Auf Lesereise durch die Republik. Programmpunkt Interkulturelle Literatur. Ausländer- und Exilantenenkel jammern und schnäuzen Kummer aufs Papier. Deutschenhass gehört heute zum guten Ton.
Anfahrt Mannheim, Fieberträume im Zug, es glühen mir Stirn und Schädel, Ausbruch eines schweren Schnupfens am goldenen Oktobertag, IT-Angestellte quatschen Girlanden aus kodierten Worten, sprachverarmte Muttersprachler, selbstgefälliges Schweinepack.
Ich mache gern den Spießer, erhebe mich vom Sitz, sage streng: Leiser bitte! Die Techniker starren, wenden den Blick ab. Ist das ein Blickduell? Nein. Sie wollen sich mit mir nicht befassen, ich bin eine sprechende Wanze, ein Stück Mensch, ein Menschenstück. Kurz vor der Ankunft Zwangsaufenthalt in Frankfurt: Wir warten auf den Lokführer, der seinen Kollegen ablösen soll. Weiterfahrt nach einer halben Stunde.
Am nächsten Nachmittag krächze ich meinen Text vor, ein kleines Tier hinter meiner Nase frisst sich durch die Knochenwände. Thema und Programmpunkt: Interkultur. Was soll der Blödsinn? Alle Podiumsteilnehmer sind nett und verständig, ich bin die Wildsau, die durchs Unterholz kracht. Jammernde Ausländer, denke ich, die neuen Heroen der Innerlichkeit, sie schnäuzen Gram und Kummer aufs Papier, dissonantes Gedudel, Eingeweidebeschau.
Deutschenhass gehört zum guten Ton. Friedliche Koexistenz der Speisekarten, das war gestern. Damen mit Bernsteincolliers saßen beim Exilperser, der Kichererbsenpampe servierte, die runzligen Damen waren recht angetan, sie glucksten und gackerten, weil der Perser so herrlich genitalbetont über Kaka-Khomeini lästern konnte.
Und heute? Die Ausländer- und Exilantenenkel geben mit ihrer Herkunft an. Anekdotentäntchen, gerade mal Ende dreißig, sie sind viel gereist und dumm geblieben, schreiben Hasenfibeln auf, und weil sie fotogen sind, druckt man Fotos von ihnen: Sie sehen aus wie gefönte Königspudel. Natürlich verstehen sie sich als Weltbürger. Was ein Affenwort.
Ist Deutsch einfältig? Ist Deutschland ein Hort des Grauens? Es findet sich bestimmt ein Kritiker ein, der mit spitzem Mund die Perserpampe dieser Täntchen als Bereicherung bezeichnet. Wie bitte? Benn, George, Bachmann, Kunst, Kolbe, Bobrowski, Meckel, Wondratschek, Trakl, Kunert, Huchel, Brecht, Jandl, Born, Mayröcker: Das ist Reichtum. Die Tantenprosa ist Zeug, Plastiktinnef, Studentenklamauk, sie ist ein abgefallenes Arschhaar, Damendrama, Unlust der Exoten, Gelalle deformierter Deppen.
Wer nicht schreiben kann und aber schreiben lernen will, geht ins Institut. Wer fremdstämmig und weiblich ist, motzt sein Poesiealbum auf, nennt es Manuskript, Lektoren und Verleger reißen es ihr aus den Händen, lektorieren nicht und verlegen es. Habe allzu viele dieser Placebo-Romane lesen müssen, ich bin es leid.
Interkulturelle Literatur? Schmonzes und Schmonzette. Ich wüte auf dem Podium, es wird beifällig genickt oder mir widersprochen. Abgang. Wanke zur Notdienstapotheke, kaufe eine Tüte voll Medizin: Pastillen, Entschleimer, Schleimhautabschweller. Lesung in Hanau. Klappt ohne Röcheln.
Literaturwerkstatt in Goddelau, gelingt ohne Atemlähmung. Lesung und Gespräch in Wiesloch. Die Stimme bricht, das Tier frisst sich unter das linke Auge, ich blinzele wie ein Psychopath, eine Frau missversteht mich, braust schnaufend davon. Heimreise. Kurz vor Kiel, in Bordesheim, müssen wir aussteigen. Durchsage: Personenschaden. Der Selbstmörder ist zerstückelt, sagt der Schaffner, jetzt sammelt man die Stücke, wirft sie in den Sack. Mir wird schlecht, ich beherrsche mich. Große Nacht des Schmerzes. Rechne jeden Augenblick mit dem Ausbruch eines Alienbabys durch mein linkes Jochbein. Ich gehe in meiner Stube zornig auf und ab, ich bin ein Anti-Interkulturberserker. Rettung: Besser schreiben und deutsche Heimat lieben.