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Die Stelle da im Hals

 

Bleivergiftung durch alte Rohre? Mysteriöse Lebensmittelunverträglichkeit? Doch Grippe? Wenn es bei IHM mal wieder zwickt, muss SIE sehr tapfer sein. Ein ewiges Drama

ER: Ich fühl mich nicht so gut.

SIE: Wieso denn?

ER: Ich glaub, ich bin erkältet.

SIE: Schon wieder? Du warst doch erst vor zwei Wochen erkältet.

ER: Ich kann doch nichts dafür.

SIE: Man kann gar nicht so oft krank sein.

ER: Ich hab aber wieder so eine Stelle im Hals, hier rechts, da fühlt es sich so rauh an, das ist die Vorstufe vom Kratzen, dann wandert es auf die andere Seite und von dort in die Stirn, und der Schnupfen aus der Stirn steckt dann die Bronchien an, und ich huste wieder wochenlang.

SIE: Das kommt nur, weil du immer dran denkst, ich bin doch auch nicht immerzu krank. Du beobachtest dich viel zu sehr, andere bemerken so etwas bei sich gar nicht.

ER: Ich glaube, das ist, weil sie mir als Kind die Mandeln rausgenommen haben, und an der Stelle sind noch irgendwelche Hautfetzen geblieben, die hatten doch im Osten keine guten Messer zum Schneiden, unsere Papierscheren waren ja auch unbrauchbar, da ging Durchreißen noch besser. Und diese Hautfetzen flattern da im Hals wie Algen am Meeresboden, und im Hals herrscht doch auch so ein feuchtes Klima, sodass sich dort Bakterienkulturen ansiedeln können, die anderswo längst ausgestorben sind. Ich glaube nämlich, es ist seit Jahren immer dieselbe Erkältung, die nie ganz weggeht.

SIE: Dann geh doch mal zum Arzt und lass das untersuchen.

ER: Die Ärzte hören ja nie hin. Außerdem steckt man sich im Wartezimmer erst recht an.

SIE: Hast du’s mal versucht?

ER: Ich war schon mal beim Hals-Nasen-Ohrenarzt, der hat gesagt, ich habe globus hystericus. Also dass sich die Muskeln in der Kehle irgendwie verkrampfen, weil man gestresst ist.

SIE: Na, siehst du, es ist nur eingebildet.

dpa ()
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ER: Der arbeitet da aber gar nicht mehr, die Praxis gehört jetzt einer anderen. Der war nicht mal gut genug für das Ärztehaus. Obwohl man als HNO-Arzt ja überhaupt nichts machen muss, nur in den Hals gucken, ob was entzündet ist, oder Ohrenschmalz ausspülen. Wer weiß, ob das überhaupt ein richtiger Arzt war, das sind ja oft Betrüger, man fragt die ja nicht nach ihrem Diplom, wenn sie einen weißen Kittel anhaben, die meisten haben nicht mal Abitur, die haben sich nur im Gefängnis den Pschyrembel durchgelesen.

SIE: Du musst dir einfach sagen, dass du nichts hast, dann hast du auch nichts. Denk an was anderes.

ER: Ich kann nicht denken, wenn ich erkältet bin, und ich fühle mich genau wie vor einer Erkältung. Vor zwei Wochen war ich doch auch wirklich krank. Guck mal, hier, mein rechtes Nasenloch ist zu, wenn ich das linke zuhalte, krieg ich keine Luft mehr.

SIE: Das hat gar nichts zu bedeuten, bei mir ist das linke Nasenloch zu, wenn ich rechts den Finger raufhalte, krieg ich auch keine Luft mehr.

ER: Dann habe ich mich bei dir angesteckt! Wenn du es genau spiegelverkehrt hast, ist das doch logisch. Dein linkes Nasenloch hat mein rechtes Nasenloch angesteckt. Und wenn das andere Nasenloch jetzt auch noch verstopft, dann muss ich ersticken. Oder würdest du mir ein Nasenloch spenden? Aber du hast ja selber nur noch eins. Versprichst du mir, dass du mich weckst, wenn ich im Schlaf ersticke?

SIE: Das ist doch nur das Nasenloch, du hast doch kein Fieber. Ich kenne niemanden, der sich so auf seine Krankheiten konzentriert wie du, dabei hast du gar keine.

ER: Ich kann nur arbeiten, wenn ich hundertprozentig gesund bin, sonst kann ich nicht mal die Maustaste runterdrücken, weil ich mich so geschwächt fühle.

SIE: Du bist ja gesund.

ER: Aber ich fühle mich nicht so. Vielleicht vertrage ich auch irgendwelche Lebensmittel nicht. Oder es ist eine Bleivergiftung wegen der alten Wasserrohre in Berlin. Und in den Ferien hatten wir früher in der Unterkunft immer solche Tapeten aus Glasfasern, das geht doch nie wieder raus aus der Lunge. Oder es sind meine alten Amalgam-Füllungen aus der DDR, die sich langsam im Speichel zersetzen, vor allem, weil ich ja jetzt immer Orangensaft trinke, der so sauer ist, damit haben die doch in der DDR nicht rechnen können, dafür waren die Füllungen nicht gemacht.

SIE: Dann musst du das testen lassen.

ER: Jetzt sei doch nicht genervt, du bist ja nicht allergisch.

SIE: Doch, gegen Ingwer.

ER: Gegen Ingwer?

SIE: Hast du das etwa schon wieder vergessen?

ER: Wieso schon wieder?

SIE: Und dann merkst du dir, wie viele Zuschauer ins Stadion von Freiburg oder Bremen passen.

ER: Das merke ich mir ja nicht mit Absicht, ich kann das gar nicht verhindern, dass das hängenbleibt.

SIE: Aber dass ich gegen Ingwer allergisch bin?

ER: Das ist viel schwerer zu merken als Zahlen. Ich glaube, ich hab diese Allergie, wo man kein Getreide essen darf, oder nur bestimmtes Getreide, Novak Đoković hat das auch, das hätte bei dem auch keiner gedacht. Oder was mit Milch, die krieg ich gar nicht runter.

SIE: Dann teste das doch mal.

ER: Hab ich ja, also Lebensmittel, da haben sie nichts gefunden. Ich trau denen aber nicht, die haben bestimmt nicht richtig geguckt. Das eine mal, als ich Kartoffeln gegessen habe, war mir den Nachmittag über auch ganz komisch, das war bestimmt das Solamin. Ich denke aber, dass ich was Langfristiges habe, weil ich als Kind immer an der durchgeschimmelten Wand vom Badezimmer geschlafen habe. Da hat sich bestimmt was in mir festgesetzt, aber auf der feinstofflichen Ebene, so dass es für die Ärzte unsichtbar ist. Die interessiert das doch auch gar nicht, ob da einer krepiert, sie haben ja genug andere Patienten. Mir ist dauernd schlecht vom Essen.

SIE: Weil du immer Ente kross isst mit Chilisauce. Du müsstest eben vegetarisch essen wie ich.

ER: Aber davon werde ich nicht satt. Von deinem Hafermilchfrühstücksbrei kriege ich kaum einen Löffel runter am Morgen. Aber Ente kross, da könnte ich gleich noch eine Portion bestellen.

SIE: Das ist so ungesund, da musst du dich nicht wundern.

ER: Mir tun die Enten ja auch leid. Aber die Asiaten sind immer so freundlich. Wenn wir die nicht hätten, wäre es in Deutschland gar nicht auszuhalten. Das ist Balsam für die Seele, bei Asiaten essen zu gehen.

SIE: Bei der Massage, hat diese Thailänderin mir aus der Hand gelesen, dass ich einen guten Mann habe.

ER: Siehst du, das würde eine Deutsche nie tun. Selbst, wenn sie es in deiner Hand sehen würde, würde sie dir die Freude nicht gönnen. Wenn ich nicht mit dir zusammen wäre, würde ich mir eine Thailänderin wünschen, die massieren und Ente kochen kann. Und abends würden wir die Bäume in unserem Bonsai-Garten gießen.

SIE: Ich habe immer solches Pech, dass das Gießwasser in der Kanne genau für den letzten Blumentopf nicht mehr reicht.

ER: Für dich ist das Glas immer halb leer, dabei kannst du froh sein, dass du so gesund bist, denk mal an mich.

SIE: Ja, mein armer kranker Purzelbär.

ER: Wenn ich dich nicht hätte. Ich danke dir für deine Gefühle für mich. Obwohl ich die ja erzeuge. Eigentlich müßtest du dich bei mir für deine Gefühle für mich bedanken.

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