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Friss dich glücklich

 

Was macht der Schriftsteller am Sonntag? Er gesellt sich zum Ungeziefer und spricht mit ihm. Das Fax der Woche

Ich sprach mit einer Ratte. Ihr Kopf steckte im Restfraß im Stanniol, blasses Licht der Straßenlampe fiel auf die Friedhofsmauer. Sie fraß zuckend, und ich ekelte mich, ich schauderte. Sie hatte vergorenen Fraß im Bauch, sie war besoffen, ich hätte schwören können, dass sie es war. Ratte, filziges Fell, Schluckauf. Der Sonntagsekel.

Ich sprach mit ihr, eine Ungeheuerlichkeit, eine Verrücktheit am Sonntag, da jeder glaubte, zur Belustigung, zur Beschäftigung, laufen, joggen, einen Film bei der Videothek ausleihen, junge Familie am Meer spielen zu müssen. Ich tat es nicht, ich war asozial, die Ratte gehörte zum Ungeziefer, was lag näher, als mit der zufällig Bekannten zu sprechen. Ich sagte: Bist nicht menschenscheu, nagst am Menschenfraß, gut, dass hier keiner um diese Stunde vorbeikommt. Wenn mich die Leute sehen würden. Was dann? Zaimoglu und die Ratte, fesches Gespann.

Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

Heut ist Ruhetag, doch die Leut, sie ruhen nicht. Bald gibt’s Regen, Wolken hängen schwer am Himmel. Dein Schwanz peitscht nicht von einer Seite zur anderen, er liegt fast schnurgerade auf dem Pflaster, Filme lügen, Leben ist nicht echt im Film. Ich fürchte mich vor Spinnen, und vor Getier deiner Art. Und trotzdem steh ich Depp hier bei dir, schau dir beim Fressen zu. Glaubt mir das irgendeiner?

Stubenfliegen wedele ich weg. Den Weberknecht im Bad, den hab ich so lange beschwätzt, bis er umzog. Ich find manche Biene tot auf dem Fensterbrett, Anfang Herbst. Eine Freundin von mir, die spinnt, sie fasst die Spinne am Bein, schleudert sie aus dem Fenster. So hat sie ihre Angst besiegt. Ich besieg diese Angst nimmer.

Im letzten Monat, ich treffe einen Kollegen in Süddeutschland, er sagte zu mir: Wir Schreiber sind doch für die meisten nur Geschmeiß … Geschmeiß, da hast du es wieder. Ich wollte dem Kollegen schon das Tränentüchlein reichen, doch da stürmte eine Kollegin auf uns zu. Sie weiß, dass sie schön ist. Sie weiß, dass sie gut schreibt. Kommende Frau, nicht mehr in den Anfängen, sie strahlte uns an. Und wir vergessen.

Wir vergessen was? Die müffelnde Hotelbettwäsche. Den Kopfschmerz. Die unerbaulichen Abschiedsworte. Die dunklen Novembertage, in denen wir uns vorkommen wie gaffende Gänse im Regen. Wir vergessen augenblicklich alles Abfärbende, Dunkle, Schwarze und alles Vergilbte. Der Kollege ist jetzt in der Stimmung, von seiner Ex-Frau zu sprechen. Jung, dramatisch, putzsüchtig. Was antworten, Ratte? Am besten nix.

Sie lasen vor, ich las vor, wir wurden vom jubelnden Volk auf Schultern getragen. Nein, das stimmt nicht. Man war zufrieden. Kollege wieder trübsinnig, was erzählt er uns auch von seiner Ehefrau, der gewesenen? Soll ich ihm die kompliziert gefaltete Stoffserviette reichen? Er hat selber eine zum Tupfen und Wischen. Händeschütteln und Allesgutewünschen, dann geh ich raus ins Leben.

Ich stand an einem Verkehrsschild, wartete auf das Taxi. Und da, und da. Ich sah’s, ich sah die Ratte. Dicker als du, blöder als du. Lief hin, lief her, als würd ihr das Fell brennen. Da schwieg ich, ich sprach nicht. Das Taxi kam, ich fuhr weg. Schlief schlecht, das Kissen roch nach ungewaschenem Kerl … Du hast noch wenige Minuten, Ratte, ich seh alte Leute mit Regenschirmen nahen, die werden dich scheuchen.

Ein Letztes noch. Sonntage sind gut, Sonntage sind schlecht. Die Hölle. Ich lauf noch meinen Kreis um den Friedhof, auf keinen Fall einen zweiten. Dann mal ich am Bild weiter. Titel eins: Im Traum wuchs ihr rechter Fuß. Titel zwei: Versunken. Zwei saublöde Titel, da lachen die Besucher der Galerie. Also, sie kommen, einen Happen hast du noch, dann aber ab in die Mauerfuge dort. Friss dich glücklich.