Fetischisiert, vermessen, vorgeführt und verkauft: Germany’s Next Topmodel richtet eine ganze Generation zugrunde. Jetzt startet die zehnte Staffel.
In meiner Jugend, hinter dem Eisernen Vorhang, gab es weder Models noch Castingshows oder Heidi Klum. Ein Mädchen sollte natürlich hübsch und artig sein, später heiraten und Mutter werden, das schon, aber von einer Model-Karriere war nie die Rede. Es gab weder den vermeintlichen Glamour noch die Glitzerschuhe oder die Werbekunden, und der berufliche Aufstieg basierte nicht unbedingt auf dem perfekten Foto oder den Körpermaßen, sondern auf guten Noten in den Naturwissenschaften. Mädchen konnten Astronautin, Ärztin und Traktorfahrerin werden. Ich sage nicht, dass es die Gleichberechtigung gab, aber Mädchen konnten träumen – auch von ihr.
Heute wird durch die Castingshow Germanys Next Topmodel eine ganze Generation zugrunde gerichtet. Der Traum, der ihnen samt vielen in der Fernsehsendung beworbenen Artikeln verkauft wird, besteht aus einer Welt, in der eine Frau nichts weiter erreichen sollte, als groß, dürr und gefällig zu sein. Sie muss sich in Pose werfen können, auf Knopfdruck „sexy“ sein, immerzu lächeln und währenddessen ihren Mund entspannen. Gern kann diese Traumfrau ein wenig dumm geraten.
Die Körper von Heidis Mädchen, denn es ist immer nur die Rede von Mädchen, niemals von Frauen, werden fetischisiert, vermessen, vorgeführt und verkauft. Sie werden ausschließlich durch den in den Filmwissenschaften breit besprochenen männlichen Blick gezeigt, der die Frauen zu Objekten degradiert und weder von Heidi Klum noch von ihrer Redaktion hinterfragt wird.
Der Rest der deutschen Mädchenschaft soll indessen geschlechtsspezifisch konsumieren. Was genau, verrät Heidi Klum gern. Die Modelmutter sagte voller Stolz über sich selbst am Anfang der achten Staffel: „Ich gehöre heute zu den wahrscheinlich meistfotografierten Frauen auf der Welt und darf die wunderschönsten Kleider dieser Welt tragen.“ Es ist erschreckend wenig.
Leider ist die Show so hochprofessionell, perfekt durchchoreografiert und beliebt, dass wir das Phänomen Germany’s Next Topmodel ernst nehmen müssen. Sie läuft gerade zum zehnten Mal. In den vergangenen neun Jahren haben sich bereits mehr als 135.000 Mädchen beworben. Nach einer von der Lego GmbH 2013 in Auftrag gegebenen Studie steht der Beruf Model auf dem vierten Platz der beliebtesten Berufswünsche junger Mädchen. Das Model ist die Fortsetzung des Lebenstraums Prinzessin, womöglich spricht das für unsere Demokratie, aber ich glaube es kaum. Immerhin kann eine Prinzessin zu einer Königin heranwachsen, ein Topmodel kann nur hoffen, in Würde zu altern oder rechtzeitig umzuschulen.
Beim Finale von Germany’s Next Topmodel 2014 sagt Heidi Klum zu den beiden Finalistinnen: „Ich hoffe, ihr habt Spaß gehabt. Habt ihr Spaß gehabt?“ Als niemand antwortet, wiederholt sie: „Habt ihr Spaß gehabt?“ Erst dann sieht sich eine der beiden genötigt zu sagen: „Ja, wir hatten total viel Spaß.“ Man sieht es ihnen nicht an.
Heidis Mädchen dürfen nicht glücklich werden oder auch nur zufrieden mit den eigenen Körpern, und die Zuschauerinnen ebenso wenig, denn dann wäre das Spiel aus. Um die britische Autorin Laurie Penny zu zitieren: „Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen.“ Die Teilnehmerinnen von Germany’s Next Topmodel sollen noch nicht einmal zur Schule gehen – wozu auch, wenn man statt Bildung einen Look haben kann.
Germany’s Next Topmodel bedient die altvertraute Logik: Frauen brauchen keine Bildung. Frauen brauchen kein Wahlrecht. Frauen sind doch nur Frauen. Körper, die nicht zu viel Platz beanspruchen sollen. Objekte. Fleisch. Nach der Show sind diese jungen Frauen ohnehin allen egal, keine von ihnen wurde ein Topmodel, und ihre Berühmtheit übersteigt nur knapp die von Andy Warhol den Normalsterblichen zugestandene Berühmtheitsspanne. Es ist der Konsum, dem uneingeschränkt gehuldigt wird, Kosmetika, Urlaubsdomizile und Heidi Klum selbst werden werbewirksam ins rechte Licht gerückt. Ein Drittel der Sendezeit besteht aus Werbung. Die Brutto-Werbekosten für einen 30-sekündigen Werbespot betrugen im März 2014 fast 90.000 Euro.
Doch auch die Mädchen werden angehalten, sich zu verkaufen, es geht ja darum, dem Kunden zu gefallen. Heidi nimmt sie mit zum Shoppen, wenn sie deren Sachen nicht „cool genug“ findet. „Als Model verkaufst du dich“, bläut Heidi ihnen ununterbrochen ein.
Besonders billig verkaufen müssen sich die Teilnehmerinnen an die Maschinerie Klum. Die drei Finalistinnen werden dazu genötigt, einen Zweijahresvertrag mit der Agentur von Klums Vater abzuschließen. (Wie viel kriegen sie da?)
Eine ganz andere Show ist Rupaul’s Drag Race. Hier konkurrieren keine minderjährigen Mädchen miteinander, sondern gestandene Dragqueens. Wie überzogen die weiblichen Schönheitsstandards sind, wird erst in dieser Show klar. Zudem ist sie das Witzigste, was ich seit Langem gesehen habe – mit dem viel zu seltenem Plus, dass der Humor nicht auf Kosten der Teilnehmerinnen geht.
Diese Frauen sind keine Prinzessinnen, sondern selbst gekrönte, emanzipierte Königinnen und im Gegensatz zu den Teilnehmerinnen von Germany’s Next Topmodel entscheiden sie selbst, was sie anziehen, wann und auf welche Art und Weise sie sexy sein wollen und wer aus ihren Körpern Kapital schlagen darf. Mädchen sollten lieber diese Show schauen. Und die Jungs ebenso.
Es geht nicht darum, prüder zu werden, sondern die eigene Sexualität und das eigene Erscheinungsbild selbst bestimmen zu können. Es geht darum, die Deutungshoheit über den eigenen Körper zu erlangen und über die eigene Sexualität. Das Einzige, was junge Mädchen von Germany’s Next Topmodel lernen könnten, ist, eine monotone, hetero-normative, kapitalistische Erotik nachzuahmen, ohne die Chance zu bekommen, eine eigene zu entwickeln. Und wir Frauen müssen aufhören, bei diesem Spiel mitzumachen, denn wir verlieren. Es ist unmöglich, sich für diese Show fremdzuschämen, aber nicht für die Frauen, die mitmachen. Selbst wenn man uns dazu erzieht.