun Sekunden zu spielen, Deutschland liegt hinten. 66:68. Der Schiedsrichter übergibt den Ball an Dennis Schröder, es geht los, letzter Einwurf, letzte Chance, der Lärm wird ohrenbetäubend, und Krenz konzentriert sich.

Krenz ist der Typ am Spielfeldrand. Ein schwerer Mann, zwei Meter groß und zwei Meter breit, Ex-Footballspieler, Offensive Line, Karriereende Kreuzbandriss. Seine Aufgabe war es, dem Quarterback die Gegner vom Leib zu halten, damit der die entscheidenden Pässe spielen kann. Mit Basketball hatte Krenz nicht viel zu tun, aber seit ein paar Jahren arbeitet er für einen Sponsor und koordiniert Events und Auftritte und alles, was Koordination benötigt. Er ist eine Art Heinzelmännchen, das bei Bedarf auch als Bodyguard arbeiten kann. Ein Flaschengeist mit zwei Telefonen. Krenz rennt unentwegt durch die Halle, hin und her zwischen Promibetreuung und Pressegraben, Hallenvorplatz und Spielerkabine, schüttelt Hände, redet und regelt. Er ist hier, um Enthusiasmus zu verbreiten. Er trinkt dabei literweise Wasser, niemand kann so viel Wasser trinken wie Krenz. Krenz hat sich in den letzten Jahren in das Spiel versenkt, er hat zugehört und zugesehen, mittlerweile analysiert er das Spiel besser als mancher Basketballer. Prognosen hört er sich an, gibt aber selbst keine ab. Alle rechnen mit einer Niederlage, aber Krenz verteilt Optimismus. „Alle denken: Backpfeife“, sagt er auf dem Weg an den Spielfeldrand. „Aber vielleicht kommt die gar nicht.“

Und dann ist das Spiel bis zum Ende offen. Miloš Teodosić, der beste Aufbauspieler Europas, trifft nicht. Der gefürchtete Bjelica trifft nicht. Tibor Pleiß neutralisiert die serbischen Schwergewichte und trifft vorne fast alles. Nowitzki ist immer noch Nowitzki. Teodosić ist so frustriert, dass er irgendwann versucht, seinen Gegenspieler Maodo Lô über die Klinge springen zu lassen wie ein Außenverteidiger beim Fußball, aber nicht einmal das gelingt ihm heute: Lô hüpft über das hingestellte Bein wie ein Skater über die Bordsteinkante. Aber nun ist die Halle sauer: Bei jeder Ballberührung pfeift sie. Jetzt ist die Halle wach. Plötzlich merkt sie, dass es heute keine Prügel geben muss, keine Backpfeifen, keine Maulschellen.

„Das hat niemand auf dem Zettel gehabt“, sagt der Fernsehkommentator Norbert Galeske. „Diese Leistung der deutschen Nationalmannschaft.“ Niemand hat damit gerechnet. Zumindest niemand, mit dem ich gesprochen habe. Journalisten, Fans, Freunde, Verwandte. Was wir gedacht haben, als wir die Serben am Vortag gegen die Spanier haben siegen sehen: Das wird richtig bitter. Oder: Das ist eine andere Liga. Oder: Alles andere als eine Niederlage mit mehr als 15 Punkten ist ein Sieg. Die meisten sagen Dinge wie „Gucken wir mal“ und „Jedes Spiel ist ein anderes Spiel“, aber alles klingt wie „Hoffentlich wird das keine Katastrophe“. Wir haben alle keine Ahnung vom Basketball. Prognosen sind Unfug.

Bei nullkommaneun Sekunden und zwei Punkten helfen Prognosen nicht mehr viel. Du brauchst zwei Punkte, und um diese zwei Punkte zu bekommen, kannst du dir zwei, drei alternative Wege ausdenken. Du hast gerade eben Zeit, den Ball zu fangen, dann geht die Uhr an, neun Zehntel zur Sirene, und du musst werfen, ohne irgendwie zu zögern. Wer zögert, verliert.

Die Halle steht, Krenz sitzt und guckt. Der, der sonst alles regelt, kann nur zusehen, wie der Schiri Schröder den Ball übergibt und die Arme hebt, wie die Deutschen rotieren und kreisen, ihre Blöcke antäuschen und setzen, und Schröder muss entscheiden: Ist Schaffartzik frei, der gerade noch den Ausgleich erzielt hat, mit Nerven aus Stahl? Ist Nowitzki frei? Giffey? Pleiß?

Nowitzki scheint freizustehen, aber Schröder entscheidet sich für Schaffartzik, der in die linke Ecke schneidet, den Ball bekommt, den Korb sieht, aber vor ihm bauen sich die Serben auf. Und weil Schaffartzik kleiner ist als die Serben, fast winzig, bekommt er den Ball nicht mehr los. Serbien gewinnt, Krenz sammelt sich, steht auf und geht an die Arbeit. „Geiles Spiel“, sagt der Zuschauer in ihm. „Hätte ich nicht gedacht“, sagt der Diplomat. Warum es so knapp war, kein Blowout, sondern ein echtes Spiel? „Wenn du die ganze Zeit mit einem Schlag in den Magen rechnest“, sagt der Footballer in ihm, „dann spannst du die Bauchmuskeln an. Dann bist du bereit.“ Jetzt ist die Mannschaft bereit. Mittwoch geht es gegen Italien.