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Das Blut stockt im Nu

 

Die Verrückten warten auf den großen Knall. Die Knallpatrioten schnupfen Soßenbinder. Wie herrlich ist das Deutschsein heute! Das Fax der Woche

Ich traf Süchtige, denen man keine Schlechtigkeit nachsagen konnte, Männer auf einer Droge, die den Kopf verwurmte, Frauen auf Heroin, das sie verschlankte zu atmenden seligen Leichen, sie spielten das Kinderspiel der Umzingelung, sie bildeten einen Kreis, in dessen Mitte ich stand, und je ruhiger ich wurde, desto zorniger wurden sie, ich streute Münzen, es lenkte sie nicht ab, ich sprach zu ihnen wie zu Mordbuben und Banditen, da trat der Hausmeister auf den Hof und verjagte sie mit schwenkendem Zinkkübel.

Dann fegte er ohne Hast Stücke und Splitter der Dachpfannen, die starke Winde heruntergerissen hatten. Er schimpfte über den Pfründenschacher in der Politik, er sprach über die Sautiere, die ihr Blut beim Spritzen auf die Mülleimerdecken vergossen, teures giftverseuchtes Blut, und weil es ihm gefiel, einen Ortsfremden einzuschüchtern, schwenkte er den Kübel in meine Richtung, ich aber wich aus, zog den Rollkoffer hinter mir her, lief durch die Allee der prächtigen Bürgerhäuser, freute mich über mein zweifaches Entkommen.

Ich übte mich im Marschschritt, stolperte, der Schmerz fuhr mir in Knie und Steiß und da ich kurz auf dem Koffer ausruhte, wurde ich mit Mörtelbrocken beworfen: süchtige Frauen, verhässlicht durch Heroin, ich gab meinen Wegzoll und hetzte weiter, in Richtung der Pension, in der man mich untergebracht hatte. Auf halbem Wege sah ich Haufen von Syrern kurz vor dem Einstieg in den Bus, sie schrien nicht durcheinander, sie hielten sich an die Weisungen des Englisch radebrechenden Polizisten, sie sahen aus wie Mönche im Gottesfieber. Ich starrte, sie starrten zurück, sie waren umgeben von Gaffern, von Deutschen vieler Herkünfte, die die neuen Fremden beglotzten, ich wandte mich ab, weil es sich nicht gehörte.

Später schlief ein Rentner bei meiner Lesung ein, später sah ich ein Eichhörnchen im Park, später stieß ich auf dem Nachtspaziergang auf muntere Bürger, die mich auf ein Glas einluden. Herr L. und Frau P. und Frau A. waren hochgescheite echte Deutsche, sie liebten ihre Stadt und ihre Viertel, sie hassten die Spießer als die Vasallen der Norm, ich aber nieste acht Mal hintereinander und bekam Nasenbluten. Herr L. griff in die Tasche, zog mich in die Herrentoilette, er erklärte: In diesem Plastikdöschen ist kein verbotenes Pulver, es ist gefüllt mit Fix-Soßenbinder, schnupfen Sie ihn, Ihr Blut stockt im Nu…

Faksimile des Faxes von Feridun Zaimoglu

Ich lehnte ab, er schraubte den Deckel zu und als wir wieder am Tisch saßen, dachte ich: Deutschsein heute, herrliche Deutsche, die in der Not zu Hilfe eilen, ein großes Vergnügen. Frau P. sprach von der Jungen Freiheit, dem Blatt der Patrioten, und von meinem Versäumnis, von meiner Verfehlung: Ich sollte fürderhin eine Kolumne in dieser Zeitung unterhalten, Angehörige der Hilfsvölker wären sehr willkommen. Ich griff in den Mund, holte das zerbissene Stück Huhn heraus, legte es auf den Tellerrand, stand auf, ging grußlos davon. Man hatte mich nicht das erste Mal verarscht, ich war trotzdem stinkig, also eilte ich zu den syrischen Kollegen, stellte mich neben die Schlange, ich wusste vom Hörensagen, dass sie die langen Märsche überlebt hatten, mehr wusste ich nicht. Ich wurde von Polizisten für einen Schleuser gehalten und verscheucht, ich ging auf Abstand und glotzte, vom Glotzen tränten mir die Augen.

Es verbiss sich in meinen Schnürsenkel ein Pinscher, er wollte balgen, Frauchen zerrte ihn an die Laterne, dort hob er das Bein, Frauchen hielt mich für einen Kommissar in Zivil und erfragte meine fachkundige Meinung in dieser Sache. Ich sagte: Es wird uns nicht Unglück zuwachsen. Auf der Lauer, auf der Mauer, schrie sie und verschwand. Das gemeine Volk, woraus bestand es und was war es? Waren die Knallpatrioten der Tischgesellschaft meinungsführend? Bellte das Frauchen mit ihrem  Pinscher um die Wette, wenn es um Molukken und Mamelucken ging? Der Koch vom Weinhaus hatte Feierabend, er rauchte eine letzte Zigarette, er sprach die letzten Worte des Tages: Die Verrückten warten auf den großen Knall – ohne mich.

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