Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Der betrogene Deutsche ertränkt seinen Kummer

 

Der gescheiterte Maler faselt vom Innenleben des nordischen Mannes und schüttet Bier in sein Seelenloch. Dieses Gejaule kann man echt nicht mehr hören. Das Fax der Woche

Besuch beim großen Dichter in der Heldenstadt Leipzig. Sitze im Garten des Gesindehauses, das er bezogen hat. Finken und Goldgelbkehlchen picken in die erstarrten Wachspfützen auf dem Tisch. An zwei Wäscheleinen hängen Hemden und Hosen. Dichter wendet Hähnchenspieße auf dem Grillrost. Wir reden über die Herrlichkeitsverächter unter den Kritikern. Was ist damit gemeint? Kritiker, die auf bürokratendeutsch verfasste Bücher setzen. Kritiker, die von Text und Theorie begeistert sind. Thema ermüdet. Wir reden über Pegida, Pippida, Pupsgaga. Thema ermüdet – Themenwechsel. Geld und Geldsorgen. Wir brüllen: Wir schaffen das, die Kämpfe gehen weiter. Nach und nach treffen die Gäste ein. Abendgesellschaft, Campingstühle, Tapeziertische, die Scheiter sind auf dem tönernen Feuerbecken aufgeschichtet. Knackige Ostdeutsche und Schwaben, die es der Liebe wegen nach Ostdeutschland verschlagen hat.zaimoglu

Später taucht ein Maler auf, wir kennen uns, wir klopfen einander ab. Wie gehts ihm? Schlecht. Er setzt die Pulle auf die Lippe, leert die Flasche in vier Zügen, schnauft auf und erzählt: Große Unruhe, ich bin der Künstler, der seine Kunst unterdrückt. Will ich Reicheleutetöchter in Porträtmalerei unterrichten? Ja, vielleicht, man soll Verdienstmöglichkeiten nicht abschlagen, aber die Kunst, ich kacke ab. Steh im Küchendunst an der Staffelei und glotze blöde auf das angebrochene Dingsbums, ich will epochales Zeugs hinterlassen und nicht Fingerfarbenmalerei. Vom vielen Unterrichten werd ich hohl und leer. Ich bin der nordische Mann, der um Klärung und Läuterung ringt. Wahrscheinlich kannst du das nicht verstehen, du bist ja später dazu gekommen, du hast dies Innenleben nicht …

Was hat er da gesagt? Der nordische Mann, das Ringen, das Innenleben. Der Maler, dick und breit, kommt, wenn er erst einmal sitzt, so leicht nicht hoch. Er trinkt im Schnitt vier Flaschen Wein am Tag. Im wirklichen Leben, in das wir alle hineinragen, nennt man einen solchen Menschen einen schweren Säufer. Der Mann trägt einen Wildererhut mit umgeschlagener Krempe, er bedeckt damit nicht den Kopf, und aber den Ausschlag. Es ist rechtens, dass er den Makel verbergen will. Das Holz im Becken knistert beim Brennen, der Maler leert die fünfte Bierflasche, er mustert mich. Ist er ein Spätbekehrter und steh ich in seinen Augen auf der Gegenseite?

Am nächsten Tag nimmt mich der Dichter zum Flohmarkt mit. Entdecke Wichtelmännchen aus der Werkstatt in Gräfenroda, verwittert und angeschlagen, ich frage nach dem Preis. Sechzig Euro das Stück. Ich sage dankeschön und ziehe weiter. Am anderen Ende des Parkplatzes verkauft ein Mann Nazischrott. Zwei Jungnazis gaffen selig auf die Hitlerbüste. Der jüngere der beiden trägt eine Trainingsjacke, auf deren Rückseite zwei Worte prangen: Festungsstadt Magdeburg. Die Männer feilschen mit dem Händler, ich ziehe weiter. Zurück im Garten des Gesindehauses, ich frage: Was ist mit dem Maler los? Der Dichter: Säuft sich tot, bekommt keinen guten Strich hin, glotzt auf das Bild, das er vor einem Jahr anfing. Schläft im Unterricht ein. Pflaumt jeden und jede an. Nazi-Ulf hat sich seiner angenommen, der erzählt dem Maler, dass er nicht etwa versagt. Nein, für Nazi-Ulf ist der Maler einer der vielen deutschen Betrogenen, und er hat jedes Recht der Welt, aufzuseufzen. Böse zu werden. Für die Kanaken hat man viel Geld. Die Volksgenossen aber verarscht man. Da muss der betrogene Deutsche seinen Kummer ertränken. Da muss er, um nicht abzudrehen, in sein Seelenloch Bier und Wein schütten.

Der Maler ist ein guter Sohn der Stadt, ein hochbegabter Mann, eine Zierde für sein Volk. Weshalb aber muss es leiden? Sein Niedergang ist der widergespiegelte Niedergang des deutschen Volkes … Mir dröhnt der Kopf von den Worten: Herrschen oder beherrscht werden, die Kanaken übernehmen bald das Land, wir sind verraten und verkauft. Wie schade, wie scheußlich. Ein Maler soll malen. Parolen sind die Pest.

_________________

Sie möchten keinen Freitext verpassen? Aufgrund der großen Nachfrage gibt es jetzt einen Newsletter. Hier können Sie ihn abonnieren.