Termin bei der Finanzbeamtin. Da vergeht dem freien Künstler das Lachen. Nicht nur wegen der Katzenbilder auf dem Schreibtisch. Das Steuersystem ist eine Farce.
Meine Sachbearbeiterin im Finanzamt heißt Frau Kestenholz. Sie möchte aber Chatenois genannt werden, sie stamme aus dem Elsass, was sie nicht ohne Stolz ungefragt hinzufügt. Mir fehlt das berühmte „Akson Grave“ in der germanischen Tastatur, man muss es sich jetzt halt vorstellen. Ich hätte auf Marzahn getippt oder Lichterfelde Ost, so kann Kleidung täuschen und zu Vorurteilen führen.
Madame Chatenois trägt ein altrosa Kleid mit violetten Wollstrumpfhosen (es zieht im Finanzamt), ihre Haare sind rötlich, Ton in Ton, an einem goldenen Kettchen hängt ihre Lesebrille. Auf ihrem Sachbearbeiterinnenschreibtisch mit dunkelgrüner Schreibunterlage steht ein Fotorahmen mit Kinderfotos, ich tippe auf Enkelkinder, sage aber nichts – spät, sehr Spätgebärende sind im Trend. An die sieben Katzenpostkarten zieren das Pinnbrett. Niedliche Tierchen in lustigen Posen mit und ohne Milchschnäuzchen. Ich selber habe eine Katzenallergie, weshalb ich nicht auf die kleinen Miezen zu sprechen komme. Sage aber höflich, dass auch mir Lady Di gefällt, also gefiel, vor ihrem Foto hat meine Finanzfachfrau ein kleines Dauerlicht brennen. Frau Kestenholz ist aber nicht zum Lächeln aufgelegt.
Es ist 8.45 Uhr in der Früh, auch mir ist nicht zum Lachen zumute, ich habe einen Erscheinungstermin, was so viel heißt, dass alles, was meine Steuerberaterin und ich in den vergangenen Wochen geschrieben, gemailt und vorbeigebracht haben, für die Tonne war. Jetzt hilft nur noch das gesprochene Wort. Ich klebe auf dem Plastikstuhl fest, denn im Finanzamt wird durchgeheizt, seit Jahren schon. Meine Steuerberaterin schwitzt auch, hat dazu noch nervöse rote Flecken, und mich beschleicht das unangenehme Gefühl, dass wir hier nicht unbedingt als Sieger vom Platze gehen werden.
Frau Kestenholz-Chatenois möchte eine fette Nachzahlung, weil ihr nicht einleuchten will, warum ich Opern- und Theaterkarten von der Steuer absetzen will. DVDs von Autorenfilmern, Bücher über Brecht und von Shakespeare sind Kosten der privaten Lebensführung, ihrer fiskalischen Sichtweise nach: Kino- und Museumsbesuche können auch als gemischte Aufwendungen nicht nach § 12 Nr 1 EStG berücksichtigt werden.
Ich könnte kotzen. Was ich nicht tue. Ich sage, ausgesprochen freundlich, dass es befremdlich sei, wie wenig offenbar über die Kaste der selbstständigen Künstler bekannt sei. Regisseure zum Beispiel sollten die Sachen, die sie inszenieren, vorher lesen, das täte der Aufführung von Brecht und Shakespeare richtig gut. Die Katzenliebhaberin schweigt, ich fahre sanft fort. Zwar sei der Begriff der privaten Lebensführung sehr interessant, vielleicht etwas unscharf, aber so ganz privat sei meine Lebensführung dann doch nicht. In vollbesetzten Opern- oder Theateraufführungen zu sitzen, sei Teil des Berufes. Sänger hören, die man vielleicht besetzen möchte, die Arbeit von Bühnen- und KostümbildnerInnen nicht nur rasch im Netz, sondern leibhaftig in natura anzuschauen, erfordere der Respekt vor ihrer Arbeit, sei einfach Ehrensache.
Wo wir schon so nett beisammensitzen
Meine Steuerberaterin Frau Wischnewski legt listig und plötzlich irgendwie siegesgewiss lächelnd meine Vita auf den Tisch. Madame schlürft ungerührt ihren Morgenkaffee. Doppelter Haushalt, sei das richtig? Ja, stammele ich, leider. Ich habe selten Engagements in Berlin, meistens im Rest der Republik, Österreich, Schweiz, im deutschsprachigen Raum … Wieso ich dann einen Arbeitsraum in Berlin bräuchte, sei ja dann nicht ganz einzusehen, wenn ich so wenig zu Hause sei, und dann abends immer Kino und Theater. Ich schlucke. Wenn diese Frau aus dem Elsass ist, bin ich Schwedin.
Und da wäre von Mehraufwand die Rede? Für was genau? Na ja, erkläre ich, wir Künstler befinden uns wie Beduinen auf einer Art Dauerreise, von Theater zu Oper, von Drehtag zu Lesung. Ohne jemals auch nur annähernd von den Spesen- und Reisekostenzuwendungen zum Beispiel der Politiker profitieren zu können. Warum das so sei, so ungerecht, wisse ich nicht, aber vielleicht könne sie mir das ja mal erklären, jetzt, wo wir schon so nett beisammensäßen …
Meine Steuerberaterin drückt unter dem Tisch an meinem Knie herum, ob ich Kaffee holen wolle, fragt sie mich. Kaffee? Wieso Kaffee? Wir schweigen alle drei, ich höre Klassikradio aus dem kleinen braunen Finanzamtslautsprecher, Bizets Habanera zum Mitsummen. Ich bin ganz ruhig und entspannt, gaaanz freundlich und zurückgenommen. Ich bin eine anständige und pünktliche Steuerzahlerin, was man ja beileibe nicht von jedem behaupten kann – und wenn ich gaaanz brav bin, vielleicht kommt mein Foto auf die Pinnwand zwischen all den anderen süßen kleinen Samtpfötchen.
Carmen, Bizet, habe ich auch schon inszeniert. „L’amour est un oiseau rebelle …“, summe ich formvollendet, die Theater müssten uns auf unsere Honorare übrigens keine Umsatzsteuer zahlen, auch wenn wir sie dann ans Finanzamt abführen müssen, wussten Sie das, geschätzte Frau Chatenois-Kestenholz? Warum ist das so? Ist das denn rechtens so? Ach, ich hätte so viele Fragen …
Sie murmelt etwas, aber jetzt läuft Lohengrin, und Elsa von Brabant schmettert im Klassikradio, was das Zeug hält. Ob ich die Hörstöpsel – extra vom Akustiker angefertigt – absetzen kann, die ich mittlerweile brauche, wenn das Orchester ungefiltert probt, halte ich inzwischen für unwahrscheinlich. Dabei kommen die bei Straussens Elektra auf 135 Dezibel da unten im Graben. Das ist mehr als zwei Presslufthammer …. Ob das die Marquise de Chatenois wohl weiß?
Wo beginnt die Berufskrankheit?
Tschuldigung? Ich habe Ihre Frage nicht verstanden? Krankheitskosten? Ist die Therapie oder Supervision, die sie in Anspruch nehmen, krankheitsbedingt? Es ist gar nicht Wagners Lohengrin, es sind die Katzen, die laut maunzen. „Und Minz und Maunz, die Katzen, erheben ihre Tatzen …“
Meine liebe Steuerberaterin, Frau Wischnewski, hat die Augen geschlossen, sie wirkt, als würde sie beten. Zu wem nur, frage ich mich. Gott ist überall, aber sicher nicht im Finanzamt Potsdamer Straße/Ecke Bülow. Wie bitte? Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit können betrieblich oder beruflich veranlasst werden, wenn es sich um eine typische Berufskrankheit handelt? Berufskrankheit. Mein Puls schlägt doppelt. Was weiß denn die? Sie, die tagaus, tagein hier zwischen Katzen in überheizten Räumen sitzt, schon von unseren Krankheiten? „Wen ihr uns stecht, bluten wir nicht?“
Ich kichere, mittlerweile finde ich meine Elsässerin sogar ein wenig witzig: Können Sie mir bitte genau sagen, wo die Berufskrankheit beginnt und die private Krankheit aufhört – oder umgekehrt? Bei Alkoholproblemen in der Kantine oder doch erst beim Selbstmord nach Drehschluss? Habe ich das jetzt gesagt, oder war es der süße schwarze Kater, der dritte von rechts? Nein, es ist meine Stimme, sie tönt über Lady Di hinweg, vier Jahre Sprecherziehung in der Schauspielschule haben eben doch Spuren hinterlassen.
Berufskrankheit. Ich kann die Grenze schwer ausmachen, aber ich könnte Ihnen eine amtliche Namensliste von Kollegen vorsetzen, sehr geehrtes Fräulein. Sehr begabte dabei. Leider, leider berufsunfähig oder tot. Supervision oder Therapie? Was auch immer, sie hätten davon profitiert, aber sie haben es nicht in Anspruch genommen, weil sie fürchteten, es könnte berufsschädigend sein. Oder ihren Ruf ruinieren. Da sind sie stillschweigend von der Bildfläche verschwunden und haben dem Finanzamt keine Sorgen mehr bereitet.
So wie ich.
Wissen Sie was? Ich möchte nur ungern zum Finanzgericht gehen. Aber ich würde es tun, und wenn es auch ein Präzedenzfall werden sollte, ist es doch an der Zeit, dass wir selbstständigen Künstler uns zu Wort melden. Wir zahlen Steuern wie jeder Unternehmer, haben aber nicht die Möglichkeit, in dem großen Maße abzuschreiben wie diese. Dafür keine Zusatzleistungen, kein Arbeitgeberanteil, kein 13. Monatsgehalt. Nur Honorare, von denen die Umsatzsteuer auch noch abgeht. Die Quote derjenigen, die unter oder an der Armutsgrenze leben, ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen das bekannt ist, ma chère. Aber dafür sind wir frei, so frei, vogelfrei, im freien Fall … Ja, ich bin so frei, dass ich jetzt einen schönen Termin beim Finanzgericht mache und zum ersten Mal im meinem Leben klage. Klagemauer ausgenommen.
Zwei der Katzenbilder sind von der Pinnwand auf den lindgrünen Linoleumboden gerutscht. Frau Wischnewski, meine tapfere Steuerberaterin, weint. Ich habe es verkackt, denkt sie. Ich denke gar nichts mehr, und Frau Kestenholz-Chatenois ist nun sichtlich überfordert und irgendwie verwandelt. Sie singt jetzt: Die angeforderten Unterlagen seien innerhalb von vier Wochen einzureichen.
Sie hat nichts verstanden, denke ich. Hake meine Steuerberaterin unter, greife rasch über den Tisch und stelle endlich den Ton vom Klassikradio leiser.
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