Die FDP feiert die vergangenen Landtagswahlen als Wiederauferstehung. Die Liberalen inszenieren sich nun als Stimme der Vernunft, die Ordnung ins Chaos bringt.
Im lauschigen Innenhof des Thomas-Dehler-Hauses ziehen zwei Herren mit magentafarbenem Einstecktüchern an ihren Zigaretten. Drinnen laufen die Hochrechnungen zum dritten Mal, alles scheint bereits sicher: Baden-Württemberg 7-8 Prozent, Rheinland-Pfalz 6 Prozent, Sachsen-Anhalt 5 Prozent. Die FDP ist drin, die FDP ist wieder da. Alles, könnte man meinen, ist wieder wie früher, die FDP aus ihrer außerparlamentarischen Opposition zurückgekehrt, ein Stück alte BRD vor dem endgültigen Verschwinden gerettet.
Und doch ist alles anders. Daran, dass grünalternativ nicht mehr alternativ ist, sondern Winfried Kretschmann heißt und konservativer ist als jeder CDU-Herausforderer, dass SPD nicht mehr nur SPD ist, sondern mit Malu Dreyer auch indirekt Merkels Flüchtlingspolitik stützt, dass CDU sowieso alles ist und am Ende doch hauptsächlich Merkel, daran haben wir uns längst gewöhnt – sogar an eine pinke, ach nein, magentafarbene FDP. Nur dass rechts nicht mehr rechts ist, sondern sehr rechts, mit manchen Politikern auch rechtsextrem und dass man in Deutschland damit in den Landtag gewählt werden kann, das haben wir so noch nicht erlebt, weder in der alten noch in der neuen BRD.
Nicht einmal hier im Dehler-Haus gibt man sich allzu ausgelassen dem Taumel der Wiedergeburt hin, kurz und laut wird noch einmal die FDP-Säule bejubelt, dann aber wird es still. Das letzte Mal war ich hier am Abend der Berlinwahl, in Begleitung von Genosse Marc mit roter Krawatte und eingerollter SPD-Fahne. Auch an dem Sonntag war die Stimmung gedrückt gewesen, das hatte aber lediglich am desaströsen Abschneiden der FDP gelegen, und diese Sorgen wirken fast wie aus einer anderen Epoche. Das heutige Desaster zieht sich durch alle etablierten Parteien, am wenigsten bekommt die FDP ab, die hat schließlich ihre Wähler nicht verloren, weil sie kaum noch welche hatte – also auch nicht an die AfD. FDP ist ein Wahlsieger auf ganzer Linie, könnte man meinen, aber so richtig in Feierlaune ist man doch nicht.
„Schwachköpfe“, sagt einer mit Blick auf die zweistelligen AfD-Ergebnisse.
„Protestwähler“, versucht es ein anderer zu erklären, nur sagt das Wort leider überhaupt nichts aus. Wieselwort, so hätte es der urliberale Friedrich Hayek genannt, ein Kompositum, das eigentlich nicht zusammengeht. Protestieren kann man mit Trillerpfeifen, Zwischenrufen und Demos. Bei der Wahl aber legt man sich politisch fest und zwar für Jahre. Das ist kein Protest, sondern das demokratische Verfahren.
„Der Messias kommt“, raunt jemand hinter mir. Durch die Fenster des Treppenhauses sieht man Solms herabsteigen, der ist wohl nicht gemeint. Kurz darauf eilt Christian Lindner die Stufen hinunter. Na dann, Prost, vielleicht kann er ja Wasser in Wein verwandeln.
Erst einmal redet er, das ist schließlich seine Leitdisziplin. Auf Facebook werden seine rhetorischen Feuerwerke wie Musikvideos geteilt. Lindner dankt den Spitzenkandidaten Ulrich Rülke, Volker Wissing und Frank Sitta. Ach ja, die gab’s ja auch noch. Bei dieser Wahl vergisst man ständig, dass es offiziell nicht um die Bundespolitik ging, sondern zum Beispiel um Straßenbau in Baden-Württemberg. Aber wie groß hätte der Verkehrskreisel sein müssen, der diese Wahlen entschied? Lindner spricht dann auch schnell von dem, was man jetzt von ihm hören will: Distanzierung von der AfD, FDP als Stimme der Vernunft, die Ordnung ins derzeitige Chaos bringt. Fällt das Wort Demut? Passen würde es jedenfalls zu Lindner, die Vokabel hat er schon bei den Wahlniederlagen der vergangenen Jahre verwandt und jetzt taugt sie für die AfD: Demut in Anbetracht der politischen Lage. Messias halt.
Etwas später Liveschaltung ins ARD-Studio: Opposition sei auch wichtig, sagt Lindner. Also keine Koalition mit der FDP? So will er nun auch wieder nicht verstanden werden – und genießt ganz offensichtlich, das zu sein, wofür die FDP über Jahrzehnte stand: Das Zünglein an der Wage. Damals gab es Schwarz, Rot und dazwischen die Gelben. Heute hingegen gibt es so viele Mitspieler in den Parlamenten, dass man schnell einen Farbrausch bekommt. Deutschland-Koalition? Ampel-Koalition? Die Chance der FDP wäre es, durch ihre Auferstehung beweglicher geworden zu sein und sich nicht länger gegen Regierungsbündnisse mit der SPD und den Grünen zu sperren, allemal mit einem Grünen wie Kretschmann. Was überhaupt gewänne Rülke, wenn er Kretschmann als Ministerpräsidenten verhinderte? Neuwahlen oder einen blassen Guido Wolf als lachenden Dritten, ist es das, wofür die Freien Demokraten so wagemutig mit den Farben auf ihren Wahlplakaten experimentiert haben? Grellgelb, Neonblau und klar, poppiges Magenta – FDP oder LSD, das blieb die Frage.
„Wir haben nicht an den Rändern gefischt, sondern gezeigt: Die Wahl ist immer noch in der Mitte zu gewinnen“, sagt Lindner mir, als er vom ARD-Gespräch zurück ist und setzt noch hinzu: „Wir sind nicht eklig geworden.“ Hat er zumindest darüber nachgedacht, eklig zu werden, gab es eine Seehofer-Versuchung, einen Möllemann-Moment? Ehe ich nachfragen kann, drängelt schon Ex-Pirat und Neu-Liberaler Bernd Schlömer, der unbedingt ein Selfie mit Lindner will, und kaum ist das geknipst, stürmen zwei aufgeregte Teenagermädchen auf Lindner zu, die kichernd auch noch ein Foto mit ihm wollen. Lindner, der Popstar. Gibt es ihn eigentlich schon als Starschnitt? Politik jedenfalls ist immer auch Popkultur, das hat schon Westerwelle gewusst, nur sah der nicht aus wie Jude Law.
Ich bestelle erstmal ein Pils und für meinen Begleiter ein Hefe, 6 Euro zusammen. Die Brezeln sind bereits aus. Der Raum ist noch immer gerappelt voll. „Nicht gerade multikulti“, meint Florian und in der Tat, alle sehen recht ähnlich aus: Jung, dynamisch, Jeans und Jackett, wie man sich das eben vorstellt. Ein paar Ältere sind dazwischengeraten, Relikte einer FDP, die noch auf angestaubtes Gelb setzte. Wolfgang Gerhardt steht neben einem der Fernsehbildschirme und ach, sieh an, sogar Dirk Niebel hat sich hergewagt. Die Partei gilt wohl schon als so wiederbelebt, dass man sich schon mal nach einem Pöstchen für 2017 umhört.
Das wirkt an diesem Abend fast beruhigend, eben nach altem Politbetrieb. Sich einfach bloß den Sorgen um die FDP hingeben, wie schön wäre das. Vor 2017 steht die Landtagswahl in NRW an. Würde Lindner sich als Spitzenkandidat aufstellen, könnte er in die Röttgenfalle tappen: Niemand nähme ihm ab, dass er wirklich im Land bliebe, sollte die FDP auch auf Bundesebene ins Parlament gewählt werden. Und vor NRW steht die Frage, wer statt ihm der Spitzenkandidat für den Landtag werden könnte.
„Bei der Baden-Württembergischen Landesvertretung ist die Party besser“, zumindest das weiß ein Herr im besten Alter. Er kommt gerade von dort und hat ansonsten mal für ein Bundesministerium gearbeitet. Florian nickt rhythmisch, ohne richtig zuzuhören.
„Und Sie sind noch in der Politik jetzt..?“
Florian schüttelt den Kopf.
„Dass haben Sie Ihrem Mann richtig geraten“, lobt mich der Partygänger. „Der ist zu klug für die Politik.“
Ich lächele wissend und frage mich, durch was genau ich zur Ehefrau befördert worden bin. Lindner gibt ein paar Meter entfernt ein Interview für Phoenix, im Hintergrund laufen Kinder über die Bühne. Ob die wohl gecastet seien, fragt mich Florian, so gnadenlos glücklich und gesund sähen die aus in ihren geringelten Strumpfhosen und bunten Kleidern. Kein Elternteil, das sie zurückriefe oder aus dem Bild bugsierte, antiautoritär kann man hier schließlich auch. Die FDP, das neue Bullerbü.
Gegen acht ist die Schlange an der Bar so lang, dass wir die Geduld verlieren und einen Kiosk in der Nähe suchen. 6 Euro für zwei Flaschen Bier, auch nicht billiger als bei der FDP. Ich habe noch einen Öffner der SPD dabei, das Bier gewinnt steht darauf, ein Werbegimmick der letzten Bundestagswahl. Geholfen hat es damals nicht, der Kronkorken immerhin lässt sich ganz anständig damit lösen.