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Jetzt ist er wirklich wieder da

 

Die kommentierte Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ steht auf Platz 1 der Bestsellerliste. Erstaunlich, wie viele politikinteressierte Leser es neuerdings doch gibt.

Adolf Hitler: Jetzt ist er wirklich wieder da
© Johannes Simon/Getty Images

Memoiren, da können wir von den US-Amerikanern einiges lernen, sind das literarische Genre, das auch in Zeiten der ständig proklamierten Buchmarktkrise zieht: Erinnerungen von Menschen, die uns glauben machen, sie hätten viel erlebt, Staatsmänner zum Beispiel, aber auch das ganz Private steht hoch im Kurs, Schicksalsgeschichten, die uns ans Herz gehen.

Einer hat in dieser Hinsicht alles richtig gemacht: Erinnerungen ans Elternhaus, politisches Räsonieren, Lebensbericht und obendrauf ein wenig Verschwörungstheorie, das volle Programm ist zu haben in Mein Kampf, außerdem ist der Autor noch immer der bekannteste Deutsche – und das als Österreicher. Kein Wunder also oder doch typisch deutsch? In der Woche des 127. Führergeburtstags wird die Spiegelbestsellerliste wieder von seinen Gefängnisschriften mit dem martialisch eingängigen Titel Mein Kampf angeführt.

Haben wir darauf tatsächlich gewartet? Seien wir ehrlich: Irgendwie schon. Zumindest ein ganz klein wenig enttäuscht wären wir gewesen, wenn das verbotenste Buch deutscher Sprache einfach so sang- und klanglos untergegangen wäre bei seiner Neuerscheinung. Siebzig Jahre durften wir nicht, jetzt endlich, nach langen Debatten, moralischem Für und Wider und 3.600 Fußnoten steht es wieder ganz offiziell im Bücherregal – neben der Ausgabe von 1942 mit der Widmung für Hermann. Denn haben konnte es ja, wer denn unbedingt wollte: Ob aus dem Antiquariat um die Ecke („Das gebe ich aber wirklich nur Ihnen“) oder aus dem Familienfundus, der auf dem Speicher vor sich hin rottet („Ich weiß gar nicht, was da oben alles noch liegt“), oder ausgedruckt aus dem Internet, von Seiten mit zutraulichen Namen wie deutschermensch.com, wo man die 855. Auflage aus dem Jahr 1943 findet, ohne die lästigen Fußnoten der kritischen Ausgabe, die den Lesefluss so peinlich stören.

Ein paar Wochen Anlauf hat es gebraucht, der Verlag verzichtete schließlich auf Werbung. Ein paar Wochen, in denen sich erst herumsprechen musste, dass es tatsächlich, also wirklich, ne jetzt mal im Ernst, wieder zu kaufen ist, oberhalb der Ladentheke. Beharrlich hat es sich nach vorne gearbeitet. Platz 8, Platz 5. Nun ist Adolf Hitler wieder ganz vorne: Platz 1 der Sachbuchliste des Spiegels. Sachbuch? Nun ja. Na klar. Geschichte geht uns alle an und schließlich wird das Buch „in erster Linie von geschichts- und politikinteressierten Lesern“ gekauft, wie es von Seiten des Buchhandels heißt.

Erstaunlich, wie viele geschichts- und politikinteressierte Leser es neuerdings in Deutschland gibt. Das geht vielleicht nur ganz zufällig mit der so emphatischen Repolitisierung à la AfD einher. Aber es ist natürlich, alles in allem, erfreulich, denn lesen bildet. Polemik gegen den Parlamentarismus kann man da zum Beispiel nachlesen, die ist ja grad hoch im Kurs. Auch mit dem Schlagwort Rassenkampf ließe sich in mancher von 0,2 Prozent Ausländeranteil terrorisierten Region wieder punkten. Aber man darf die Leser natürlich nicht über einen Kamm scheren, auch um die kritische Auseinandersetzung mit Hitler wird es vielen von ihnen gehen. Vermutlich hat Alexander Gauland ein wenig in der neuen Ausgabe geschmökert, ehe er sich in der aktuellen ZEIT zu seiner luziden Führeranalyse aufraffte: Auschwitz habe viel in uns Deutschen zerstört, meint der AfD-Politiker, nicht mal nationalstolz dürften wir seither noch sein. Ja, verdammt noch eins. Schuld an allem jedenfalls: Hitler.

Ein wenig schmuddelig ist es ja doch noch, dieses Buch, wie ein Pornoheft, das man sich im Onlineshop (garantiert diskrete Verpackung!) bestellt, nur mal so zum Reingucken, versteht sich. Hat das Verbot womöglich alles noch aufregender gemacht? Andere Länder und Sprachen sind im Umgang mit den Führer-Meditationen schon lange legerer. In der Türkei brachten es 2004 gleich 15 verschiedene Verlage auf den Markt, im arabischen Sprachraum ist es ein Evergreen und in der australischen Version des Projekts Gutenberg kann man es online lesen. In Rom liegt Mein Kampf auf jedem Freiluft-Grabbeltisch, in den Touristenstraßen neben gefälschten Louis-Vuitton-Taschen und laminierten Postern, Motiv Katze oder Mussolini. Ein liebloses Taschenbuch, schlecht gedruckt auf billigem Papier, der Titel allerdings sorgsam in Fraktur gesetzt, als Souvenir fast so beliebt wie die Gipsminiatur vom Colosseum. Deutschland oder Italien, Achsenmacht ist Achsenmacht, und die Reise dorthin war ein Erlebnis, an das man sich daheim in Michigan, Melbourne und Moskau gerne zurückerinnert.

Wird auch die deutsche Ausgabe ein solcher Erfolg in der Tourismusbranche werden? Steht bald in jedem zweiten Pekinger Wohnzimmer ein Exemplar neben Marx und Engels, mitgebracht von der Fernreise Heidelberg-Neuschwanstein-Oktoberfest? Wie auch immer es im Ausland ankommt, zumindest hierzulande können wir das Werk endlich wieder unter den Weihnachtsbaum legen. Und nicht vergessen: Am 8. Mai ist Muttertag!

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