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„Hail to Deutschland“

 

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In Berlin sind Manowar aufgetreten. Sie spielten Schlachthymnen, priesen Richard Wagner und den „deutschen Weg“, lebten Männerfantasien aus und gaben Frauen Sex-Tipps.

Am Mittwoch rief mich Onno an und fragte, ob ich mit zum Manowar-Konzert ins Tempodrom kommen wolle, er habe noch eine Karte abzugeben. Kolti habe kurzfristig eine Mitarbeiterschulung aufgedrückt bekommen, und Uke drehe einen Werbespot in Schweden, wo er mit Autos über zugefrorene Seen fahren müsse. Eine Karte habe Anne genommen, die zweite würde er, wenn ich nicht zusage, an jemand anderen verkaufen.

„An jemand anderen?“, fragte ich. „An wen denn?“

„Irgendwen“, sagte Onno. „An jeden Irren, der bereit ist, 78 Euro zu zahlen.“

Das Konzert der Gods and Kings-Tour war seit Monaten ausverkauft. Ich hatte, als ich davon hörte, keine Trauer verspürt. Als Jugendlicher hatte ich Manowar nicht mit der gleichen Begeisterung gehört wie Metallica, Motörhead oder Slayer, aber aus Onnos Erzählungen wusste ich, dass es ein Spektakel werden würde, dass jedes Manowarkonzert ein Ereignis war, über das sich noch jahrelang reden ließ. Jedenfalls redete Onno jahrelang von seinen Manowarkonzerterlebnissen in Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Kerkrade und Berlin, wo er mit Kolti und Uke, Olf und Maike und Focko und Rübe gewesen war – davon, wie sie Bettlaken mit Bildern bemalt hatten und als Dank dafür von der Band in den Backstage-Bereich eingeladen wurden, wie Maike, weil sie Kreislaufprobleme hatte und ohnmächtig zu werden drohte, von Eric Adams, dem Sänger, aus der ersten Reihe gezogen wurde und wie sie alle zusammen mit Joey DeMaio, dem Bassisten, Geburtstag gefeiert haben: „Und das Hammergeile war, da hat er eine Rede gehalten, und die war eins zu eins genauso wie auf der Bühne. Und dann reichte er mir ein Stück Bassgitarrentorte und sagte: That’s for you, Brother! Und ich dachte nur, das darf doch nicht wahr sein, der ist echt.“

Und immer wenn er das sagte, fiel mir wieder ein, warum ich Manowar nicht mochte: Weil sie als Begründer des True Metal gelten, als die einzig wahren Vertreter des Heavy Metal, als Repräsentanten der reinen Lehre. We are Manowar. We are invincible. Death to False Metal, heißt es auf dem Album Hail to England. Ich verachtete diesen ganzen ideologischen Überbau, die nordisch-germanische Ästhetik, die Nazi-Rhetorik und -Symbolik, das Frauen- und Männerbild, das Kriegsgeheul, den Lederkult, das Pathos, den Bombast. Aber ich mochte die ersten Alben, die den Sound von Led Zeppelin und Deep Purple in die neunziger Jahre transportierten. Und nach Lemmys Tod hatte ich Angst, dass jedes Konzert, egal von welcher alten Metal-Band, das letzte sein könnte.

Also sagte ich zu. Und als ich vorm Tempodrom ankam, war ich gleich von biertrinkenden Horden umringt, Männer, die einander stolz ihre vollständig mit Aufnähern bedeckten Lederkutten präsentierten und darauf hinwiesen, dass die Backpatches handgemalt seien, die sich anerkennend an ihren geflochtenen Kinnbärten zupften und die Länge ihrer Haare verglichen.

Onno und Anne standen abseits, er im Louder Than Hell-Shirt, sie in einem selbst gestalteten mit der Aufschrift: „Hä‘ Wi? Metal“. Onno war voller Vorfreude, weil Manowar vor zwei Jahren die Songs von Kings of Metal neu eingespielt hatten, und er hoffte, dass sie nicht nur Stücke vom jüngsten Studioalbum Lords of Steel spielen würden, sondern vor allem alte Sachen, die ihn an seine und meine Jugend erinnern würden. Dann beschwor er den Mythos der Urbesetzung herauf: Am Schlagzeug werde Donnie Hamzik sitzen, der beim Debüt Battle Hymns dabei war, danach ausstieg und nach 26 Jahren zur Band zurückkehrte, Eric Adams singe natürlich immer noch, womöglich aber nicht mehr ganz so lang und hoch wie früher, immerhin sei der inzwischen auch über 60, und Joey DeMaio am Bass, so durchgeknallt wie eh und je. „Und natürlich Karl Logan, der für mich immer noch der neue Gitarrist ist, aber man muss einfach sagen, niemand war bei Manowar so lange Gitarrist wie er.“

„Mit seinen roten Haaren und seinem Pony sieht er aus wie Katja Ebstein“, sagte Anne, und weil ich mich selbst davon überzeugen wollte, gingen wir hinein.

Als wir die Sicherheitskontrolle passierten, die nur darin bestand, die Jacken aufzumachen, musste ich, wie bei jedem Konzert in letzter Zeit, an das Attentat von Paris denken, ans Bataclan, als dort die Eagles of Death Metal auftraten, und ich dachte, dass kein Event passender für einen Anschlag wäre als dieses, heißen die Songs doch Funeral March, Hail and Kill, Kill with Power, Die with Honor oder Today is a Good Day to Die.

Wir tranken ein Bier, stellten uns vor die Bühne, das Bild: eine Mischung aus Walhalla und Reichsparteitagsgelände mit Boxentürmen und Videoleinwänden, vor uns ein Paar, auf deren Rücken „Born to Rock, Drink and Fuck“ und „Es ist nicht nur ein Hobby, sondern meine Flucht aus der Realität“ stand, neben uns zwei junge Männer aus Hannover mit Vokuhila, die uns dazu gratulierten, ebenfalls aus dem Norden zu stammen.

Der Gong ertönte, das Licht ging aus, alle um uns verschränkten ihre Arme über den Köpfen, aus den Boxen kam die Titelmelodie von Ben Hur, und Orson Wells sagte: „Ladies and Gentleman, from the United States of America, all Hail, Manowar!“ Feuerfontänen, Lichtblitze, Auftritt von vier alterslosen Männern in hautengem schwarzen Leder, die ersten Takte der Schlachthymne Manowar mit der programmatischen Ansage the right to conquer every shore, als wollten sie allen Anwesenden gleich klarmachen, was heute zu erwarten sei: eine gewaltige und sehr laute Demonstration von Macht, Stärke und Entschlossenheit. Und als ob das Publikum nicht bereits durch Kleidung, Alkohol und Vorkenntnis auf einen musikalischen Kameradschaftsabend eingeschworen wäre, spielten sie als zweites Die For Metal, und alle um uns herum riefen wie aus einem Mund: „They can’t stop us, let them try, for Heavy Metal we will die.“ Danach ging die totale Mobilmachung mit Call to Arms weiter: „Fight for the kingdom, fighting with steel, kill all of them, their blood is our seal.

Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn es am Merchandise-Stand statt Shirts Schwerter zu kaufen gebe, wenn sich nach dem letzten Lied alle, aufgepeitscht durch Lärm und Worte, bewaffnen und in die Nacht hinausrennen würden, um Manowars Manifest in die Tat umzusetzen. Aber dann fiel mir die vor einem halben Jahr veröffentlichte Studie der Humboldt State University wieder ein, derzufolge Heavy-Metal-Fans ausgeglichener seien als Fans anderer Genres, dass harte Musik eine therapeutische Wirkung entfalte, dem Stressabbau diene, Aggression kanalisiere etc. Und als ich mich zu Onno und Anne umsah und die anderen um uns herum betrachtete, konnte ich mir keine glücklicheren Menschen vorstellen. Noch nie habe ich abseits von Fußballstadien so viele Männer gesehen, die sich umarmen und herzen und gegenseitig auf die Schultern klopfen.

Auch die Band hatte ihren Spaß. Gitarrensolo, Gesangssolo, Schlagzeugsolo, Basssolo, Sting of the Bumblebee. Jeder führte sein Können vor, und Karl Logan sah tatsächlich aus wie die Schlagersängerin Katja Ebstein im Batgirl-Kostüm ohne Maske. Aus dem Off kamen Glockenschläge, Chöre, Fanfaren und Christopher Lees dunkle Stimme. Auf der Leinwand tauchten Fantasy-Welten auf: eine steinerne Treppe aus der Hölle, Ritter in Kettenhemden, kollidierende Monde, Hammer im Weltall. Aber auch und immer wieder die Fans selbst: Selfies mit der Band, moshende Männermassen, barbusige Frauen. Ich kam mir vor wie in einem Heavy-Metal-Themenpark.

Die beiden Hannoveraner neben uns vollführten, animiert durch die Bilder und die Musik, wilde Tänze, schwenkten ihre lange Haare vor und zurück, spielten Luftgitarre, warfen halbvolle Bierbecher nach vorne und rissen sich im Moment der höchsten Ekstase die Ärmel von den Shirts. Nach Textzeilen wie rip their flesh, burn their hearts, stab them in the eyes, rape their women as they cry etc. herrschte für ein paar Minuten Stille im Saal, ein Augenblick des Innehaltens, als die „Fallen Brothers“ geehrt wurden: Richard Wagner, der, wie es auf der Videowand hieß, „Father of Heavy Metal„, verstorbene Roadies, Bandmitglieder, Weggefährten und Idole, zuletzt Lemmy Kilmister – ein visuelles Kriegsgrab.

Und dann kam das, worauf alle gewartet hatten, Joey DeMaios Predigt. Allein trat er an den Bühnenrand und sprach:

„Schätzchen, schau mich nicht so an, ich würde dich so hart ficken, dich in die Laken hämmern, du wärst wie neugeboren. Doch ich werde dich nicht ficken. Ich sag dir, warum. Weil dein Freund ein Manowar-Fan ist, und das heißt: Er ist mein Bruder. Ich sehe, dass du einen gloriosen Arsch hast, aber mein Bruder bedeutet mir mehr als deine Pussy. Bruderschaft, darum geht es. All ihr Ficker, die ihr heute hierher gekommen seid, ihr seid Teil eines Ganzen, Teil meiner Familie, Teil der True-Metal-Gemeinschaft. Keiner von uns hat jemals den Arsch eines anderen geküsst. Lemmy war auch mein Bruder. Und wir werden spielen, bis wir sterben. Dies sind die beiden Arten, wie ich sterben werde: auf der Bühne oder mit einer 16-Jährigen zusammen, die auf meinem Schwanz sitzt, während wir zum Mond fliegen.“

Dann sprach er über Deutschland, halb auf Deutsch, halb auf Englisch, erteilte Geschichtsunterricht über Wagner, den Deutschen Weg – „schwing dein Ding“ –, die Beatles, David Bowie und Black Sabbath, „Everything in Germany is Übergeil„, „Mein Schwanz ist aus Kruppstahl“ etc. Dann erklärte er uns, wofür die 78 Euro Eintritt verwendet werden: für die Videoleinwand, die Boxen, die Aufbauten. Und dann gab er der Frau vorne noch einen Tipp für die Nacht: „Schätzchen, geh nach Hause, leg dich nackt hin, spiel mit dir selbst, mach deine Beine breit wie die Flügel eines Adlers, fick deinen Freund, und wenn du kommst, dann schreie: Manowar, Deutschland und Berlin. Hail to Deutschland!“

Nach der Zugabe Warriors of the World, nachdem Joey DeMaio jede Saite seines Basses herausgerissen und Eric Adams alle Instrumente gesegnet hatte, als wir unsere Jacken holten und nach draußen gingen, meinte Onno, dass er über die Setlist, die vielen neuen Stücke, enttäuscht sei, auf die Videos, die Flammenwerfer und den hohen Eintrittspreis hätte verzichten können und schon peinlichere Reden von Joey DeMaio gehört habe. Aber gerade an diesem Tag, am Holocaust-Gedenktag, am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, Hail to Deutschland zu rufen, finde er einfach nur widerwärtig. Und da wurde mir klar, dass er noch jahrelang über diesen Abend sprechen würde. Und dass ich ab jetzt mitreden konnte.